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STUTTGART: KAMMERBALLETTE – spannende Kombination

26.11.2016 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett

„KAMMERBALLETTE“ 25.11. 2016– Spannende Kombination

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Hyo-Jung Kang und Pablo von Sternenfels in „Neurons“. Copyright: Stuttgarter Ballett

Der im März erstmals gezeigte Ballettabend mit einer Stuttgarter Erstaufführung, einer Wiederaufnahme und einer Uraufführung machte erst jetzt bei wiederholtem Betrachten die Spannung seiner stilistischen Bandbreite und damit die gegensätzlichen Herausforderungen für die Tänzer sichtbar. Und nicht zuletzt steht er für das weite choreographische Feld jenseits der ganz klassischen Ballette und des Cranko-Repertoires.

Hans van Manen hat sicher auch in musikalischer Hinsicht pulsierendere Werke geschaffen als das 1995 beim Nederlands Dans Theater uraufgeführte „KAMMERBALLETT“, beweist aber in diesem stillen Stück um so mehr, wie sich seine ganz auf das Wesentliche reduzierten Mittel in kleinsten Details offenbaren und z.B. nur einen Gang über die Bühne, eine Drehung der Arme oder eine winzige zwischenmenschliche Geste zum entscheidenden Punkt des Verständnisses machen. Wie da die vier weiblichen und vier männlichen Tänzer in ihren gelb, orange, braun und schwarz getönten Trikots in unterschiedlichster Weise mit ihren Hockern die Bühne für sich vereinnahmen und sich in der Folge in wechselnden Paar-Kombinationen und kleinen Gruppen zusammenfinden, beäugen, wie von einander angezogen, dann auch wieder abgestoßen werden, lässt die introvertierte Kreation mit ihren hauptsächlich nachdenklich ausgeprägten Klavierkompositionen von Domenico Scarlatti, John Cage und Kara Karajew zum viel Konzentration erfordernden Kammerspiel werden. Nicht alle der diesmal beteiligten Tänzer beherrschen die Kunst des Zusammenschlusses von Körperbeherrschung und dezent dosierter Mitteilungskraft in gleichem Maße – noch nicht, so dass etwas divergierende Eindrücke entstehen. Besonders hervorzuheben sind Angelina Zuccarini, Louis Stiens und Robert Robinson, die ihre Einsätze mit noch einer Prise durchblitzender Ironie garnieren, weniger Elisa Badenes, die hier im Vergleich zu ihren sonstigen Glanzleistungen nicht so stark zu beeindrucken weiß, und noch weniger die Debutantin Julia Bergua Orero, der als einziger Gruppentänzerin in diesem Ensemble jedoch noch zu wenig mögliche Erfahrung als entlastendes Argument zugestanden werden muss. Van Manens Kunst kommt erst deutlich genug zum Vorschein, wenn sich gereiftere Solisten ihrer annehmen.

Der expressionistische Gegenschlag folgt mit Glen Tetleys, 1969 ebenfalls beim Nederlands Dans Theater uraufgeführter „ARENA“, das damals überaus mutig provozierend erschienen sein muss. Die Krallen dieses Experimentes sind zwar geblieben, vermögen jedoch heute kaum mehr zu verstören. Zu viel hat sich seitdem im Modern Dance ereignet, den Tetley damals aus der klassischen Schule heraus entwickelt hat. Die schwül dumpfe, einer Sauna ähnelnde Atmosphäre, in der Feuchtigkeit und Schweiß geradezu in der Luft liegen, machen zusammen mit der unterschiedliche Schmerzformen imitierenden Synthesizer-Komposition von Morton Subotnick bereits einen Gutteil des Gesamteindruckes aus. Von den sechs Tänzern mit ihren rot bemalten Handinnenflächen, Achselhöhlen und Bauchnabeln können durchaus einzelne, vor allem in ungebändigter Kraftdemonstration dominieren. Sie können wie an diesem Abend aber auch eine gleichmäßigere Einheit bilden. Und bisher noch nicht entdeckt – auch durchaus eine emotionale Ebene schaffen, wie der neu eingesetzte Roman Novitzky mit Louis Stiens in einem in Zeitlupe beginnenden Duo, das die lediglich mit Shorts bekleideten Tänzer wie zwei Tiere einander umgarnen lässt. Pablo von Sternenfels setzt dazu einen Kontrast aus spürbar Temperament bedingten Impulsen, während Alexander Mc Gowan, Ludovico Pace und Roger Cuadrado das ausgewogene Füllelement bilden.

In ihre schon bekannt klassisch grundierten, reizvoll damit spielenden Gefilde führt die choreographierende Halbsolistin Katarzyna Kozielska in „NEURONS“. Ausgangspunkt dieses Stückes sind gemessene menschliche Gehirnströme als auf unser Gehirn auswirkende Stimmungsbarometer. Bereits der Beginn mit dem großen aus der Dunkelheit herausleuchtenden Schweinwerfer-Kranz, dessen Strahlen sich brechen und in der Folge die Akteure in eine Art Weltraum-Galaxie hüllen, und der sich am Ende wieder herabsenkt, öffnet magische Fenster in eine Bühnenwelt. Nach Myriam Simons von einem lichten Zauber umgebenem auf Spitzen getrippeltem Eröffnungssolo in einem kühnen kurzen trichterförmigen Tutu finden sich unterschiedliche Gruppen und Paare, darunter exquisite Erste Solisten wie Hyo-Jung Kang und Constantine Allen, zusammen, die die mit Schick und einem gewissen Kick aufgeladene Spitzentechnik mit neuen Hebungsvarianten zum oft überraschend raffinierten Hingucker macht. Die zunächst meditative, im zweiten Teil in minimalistischer Manier in sich kreisende und beschleunigte Musik (John Adams und Max Richter) ergänzt alles zum animierenden Finale dieses Programms.

 Udo Klebes

 

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