Musiktheater „Apparat“ nach Franz Kafka am 17.10.2025 mit der Jungen Oper im Nord/STUTTGART
Die Verantwortung des Blickes

Foto: Pavel Svoboda
„Es ist ein eigentümlicher Apparat“ – so beginnt der berühmte Text „In der Strafkolonie“ von Franz Kafka, den der Komponist Christoph Wirth eindrucksvoll vertont hat. Im Gastspiel des Prager Theaters Studio Hrdinu und in der einfühlsamen Regie von Katharina Schmitt wird in einem grotesken Gleichnis eine Welt gezeigt, die wirklich aus den Fugen geraten ist. Der Folterapparat entwickelt sich so zu einer archäologischen Stätte der Blicke. In dieser skurrilen Echokammer wird die bürokratische Welt ad absurdum geführt. Die Verantwortung des Blickes und der Zeugenschaft einer Exekution rücken gnadenlos in den Mittelpunkt.
Der Apparat, den man auf der Bühne sieht, ist inspiriert von historischen Guillotinen aus Holz. Und der Bühnenbildner Pavel Svoboda hat den Unterbau selbst eingerichtet. Darauf steht eine große Box aus Plexiglas. Sie erinnert an David Lynchs Fernsehserie „Twin Peaks“. In dieser Box befindet sich eine Konstruktion, die an einen elektrischen Stuhl erinnert. Bei Kafka spielt das Motiv von Passion und Opfer in jedem Fall eine große Rolle. Das kommt in dieser Inszenierung in wirklich bewegender Weise zum Vorschein. Bilder von Kreuzigung und spiritueller Verklärung rücken dabei immer mehr in den Mittelpunkt. Der grauenhafte Apparat mutiert zur Publikumsattraktion! Und die Zuschauer können ihn zuletzt ganz aus der Nähe betrachten. Sie werden nämlich eingeladen, gemeinsam mit den Darstellern Tee zu trinken. So löst sich das seltsame Betrachten des Leidens anderer schließlich in einem harmonischen Miteinander auf. Franz Kafkas grausamer Text erhält damit einen fast tröstlichen Überbau. Es wird in dieser bemerkenswerten Aufführung immer wieder aus dem Text Kafkas rezitiert. Den hingerichteten Offizier beschreibt der Autor wie folgt: „Es war, wie es im Leben gewesen war; (kein Zeichen der versprochenen Erlösung war zu entdecken;) was alle anderen in der Maschine gefunden hatten, der Offizier fand es nicht; die Lippen waren fest zusammengedrückt, die Augen waren offen, hatten den Ausdruck des Lebens, der Blick war ruhig und überzeugt, durch die Stirn ging die Spitze des großen eisernen Stachels“.
Die Darsteller und Sänger Ivana Uhlirova, Jakub Gottwald, Pasi Mäkelä und Vojtech Sembera flüstern, hauchen und singen die Partitur in zahlreichen sakralen und fast schon surrealistisch wirkenden Passagen höchst eindringlich. Die Welt Francis Bacons ist hier immer wieder präsent. Und die Vorahnung des Totalitären und Dämonischen weist schon auf das spätere Grauen des Nationalsozialismus hin. Wenn der Delinquent von den Zacken aufgespießt wird, erklingen seltsame Arien, deren Intervalle elektrisierend erscheinen. Manchmal scheint die Zeit still zu stehen, das rot angemalte Opfer schreit, gestikuliert, erbricht sich und sackt dann leblos zusammen. Es ist Erlösungstod und blutiges Menschenopfer in einem. Die Musik von Christoph Wirth zeigt die Psychologie dieser unheimlichen Maschine minuziös auf. Akustische Signal fesseln das Publikum in einer ganz eigentümlichen Weise. Nach der letzten Hinrichtung zerfällt alles in Einzelteile und fetzenhafte Motive.
Fazit: Literatur und Musik finden dabei in überzeugender Weise zusammen. (Kostümbild: Patricia Talacko).
Alexander Walther

