Felix Strobel. Foto: Bjoern Klein
„Cafe Populaire“ von Nora Abdel-Maksoud am 21. April 2019 im Foyer des Kammertheaters/STUTTGART
DER KNOPF MUSS IN DIE KITA
In der Inszenierung von Anja Schoenwald (Bühne: Saskia Bellmann; Kostüme: Ulf Brauner) wird ein humorvoller Blick auf schwierige Themenfelder wie Sexismus und Rassimus geworfen: „Der Rassismus ist am Telefon. Er möchte wieder kandidieren.“ Hospiz-Clown Svenja wird von Amina Merai mit viel Herzblut gespielt. Sie will die Kleinstadt Blinden zu einem besonderen Ort machen. Dafür betreibt sie jedoch einen V-Log und bewirbt sich mit ihrem illustren Unterhaltungsprogramm beim Gasthaus zur Goldenen Möwe: „Der Abend ist eine Verfehlung“. Das Hospiz wird zu einer Akademie. Mario Barth wird als Hurensohn bezeichnet – und Svenja möchte gerne online gehen, um gute TV-Karriere zu machen. Püppi mimt Felix Strobel voll hintergründiger Ironie, die als älteste Hospizhospitantin im Netz nach einem bolschewistischen Stahlarbeiter annonciert, während der von David Müller burschikos verkörperte Aram aus dem Dienstleistungsproletariat sich um alles kümmern muss. Die wohlstandsverwöhnten Blindener sind sich nämlich für vieles zu fein, was die Inszenierung rasant und skurril einfängt. Die Möwe sucht eine neue Pächterin, Humor ist hier immer wieder eine scharfkantige Waffe.
Amina Merai. Foto: Bjoern Klein
Trotz Max Frisch war die Show aber „scheiße“, so die Meinung von Svenja, die zuweilen ungehemmt herumpöbelt. Der Oberschichtenzirkus eskaliert zusehends: „Ich ruf‘ die Polizei!“ Trotzdem ist man für die Finanztransaktionssteuer. „Es gibt eine Hochkultur und es gibt eine Tiefkultur“, lautet das allgemeine Resümee. Svenja will sich krampfhaft rehabilitieren: „Ich möchte mich für meinen Ausrutscher beim Livestream entschuldigen!“ Sie echauffiert sich über die künstlich befruchtete Turbokuh mit entzündeten Eutern. Bei Püppi ist das Mikrofon kaputt und der „Penis-Propeller“ scheint auch nicht mehr richtig zu funktionieren. Man sehnt sich nach russischen Eiern in pikanter Füllung. Der Don entpuppt sich in der Darstellung von Valentin Richter als Egoist, für den Aram Abschaum ist. In der Anwesenheit des ominösen Don wird Svenja plötzlich ausfällig gegenüber der Unterschicht. Svenjas Klickzahlen steigen durch den seltsamen Don unwillkürlich an: „Das ganze Leben hast du mich verleugnet!“ Doch ein guter Clown würde die menschliche Natur nicht verleugnen, lautet Svenjas Motto. Gegen „Champagner-Sozialismus“ macht diese wilde Truppe mobil. Dann kommt heraus, dass man nicht genug verdient, um sein Kind in die Kita bringen zu können: Der Knopf muss jedoch in die Kita. Svenja wünscht sich das laptopfreie Podium herbei: „Ich bin nicht die rote Zora!“ Don mutiert außerhalb des Foyers zum libertären Hampelmann: „Svenja, was hast du mit mir gemacht?!“ Die Situation eskaliert. „Ich bin Wirtschaftspsychologe“, meint er. Svenja muss sich nun endgültig entscheiden, wie sie mit dem „Man in the Mirror“ umgehen soll, denn er hat ihr böse Gedanken eingeflüstert. Es kommt immer wieder zu einem heftigen verbalen Schlagabtausch, bei dem auch Utensilien herumgeworfen werden. Püppi bricht schließlich zusammen, weil sie einfach keinen Erben für die Möwe findet: „Halt‘ die Schnauze!“
Zuletzt erfährt der verblüffte Zuschauer dann, dass Püppi im Scherenkostüm von einem Auto überfahren wurde, nachdem sie ihr kommunistisches Outfit abgelegt hat. Während der Ort mit Klebebändern abgesperrt wird, sinniert Svenja über „neue Brüste aus Presswurstimplantaten„. Die Inszenierung verliert sich zuletzt rettungslos im Klamauk – doch gibt es zwischen den Slapstick-Einlagen auch hintergründige Einfälle. RTL und SAT1 werden gründlich auf die Schippe genommen.
So entsteht auch Gesellschaftskritik. Und der Bezug ist aktuell: Gerade hat ein Komiker die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine gewonnen (musikalische Einrichtung: Meike Boltersdorf).
Die 1983 in München geborene Autorin Nora Abdel-Maksoud ist auch Schauspielerin und Regisseurin.
Alexander Walther