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STUTTGART/ Kammertheater: „DAS IRDISCHE LEBEN“ – Musiktheater von Thom Luz und Ensemble

26.10.2024 | Oper international

Premiere „Das irdische Leben“ von Thom Luz und Ensemble am  25.10.2024 im Kammertheater/STUTTGART

Die Welt nach den Menschen

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Inszenieungsfoto Gare du nord, Foto: Bettina Matthiessen

In der Inszenierung von Thom Luz befinden sich hier vier Menschen in einem leeren und imaginären Raum, der von Stühlen übersät ist. Sie können ihm nicht mehr entkommen, sind scheinbar gefangen. „Das irdische Leben“ ist auch Titel eines bewegenden Mahler-Liedes, wobei Gustav Mahlers riesige Orchesterbesetzung von den vier einsamen Hinterbliebenen in die seltsame Gegenwart übersetzt wird. Die musikalischen Möglichkeiten des riesigen leeren Saales werden so minuziös erforscht, in dem die an sich zweifelnden Menschen zurückbleiben. Die „splendid isolation“ von Alma und Gustav Mahler findet hier ihre Entsprechung (Kostüme: Tina Bleuler). Und die vier virtuos agierenden Schauspieler Mara Miribung, Daniele Pintaudi, Samuel Streiff und Mathias Weibel (auch musikalische Leitung) versetzen die Mahlersche Sinfonik in eine elektronische Aura. Ein einsames Klimagerät beatmet den desolaten Bühnenraum, der zum Luftschutzbunker umfunktioniert worden ist. So ist ein Wartesaal für die Zeit zwischen dem irdischen und dem ewigen Leben entstanden. Die vier Menschen entkommen ihrer Isolation schließlich auch durch Gesang. Aus Liedern und Sinfonie-Fragmenten von Gustav Mahler entsteht so eine kurze Weltgeschichte in Klängen. Da erklingt das verträumte Adagietto aus Mahlers fünfter Sinfonie fast schon sphärenhaft-verzerrt und seltsam unwirklich. Man denkt dabei an den Film „Der Tod in Venedig“, der mit diesem Thema berühmt wurde. Und das Allegro maestoso aus der zweiten Sinfonie zeigt eine starke thematische Präsenz. Beim „himmlischen Leben“ aus der vierten Sinfonie entwickelt sich die Harmonik zum wahrhaft überwältigenden himmlischen Konzert. Klassische Instrumente existieren nur noch als ferne Erinnerung.

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Inszenieungsfoto Gare du nord, Foto: Bettina Matthiessen

Und der Abend gliedert sich in drei Teile. Da ist zum einen die Welt vor den Menschen, da sind die Menschen selbst – und es gibt die Welt nach den Menschen. Eine Pause gibt es hier ebenfalls nicht. Über dem Leben der Erde und ihrer Bewohner öffnet sich plötzlich ein Assoziationsraum. Übermenschlicher Jubel und weltumspannende Traurigkeit versetzen alles in abgründige Bild- und Klangwelten. Dann erklingt das Lied „Um Mitternacht“ voller Ahnung kommenden Unheils. Die elektronische Umarbeitung von Gustav Mahlers Musik wirkt hier allerdings manchmal problematisch, doch zwischen Nebelkerzen und Lichteffekten entfalten sich die Klänge ebenfalls suggestiv.  Das „Bimm bamm“ aus der dritten Sinfonie untermalt den idyllischen Charakter fast schemenhaft. Und die Marschthematik aus der sechsten Sinfonie klingt hier nahezu entfernt und unwirklich. Das gleiche gilt für das „Frere Jacques“-Thema des Trauermarschs aus dem dritten Satz der ersten Sinfonie, worauf das melancholische Lied „Eine Nacht im Garten Eden“ folgt. Demütig-ergreifend wird „Urlicht“ interpretiert. Und die Lieder „Ich ging mit Lust durch einen  grünen Wald“ sowie  „Ich atmet‘ einen linden Duft“ besitzen geradezu leidenschaftlichen Charakter. Berührend interpretieren die Künstler schließlich den „Abschied“ aus Mahlers „Lied von der Erde“. Im zarten Naturbild spiegelt sich die ergreifende Seelenstimmung des einsamen Menschen. Es ist ein wunderbar ergreifender, schmerzlich-versöhnlicher Ausklang. Magische Harmonien kennzeichnen die düstere Leere des Kontra-C. Zuletzt folgt in einer Waldsilhouette „The Sidewalks of New York“ von Chas. B. Lawlor und James W. Blake (Sounddesign: Martin Hofstetter). Ein verblüffender dynamischer Kontrast.

Starker Schlussapplaus, auch „Bravo“-Rufe. 

Alexander Walther

 

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