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STUTTGART: I PURITANI von V. Bellini. „Gefangen in der Festung“. Premiere

09.07.2016 | Oper

Bellinis „Die Puritaner“ in der Staatsoper Stuttgart. GEFANGEN IN DER FESTUNG

Premiere „Die Puritaner“ von Bellini am 8. Juli 2016 in der Staatsoper/STUTTGART

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Edgardo Rocha, Gezim Myshketa. Copyright: A.T.Schäfer

Die Melodien Bellinis könnten schöner nicht geträumt werden“, meinte einst Richard Wagner über den früh verstorbenen italienischen Belcanto-Meister. Jossi Wieler und Sergio Morabito haben nun in Stuttgart eine Neuinszenierung dieser letzten Oper Vincenzo Bellinis präsentiert, die sehr gelungen ist und das Publikum ungemein fesselt.
Die wechselnden Schauplätze spielen hinter Festungsmauern. England befindet sich im Bürgerkrieg. Mit der Hinrichtung des mit den Katholiken paktierenden Königs Karl I. eröffnet Oliver Cromwell eine protestantische Republik. Auf der Puritaner-Festung Plymouth sind hektische Hochzeitsvorbereitungen in vollem Gang, obwohl die Braut eigentlich nicht weiß, mit wem sie verheiratet werden soll. Elvira erfährt als Tochter des puritanischen Generalgouverneurs, dass der für sie ausgesuchte Bräutigam kein anderer als der von ihr geliebte Ritter Arturo ist. Doch Arturo ist eingefleischter Royalist und missbraucht die Gunst der Stunde, indem er mit der Witwe des enthaupteten Stuart-Königs Enrichetta von Frankreich flieht. Arturo wird jedoch entdeckt und Riccardo verkündet dem Verräter das Todesurteil. Im Moment seines Todes enteilt Elvira dem Wahnsinn.

Jossi Wieler und Sergio Morabito haben ihre Inszenierung (Bühne und Kostüme: Anna Viebrock) mit der Originalkleidung aus der damaligen Zeit angereichert. Im dritten Akt sieht man dann innerhalb der Bühnenmitte ein kleines Haus, in dem die Gefangenen versteckt sind. Über den oberen Steg der trostlosen Festung ziehen die Gefangenen und Fliehenden vorüber. Die Bühne ist mit zahlreichen Gemälden bedeckt, die vor allem den hingerichteten britischen König Karl I. und seine Frau Enrichetta von Frankreich zeigen. Enrichetta ist ebenfalls immer wieder dem Wahnsinn nahe, küsst das Bildnis ihres enthaupteten Gatten, bis eine wütende Menschenmenge ihr das Gemälde entreisst und sie brutal in ein dunkles Verlies sperrt. Diese Szene im ersten Akt ist ungemein packend und auch erschütternd inszeniert, man wird als Zuschauer am Geschehen ganz unmittelbar beteiligt. Die Inszenierung macht die Reibung zwischen der historisierenden Stoffvorlage und einer überbordenden musikalischen Eigendynamik sehr geschickt deutlich. Jeder Realismus wird ad absurdum geführt. Verkürzungen, Verschiebungen und Verformungen innerhalb der Handlung stehen im Zentrum dieser psychologisch drastischen Aufführung. Die Schizophrenie Elviras prägt den gesamten Handlungsablauf. Ein großes Plus dieser Inszenierung ist, dass ihre musikalische Qualität ebenfalls enorm hoch ist.

