„Melusine – was machst du am Samstag?“ von Catalina Rueda am 22.6.2022 in der Jungen Oper im Nord (JOiN)/STUTTGART
Verführerisches Stimmengewirr
Lena Sutor-Wernich. Foto: Martin Sigmund
Die mittelalterliche Melusinen-Sage wird bei diesem Werk mit dem feministischen und queeren Kampf um das Recht auf die Selbstbestimmung des eigenen Körpers verknüpft. Melusine muss ihren mehrdeutigen Körper geheim halten, um in menschlicher Gesellschaft leben zu können. Das ist für die beiden Preisträgerinnen der Reinhold Otto Mayer Stiftung Catalina Rueda und Lisa Pottstock (Libretto) das entscheidende mythologische Motiv. Catalina Rueda hat dabei zusammen mit der Librettistin Lisa Pottstock eine hybride Monsteroper ab 16 Jahren geschrieben. Man kennt ja auch die Oper „Melusine“ von Aribert Reimann, die aber andere Klangwelten beschwört. Melusine wird hier zum Fabelwesen, das durchaus eine teuflische und dämonische Erscheinung sein kann. Der junge Adlige Raimund tötet hier seinen Onkel bei der Jagd. Dann trifft er auf eine junge Frau namens Melusine, die alles weiß. Sie bietet ihm an, sie zu heiraten. Jeden Samstag zieht sie sich jedoch zurück, um sich in ein schlangenartiges Wesen zu verwandeln. Dieses Geheimnis darf Raimund jedoch nicht verraten, sonst ist ihr gemeinsames Glück verloren. Diese Geschichte geht jetzt viele Jahre gut, sie leben über lange Zeit glücklich im Schloss. Doch als der Bruder Raimund besucht, schöpft dieser Verdacht und beobachtet Melusine heimlich im Bad, wo er ihren schlangenartigen Unterleib sieht. Raimund hütet dieses Geheimnis jedoch für sich, doch das Unglück nimmt seinen Lauf. Die Söhne sterben – und Raimund entlarvt seine Frau in aller Öffentlichkeit als „Schlangenweib“. Melusine ist nun zur Unsterblichkeit als Drachenwesen verdammt und fliegt aus dem Fenster davon.
Der Regisseur Thorsten Cölle bietet hier eine fantasievolle Inszenierung, die mit geheimnisvoll schimmernden grünlichen Nebelbänken beginnt. Dann sieht man eine Landschaft mit Palmen und Sonne, außerdem nimmt man ein Feuerwerk wahr und sieht Schlangen in Video-Einblendung. Utensilien fallen aus einem Schubkarren und verwüsten den Boden. Die Frauen benehmen sich wie Hündinnen und sorgen für szenische Verwirrung. Manchmal verliert die Handlung sogar den roten Faden. Allerdings wird Melusines Fluch aus der Geschichte gelöscht. Sie muss nicht erlöst werden. Selbst im Fisch-Kostüm werden die seltsamen Frauen jetzt sichtbar. Auch das Bühnenbild von Jakob Michael Birn und die Kostüme von Kerstin Hägele unterstreichen die fantastischen Elemente. Die drei Sängerinnen schlüpfen in unterschiedliche Rollen, reden zunächst in verwirrender Weise nebeneinander her. Manches erinnert sogar an den Buddha-Mythos. So singt Ramina Abdulla-zade (Sopran) Melusine und den Bruder gleichzeitig, während Deborah Saffery (Mezzosopran) Melusine und Raimund darstellt. Lena Sutor-Wernich (Alt) interpretiert Melusine ebenfalls mit nie nachlassender Intensität und gesanglicher Leuchtkraft.
Die Musiker des Staatsorchesters Stuttgart spielen dieses vielschichtige Werk unter der kompetenten Leitung von Alan Hamilton mit elektrisierenden Pizzicato- und Glissando-Effekten, wobei auch die Klarinette immer wieder in reizvoller Weise hervorsticht. Akkordeon-Sequenzen werden hier von einem Trommel-Ostinato und Schlagzeug-Attacken ergänzt. In spannungsvollen Intervallen verdichtet sich die Harmonik immer deutlicher. Manchmal meint man fast einen „Salome“-Ruf wie von Richard Strauss zu vernehmen. Auch die Schlagzeug-Attacken gehen unter die Haut. Neben rhythmisch-tänzerischen Assoziationen fallen außerdem Reminiszenzen zu Arnold Schönberg auf. Die Szene „Der Samstag“ wirkt sehr konkret. Sie beginnt nämlich mit einem Chanson, das die Geschichte auf sehr eigentümliche Weise erzählt. Dann vernimmt man eine reizvoll musizierte kolumbianische Tanzmusik, eine Cumbia. Dann singen die drei Sängerinnen zusammen das mittelalterliche Lied „Fumeux fume par fumee“. Und in der Szene „Weiterfragen“ taucht der Begriff des Schicksals auf. Pathetische Klänge und empfindungsvolle Lyrik sind ebenfalls deutlich herauszuhören, was der Dirigent Alan Hamilton wirkungsvoll unterstreicht. Koloristisch variierte Klänge sowie graziöse Figurationen und Melismen wechseln sich bei den Gesangspartien in reizvoller Weise ab.
Begeisterter Schlussapplaus und „Bravo“-Rufe.
Alexander Walther