Schorsch Kamerun. Copyright: Julian Marbach
„Ein Sommernachtstraum im Cyber Valley“ im Kammertheater Stuttgart (Schauspiel)
EFEUSCHLOSS UND ELEKTROHASE
Schorsch Kamerun präsentiert sein neues Theaterprojekt nach Shakespeares „Sommernachtstraum“ am 24.2.2018 im Kammertheater/STUTTGART
Es soll das erste digitalisierte Theaterprojekt sein. In der Zukunftsregion zwischen den Talschaften Stuttgart und Tübingen tut sich einiges. „Die künstliche Intelligenz kommt“, so lautet das Motto des Fürsten. Karl-Friedrich Dürr stellt hier einen Schubert singenden Guru 4.0 dar, der die Gruppe der Zuschauer mit verschiedenfarbigen Kopfhörern anführt. Die Musik von PC Nackt und Schorsch Kamerun variiert kunstvoll Heimat, Hightech und Highspeed. Dieser musik-theatrale Überprüfungsalbtraum hat es wirklich in sich. Mit Mitgliedern des Schauspielensembles, Hochschulen, Cyber-Experten und weiteren technischen Profis ist hier ein kunstvolles kosmisches Werk entstanden, das Shakespeares „Sommernachtstraum“ facettenreich variiert. Der „Sommernachtstraum“ wird hier zur klingenden Poesie.
Shakespeare und Kamerun versetzen die Figuren hier in einen Raum, in dem man Dinge ausprobiert, die man sonst überhaupt nicht tun darf. Der Weg führt in den verrückten Wald nahe Athen, in dem ein Elfenherr gebietet. In seltsamen Aquarien wird immer wieder mit bewusstseinsverändernden Tropfen und Giften hantiert. Shakespeare findet dabei plötzlich im niedlichen Neckartal statt. Das Neckartal trifft auch den Elektrohirschen, der archaische Puck besucht sogar Winfried Kretschmann und EU-Kommissar Günther Oettinger. Hier philosophiert nicht nur die Rote Beete über Donald Trump. Die Fantasien der Elfen besitzen dabei wiederholt großen Einfluss. Gruppen aus dem alten Ägypten und aus dem Schwarzwald ziehen vorüber, auf die unabwendbare Digitalisierung folgt der Digital-Tax, jede App müsste nach Meinung des Teams eine Steuer abwerfen. Auch eine Robotersteuer ist im Gespräch.
Copyright: Julian Marbach
Die Zuschauergruppen werden in immer neue Räumlichkeiten gebeten. Zwischen Efeuschloss und Elektrohase entstehen wahrhaft beflügelnde Märchen. Helena erscheint in der Gestalt von Lucie Emons als kosmischer Nebel, während Nina Siewert das Magnetfeld Hermia darstellt. Ferdinand Lehmann mimt den Gammastrahl Lysandrus, David Braschler ist der Digital Wuerttemberg Horsch. Cora Beck als Liebliches Neckartal, Wolfgang Wedler als Waldhüter Wolfgang sowie Konrad Mutschler, Carina Thurner und Laura-Sophie Warachewicz als Agentur Megaphontierchen vervollständigen dieses abwechslungsreiche und farbige Team. In weiteren Rollen erscheinen nacheinander und durchaus „digitalisiert“ zwischen Video-Clips und Cyber-Valley-Aura Delia Olivi, Inga Behring als Sophia (a human artificially intelligent machine), Replika als „an electric doppelgänger“, Bernd Isele und Katrin Spira als Experten sowie Irene Baumann, Jule Hölzgen und Caro Mendelski als Tele-Kollegin.
Hinzu kommen noch in der Choreographie von Daniela Walther das Schnelle Internet, die Erlkönige und die Hallschlag Ghetto Crew. Diese Komödie der panischen Verzauberung erhält auch bei Schorsch Kamerun ihre unmittelbare Wirkungskraft. Die Elementargeister entfalten nicht nur in der Gestalt des metaphysischen Gurus hier ihren dämonischen Einfluss auf die Menschen. Die Liebesblindheit der Menschen wird von Kamerun geradezu genüsslich zelebriert. Verliebte und Verrückte besitzen ein wahrhaft brausendes Gehirn. Und die Liebeswunde bricht immer wieder neu auf: „Ich liebe dich nicht…Aber ich liebe dich umso mehr!“ Dies bezeugen ebenso Eva Mattausch und Celina Retz als Virtual Gardeners. Ein Roboter (Rosi Drodofsky), ein Baum (Thorsten Gohl), Eine Rote Beete (Hartmut Drodofsky), ein Korbwesen (Kim Lee Wagner) und eine Business-Sphinx (Florentine Hötzel) werden von der Überlegenen Hochkultur, den Cyber Activists und den Erneuerbaren Energien ergänzt (die Darsteller sind hier so zahlreich, dass man gar nicht alle nennen kann). Hinzu kommt noch der von Milan Gather gespielte Abgehängte.
Die Bühne von Katja Eichbaum und die Kostüme von Gloria Brillowska verwandeln die Wälder und Felder in eine seltsame virtuelle Welt, die die Hochzeit des Theseus mit der Amazonenkönigin Hippolyta andeutet. Hermia flieht mit ihrem Geliebten Lysandrus – und natürlich geht die Hochzeit zuletzt rasant über die Bühne und den Flüchtenden wird verziehen. Und Helena tritt an die Stelle von Hermia. Man tauscht die Rollen. Die Launen eines Traumes werden hier in den unterschiedlichsten Ebenen thematisiert.
Es ist eine neue Form des Theaters, die Schorsch Kamerun da dem Publikum präsentiert, wobei man manchmal den Eindruck hat, als ob der rote Faden schon verloren ist.
Alexander Walther