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STUTTGART/ Kammertheater: „DIE ERFINDUNG“ von Clemens J. Setz. Spiel mit dem Entsetzen

07.05.2025 | Theater
„Die Erfindung“ von Clemens J. Setz im Kammertheater Stuttgart am 6.5.2025
 
Spiel mit dem Entsetzen
 
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Katharina Hauter (S), Marco Massafra (C). Foto: Björn Klein
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es…“ Die bürgerliche Fassade wird in diesem Stück des Österreichers Clemens J. Setz kräftig aufs Korn genommen. Die Schrecken des digitalen Zeitalters machen sich hier gnadenlos bemerkbar. Bei einem seltsamen Paar im Himmelbett fragt man sich dann ultimativ, ob es wieder streitet. Jede Nacht hören C und S im Bett liegend Geschrei aus ihrer Nachbarwohnung. C hat einen obskuren Roman gelesen. Ein Täter entfernt darin allen seinen Opfern die Gliedmaßen und lässt sie als wurmartige Wesen weiterleben. Das treibt seltsame Stilblüten. Denn C und S eröffnen einen fingierten Onlinehandel für arm- und beinlose Menschen. Als über ihre Website im Darknet hunderte Bestellwünsche für die entstellten Opfer eintreffen, wird das Geschehen unheimlich, zumal es immer wieder an der Wand und an der Türe geheimnisvoll klopft. In der Nachbarwohnung hört man Schreie und lauten Krach, der nicht enden will. Die subtile Inszenierung von Lukas Holzhausen mit der Bühne von Jane Zandonai und den Kostümen von Annabelle Gotha spielt mit dem Entsetzen, stellt das kinderlose Paar bloß, das jede Nacht genervt wach liegt und dem heftigen Streit der Nachbarsfamilie von oben zuhören muss.

Der preisverdächtige, österreichische Roman „Wormed“ wird hier zum abstrusen Ideengeber. Skurrile Zuschriften spiegeln den Irrsinn der Welt. Katharina Hauter (S), Marco Massafra (C) und Michael Stiller als Manfred lassen das Geschehen in unterschiedlichen seelischen Stimmungen Revue passieren. Die digitale Welt nimmt in brutaler Weise Einfluss auf die Beziehungen. Auch der Katzenfreund und Internetexperte Manfred macht bei dem seltsam-fingierten Onlinehandel mit, setzt dem Paar aber in rüdem Ton auch rechtliche Grenzen. So werden die Tabus der eigenen Phantasien entlarvt. Das Schlafzimmer mit Aquarium und einem einsamen Fischpaar schafft hier seltsame Kontraste. C besitzt eine Ähnlichkeit mit dem Autor Clemens J. Setz. Robert Pawliczeks Komposition lässt die zerstörerischen Streitereien der Nachbarsfamilie krasse Wirklichkeit werden. Die Schwächen des Textes können trotzdem nicht verwischt werden. Da wird in Sherlock-Holmes-Manier ermittelt und eine männliche Stimme hält gleich zu Beginn eine Rede im Hitlertonfall, was man aber auf der Bühne kaum wahrnimmt. Obwohl die Dialoge flott geschrieben sind, lassen sich die dramaturgischen Schwächen nicht verdecken:“Und der Lehrer sagt dauernd, was sich liebt, das neckt sich…“ Auf der anderen Seite sehnt sich das Paar nach Normalität, will unbedingt aus der verzwickten Situation ausbrechen: „Lasst mich zufrieden mit euren kranken Köpfen.“ Was bei der Inszenierung recht gut gelingt, ist die unheimliche Atmosphäre der Angst vor dem Fremden, Bedrohlichen. Das Paar erscheint so zuweilen hilflos. Die Möglichkeit, zuletzt tatsächlich ein blutrünstiges  Verbrechen zu begehen, stürzt S und C in gegenseitige Verdächtigungen: „Die Bilder in eurem Kopf, dafür können wir doch nix!“ Das Paar fragt sich gegenseitig: Hast du vielleicht etwas in dir, das ich nicht kenne? Da tun sich Abgründe auf, die sich am Ende aber in Luft auflösen, weil beide wieder ganz zusammenfinden. Da wird es dann schwer, anderen näherzubringen, was in einem selbst vorgeht. Das Buch, in dem der Mann von der Gewalt liest, ist im Stück ein Roman des Autors Clemens J. Setz. So kommt es fast zur Parodie einer Gewaltfantasie – aber ganz anders als etwa wie bei Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek. Der Autor möchte beim Publikum keinen Ekel hervorrufen.

Unzulänglichkeiten und die Weltfremdheit von Fantasie stehen grell im Zentrum. Fiktion und Realität überlagern sich. Man hatte aber das Gefühl, dass der Funke beim Publikum nicht so richtig übersprang.

Alexander Walther

 

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