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STUTTGART / "Junge Oper" im Kammertheater: SCHAF von Sophie Kassel. ZWISCHEN WELTKUGEL UND ALDI-TÜTE

22.10.2015 | Oper

Sophie Kassies „Schaf“ als Wiederaufnahme der Jungen Oper Stuttgart im Kammertheater

ZWISCHEN WELTKUGEL UND ALDI-TÜTE
„Schaf“ von Sophie Kassie als Wiederaufnahme im Kammertheater am 23. Oktober 2015
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Jörg Meder, Alice Fuder, Daniel Keating Roberts. Foto: C. Kalscheuer

„Warum bin ich nur so ein dummes Schaf?“ fragt sich Daniel Keating-Roberts als Countertenor verzweifelt. In der subtilen Regie von Rogier Hardeman (Ausstattung: Anna Stolze; szenische Neueinstudierung: Barbara Tacchini; Dramaturgie: Koen Bollen) und mit der stilgerechten Musik von Henry Purcell, Georg Friedrich Händel und Claudio Monteverdi nimmt diese vergnügliche Geschichte für Kinder von 5 bis 9 Jahren und ihre Familien rasch Gestalt an. Schaf, das in seiner Herde weidet, freundet sich eines Tages mit Philip Wilhelmi als majestätischem Prinzen Lorenzo an, der auf der Flucht vor seiner Zukunft als König ist. An der Decke hängen bei dieser einfallsreichen Inszenierung zahlreiche Utensilien wie Weltkugel, Schlagzeug, Instrumente und Aldi-Tüte. Man kann sich plötzlich vorstellen, wie auf einmal hunderttausend Schafe dastehen und sich das Gras gut schmecken lassen. Und über allem schwebt die Glitzerkugel. Schaf hilft dem unsicheren Lorenzo, seine Krone zu verstecken. Nun sind die beiden Freunde. Schaf hat jedoch keinen Namen und leidet darunter. Deswegen sucht es seinen Namen in der Welt. Nach vielen Abenteuern kehrt Schaf mit einem Schächtelchen zurück, indem sich sein Name befndet. Und Lorenzo möchte nun doch endlich König werden. Zwischendurch ist das Schaf sehr einsam und wird von der Herde gemieden: „Du bist anders!“ Doch bald wendet sich das Blatt und die Herde meint anerkennend: „Schaf ist hier der Chef!“ Auf einer Drehbühne kann man den Verlauf des Geschehens in eindringlicher Weise nachvollziehen. Luken werden geöffnet, Protagonisten verschwinden im Untergrund. Schaf hat gelernt, wie kompliziert es ist, gleichzeitig ein Herdentier, ein Freund und ein spezieller Jemand zu sein. Vor allem die einzelnen Musikstücke sind bei dieser gelungenen Produktion ein Genuss. „Das ist Schaf in seiner Herde“ variiert in kunstvollen chromatischen Figurationen Henry Purcells „Ode for the birthday of Queen Mary“. Prinz Lorenzo möchte absolut nicht König werden und behauptet: „Ein Freund braucht einen Namen!“ Georg Friedrich Händels Arie „In quel bosco sen venne cheto“ aus „Vedendo amor“ besticht hier einmal mehr durch subtile Klangsensibilität. In der Konzentration auf die große melodische Geste ist auch Schafs Reiseabenteuer auf der Suche nach einem Namen mit Musik von Georg Friedrich Händel zu verstehen (wieder aus „Vedendo amor“). Doch Claudio Monteverdi zeigt mit suggestiven rhythmischen Ostinati, dass Schaf ohne Namen die Stadt nicht betreten darf. Sein Madrigal beeindruckt auch hier mit gewaltiger Raum-Klang-Wirkung. Monteverdis „La Lotta“ fragt: „Es lebe der Prinz?“ Man spürt sogar den strengen Chorsatz der Palestrina-Zeit. Als „illegales“ Schaf ist das arme Tier auf der Flucht vor dem Torwächter. Und die Musik von Georg Friedrich Händel begleitet diese wichtige Erkenntnis wiederum mit großen, klaren Linien und gegenüber Bachs vielgestaltiger Polyphonie mit einem eher homophonen Zug. Alice Fuder brilliert zudem als voluminöser Engel mit weichem Timbre.

Die gut aufeinander abgestimmten Musiker Ricarda Hornych (Laute, Theorbe) und Jörg Meder (Viola da gamba, Violine) agieren unter der einfühlsamen Leitung und dem subtilen Cembalospiel von Nicholas Kok mit kontrapunktischer Logik und genauer Durchformung sowie Akzentuierung des jeweiligen Details. Auf dem Friedhof geht Schafs Suche mit der impulsiven Musik von Georg Friedrich Händel und Giovanni Battista Vitali intensiv weiter. Lorenzo tritt mit Händels vielgestaltiger Harmonik auch der Bruderschaft bei, was bei den zahlreichen Kindern im Kammertheater große Begeisterung auslöste. Lustig wird es auch, als Schaf in einen Maskenball gerät und auf der Bühne nur so herumwirbelt. Musikalisch wird diese Performance schwungvoll mit Improvisationen über La Follia, Canarios, Chiacona und Tarantella begleitet. Die Bruderschaft zieht mit gregorianischen Chorälen und schwarzen Mönchskutten aus dem 11. Jahrhundert vorüber – und ein Engel schenkt Schaf einen Namen in einer kleinen Schachtel mit Musik von Claudio Monteverdi, die sich immer weiter auffächert. Da es in einer Schafsherde keinen speziellen Jemand gibt, zieht mit Antonio Vivaldis Stretta-Presto in g-Moll aus „Der Sommer“ („Vier Jahreszeiten“) sogar ein wilder Sturm auf, der das Schaf nur noch mehr verwirrt. Doch die Geschichte geht mit der Musik von Monteverdi letztendlich gut aus, denn Prinz Lorenzo will nun tatsächlich König werden. Mit der polyphon reichen Cantate Domino aus „Motetto in loco repetitur antiphonae“ wird diese Aufführung zu einem wahrhaft krönenden Abschluss geführt. Vor allem die Kinder reagierten höchst begeistert, denn sie begriffen, dass die wichtige Frage „Wer bin ich?“ in der Person des Schafes hier bestmöglich gelöst wird.

 
Alexander Walther

 

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