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STUTTGART/ Kammertheater: DAS IMPERIUM DES SCHÖNEN von Nis-Momme Stockmann, Premiere

Grenzen der Verständigung

31.01.2019 | Theater


Nina Siewert, Marco Massafra. Foto: Björn Klein

Premiere von „Das Imperium des Schönen“ von Nis-Momme Stockmann am 31.1.2019 im Kammertheater/STUTTGART

GRENZEN DER VERSTÄNDIGUNG

 Das Erstarken des politischen und religiösen Fundamentalismus spielt im Stück „Das Imperium des Schönen“ von Nis-Momme Stockmann eine große Rolle. Zunächst bleibt alles an der Oberfläche, doch nach und nach brechen gesellschaftliche Strukturen in explosiver Weise auf. Der Kampf des Individuums gegen die Auslöschungs- und Gleichschaltungsversuche der Obrigkeit werden am Beispiel der japanischen Gesellschaft gnadenlos bloßgestellt, zu der der Autor einen starken Bezug hat. Die Japaner haben sich mit ihrer Rolle hier allerdings einverstanden erklärt. In Japan funktioniert das Spiel dieser Kräfte und Betrachtungsweisen etwas anders. „Oberfläche und Tiefe“ erhalten einen unterschiedlichen Schwerpunkt.

Davon erzählt auch dieses Stück in der eher schlichten Inszenierung von Tina Lanik, die dem Zuschauer einen schwarzen Bühnenhintergrund präsentiert (Kostüme: Natalie Soroko). Fragen des Zen-Buddhismus und Konfuzianismus werden aufgeworfen. Dazu zitiert man dann die philosophischen Erkenntnisse Arthur Schopenhauers vom „Streben und Leiden“: „Das Streben sehen wir überall vielfach gehemmt, überall kämpfend; so lange also immer das Leiden: kein letztes Ziel des Strebens, also kein Maß und Ziel des Leidens.“ Die Personen im Stück sprechen sehr theoretisch und abstrakt, erst allmählich gewinnen die Figuren Leben: „Wir umarmen uns!“ Diesen Verwandlungsprozess machen Katharina Hauter als Adriana, Marco Massafra als Falk, Nina Siewert als Maja, Martin Bruchmann als Matze, Daniel Fleischmann als Ignaz und Marielle Layher als Ismael darstellerisch durchaus packend und plastisch deutlich. Die schreitartige Gehweise der Japaner wird dabei fast schon persifliert. Im christlich-metaphysischen Sinne soll die wahre Natur eines Phänomens ergründet werden. Die Seele wird auch hier zum eigentlichen Kern des Geschehens, die Oberfläche deswegen entwertet. Gleichzeitig haben die Protagonisten aber auch enorme Schwierigkeiten, sich einander anzunähern. Japanische Verhaltensweisen werden angesichts der seltsamen Reise immer wieder aufs Korn genommen. „Irritationen lassen sich durch Umarmungen nicht lösen“, lautet die Erkenntnis.

Der Philosophiedozent Falk scheitert schließlich an der Gruppe. Er hat mit Maja eine heftige Auseinandersetzung, die er zuletzt ins Gesicht schlägt. Sie wirft ihm oberflächliche Seminare über Schopenhauer vor: „Du existierst nicht!“ Auf der anderen Seite fragt sie ihn eindringlich, was denn so schrecklich an ihr sei. Das Imperium ist jetzt plötzlich nicht mehr schön, Falk wird von Majas Freund einfach mit einem Schlag ins Gesicht zu Boden gestreckt. Und hier bricht die Inszenierung etwas auseinander, zerfällt in Einzelheiten. Doch Marco Massafra als Falk und Nina Siewert als Maja haben bei dieser Szene den stärksten schauspielerischen Auftritt. Es ist auch ein seltsamer Kontrast zur Besonnenheit der japanischen Gesellschaft, der sich dabei offenbart. Falk hält einen stark abstrakten Vortrag über „Yügen“, einen aus dem Chinesischen kommenden Begriff, der so viel wie „dunkel, tief und mysteriös“ bedeutet: „Die sinnliche Erfahrung ist vollkommen. Erst durch das Wort wird sie verkleinert.“ Es folgt die Erkenntnis, dass man der Komplexität einer Welt begegne, indem man sie verkleinere und verallgemeinere: „Wenn wir Fragen stellen, haben wir meist die Antworten schon im Sinn“. Die Gruppe zerfällt schließlich, einer nach dem anderen verlässt den Raum durch die Türe. Was dann folgt, weiß niemand.

Persönlichkeit und Selbstbild des Deutschen sind anders als das der Menschen in Südostasien, aus westlicher Perspektive werden die dortigen Denkstrukturen rasch abgewertet. Japaner denken auch oft nicht in Globalisierungszusammenhängen, sondern stehen in einem konkreten Verhältnis zu den Problemen. Das hätte auch die Inszenierung noch deutlicher herausarbeiten können. Doch viele Details treten szenisch klar und deutlich hervor. Der Autor möchte sich aber anderen Denkstrukturen öffnen – christliche Metaphysik soll nicht gegen östliche Anschauungen ausgespielt werden. Die Integration innerhalb der Gruppe scheitert bei dieser Japan-Reise aber trotzdem. Harmonie und Freiheit bleiben auf der Strecke. Außerdem wirkt das Sprechtheater von Stockmann zuweilen auch hölzern, erst allmählich gewinnen die Personen eine ungeahnte Lebendigkeit. Daran haben die durchweg überzeugenden Schauspieler an diesem Abend großen Anteil. Der begeisterte Schlussapplaus des Publikums war ihnen deswegen sicher. Dies schloss die schlichte Musik von Franz Schubert mit ein. 

Alexander Walther

 

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