Dafür sorgt in erster Linie der sehr erfahrene „Maestro“ Giuliano Carella, der nicht nur den betörenden Belcanto-Zauber heraufbeschwört, sondern den verschiedenen harmonischen Ebenen dieses Meisterwerks in bestem Sinne gerecht wird. Vor allem die neuartige rhythmische und metrische Flexibilität kommt hier überaus leuchtkräftig zum Vorschein. Weite Unisono-Bögen und ein robust-polonaisenhafter Männerchorsatz mit dem bestens disponierten Staatsopernchor Stuttgart in der souveränen Einstudierung von Johannes Knecht sorgen für zahlreiche akustische Höhepunkte. Vor allem die begeisternde lyrische Kraft dieser Musk überträgt sich in fabelhafter Weise auf die Sängerinnen und Sänger – allen voran die koloraturensicheren Sopranistinnen Ana Durlovski als Elvira und Diana Haller als Enrichetta von Frankreich, die sich gegenseitig in figurativer Geschmeidigkeit und intensiver gesanglicher Leuchtkraft zu übertrumpfen scheinen. Militärische Signalhörner verkünden revolutionär den Tagesanbruch, nehmen Berlioz und Wagner gleichsam vorweg. Sechsachtel -und Dreivierteltakt bringen hier den harmonischen Ablauf in eine seltsame Balance. F-Dur-Frömmigkeit beherrscht dabei sehr stark die Szene, der Ana Durlovski als Elvira einfühlsam begegnet. Roland Bracht ist ein stimmlich wahrhaft prachtvoller Generalgouverneur Lord Valton, der den Leiden seiner Tochter Elvira aber hilflos gegenübersteht. Adam Palka als sein Bruder Sir Giorgio berichtet bei der elegischen As-Dur-Romanze zwischen zeremoniellen Rhythmen und Seufzermotiven mit sonorer Stimmführung vom Leid der Wahnsinnigen. Der grandiose uruguayische Tenor Edgardo Rocha begeistert mit schwindelerregenden Höhenflügen als unglücklicher Lord Arturo, der Dirigent Giuliano Carella legt hier auch besonderen Wert auf den heroischen Charakter dieser innerlich vibrierenden Musik.

Sergio Morabito und Jossi Wieler haben bei ihrer Inszenierung immer wieder Gewitter- und Donner-Effekte sehr geschickt mit dem musikalischen Ablauf verbunden, der eine unheimliche Aura heraufbeschwört. Im dritten Aufzug beherrschen die d-Moll-Harmonien die szenische Entwicklung, die sich immer mehr aufzuspalten scheint. Heinz Göhrig als Sir Bruno sowie Gezim Myshketa als energischer Sir Riccardo ergänzen hierbei das Ensemble mit fulminanter gesanglicher Kraftentfaltung. Ausdrucksvolle chromatische Linien begleiten dabei den Marschtritt vorüberziehender Häscher, der Chor scheint sich in gespenstischer Zeitlupe zu bewegen oder erstarrt in Unbeweglichkeit. Eine Passage, die stellenweise an den „Tanz der Vampire“ erinnert.

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Ana Durlovski, Adam Palka, Edgardo Rocha. Copyright: A.T.Schaefer

Vampire befinden sich in dieser Inszenierung auch in England. Sie saugen das Land aus und sorgen für den Untergang. Der tragische aktuelle Bezug wird nicht verleugnet. Vincenzo Bellini meinte selbst: „Eine Oper muss uns durch Gesang zum Weinen, Schaudern und zum Sterben bringen“. Dies ist den Stuttgarter Sängern vortrefflich gelungen. Ana Durlovski lässt selbst bei den hauchdünnen Spitzentönen das Glas fast zerspringen, wenn sie von der Harfe begleitet wird. Der Jubel des Wiedersehens steigert sich im letzten Akt bis zum zweigestrichenen D.

Leidenschaftlich musiziert hier auch das glanzvolle Staatsorchester. Nonenakkorde charakterisieren fahl den seelischen Schmerz der Figuren. Vor allem Arturos Abschiedsgesang „Credeasi, misera, da me tradita“ kann man nicht vergessen. Weitgespannte Kantilenen und verminderte Intervalle führen zu feierlichem Des-Dur – es geht vom zweigestrichenen Des bis zum zweigestrichenen F. Das dramatische Element übertrifft dabei aber die lyrischen Sequenzen.

Die frenetischen Begeisterungsstürme des Premierenpublikums waren an diesem denkwürdigen Abend mehr als berechtigt. Keine Frage: Bellini ist viel zu früh gestorben. 

Im Freien begleitet die Oper „Die Puritaner“ in der Pause und am Ende in Stuttgart ein großer Luftballon, der mit Noten beschriftet ist. Man hört noch einmal eine Bellini-Arie. Es scheint fast der Auftakt für die bevorstehende Generalsanierung der Staatsoper zu sein.

Alexander Walther

 

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