Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Gauthier Dance Stuttgart „15 YEARS ALIVE“ – Jubiläums-Programm mit viel Wiedersehensfreude

10.03.2023 | Ballett/Performance

Gauthier Dance Stuttgart: „15 YEARS ALIVE“ 9.3. 2023 (Premiere 1.3.) – Jubiläums-Programm mit viel Wiedersehensfreude

Vor 15 Jahren sah es zunächst so aus, als könnte sich die damals noch 6 Mitglieder zählende Companie kaum eine Spielzeit über Wasser halten – jetzt blickt ihr Gründer und Leiter, der vormalige Solist des Stuttgarter Balletts Eric Gauthier mit Stolz, aber vor allem auch Dankbarkeit zurück auf eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, was ihn zu dem Titel dieses Jubiläums-Programms führte, der glücklichen Erkenntnis nach dieser Zeit noch am Leben zu sein. Mit gewohnt locker charmanter Note moderiert er bzw. kündigt er die einzelnen Stücke spielerisch wechselnd zwischen Deutsch und Englisch mit viel eingestreutem Witz an und sorgt so stets für gute Laune im Publikum.

Die Zusammenstellung vereint die Wiederaufnahme besonders erfolgreicher und beliebter Choreographien und soll somit auch ein Dankeschön für die treuen Zuschauer sein, deren harter Kern ein Freundeskreis mit immerhin gut 600 Mitgliedern bildet.

ay2
Faszinierende Körper-Skulturen:  Shori Yamamoto und Gaetano Signorelli in Bigonzettis „Pression“. Copyright: Jeanette Bak

Zu Beginn steht mit „PRESSION“ ein Werk aus der ersten Spielzeit des Ensembles, das der bedeutendste zeitgenössische Choreograph Italiens, Mauro Bigonzetti in seiner frühen Phase in den 90er Jahren geschaffen hatte. Sein Reiz besteht aus der Zusammenführung zweier total konträrer Tanzstile, wobei das männliche Duo mit seinen körpernah verschlungenen Sequenzen als Markenzeichen des einstigen Aterballetto-Chefs dominierende Akzente setzt. Mit Recht spricht Gauthier in seiner Ansage von Bigonzetti als dem (Auguste) Rodin des Tanzes. Wie eine Skulptur verhaken sich unlösbar vom Boden die Arme und Beine, an diesem Abend die von Shori Yamamoto und Gaetano Signorelli, so ineinander, dass immer wieder neue, wie festgefroren wirkende Einstellungen entstehen. Die unheilvolle Geräuschmusik eines kratzenden oder schlagenden Cellos (Helmut Lachenmann) gibt die Impulse für die Bewegungen der beiden Tänzer. Wie aus einer anderen Welt wirken dagegen die beiden Kolleginnen, Bruna Andrade und Barbara Melo Freire, die sich in transparenten Linien zu Franz Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ mit ihren Körpern spiegeln und zuletzt mit den beiden Männern fusionieren.

An nächster Stelle steht eine spezielle Auftragsarbeit für dieses Jubiläum, ein Tanzfilm des Artists in Residence Choreographen Hofesh Shechter. In „RETURN“ beschäftigt er sich ganz ungewohnt, aber letztlich auch dazugehörend, mit der Endphase unseres Lebens, dem Tod. In einem Leichenschauhaus wird eine Frau aus ihrer Schubkammer geholt, um ihren Geist wieder zum Leben zu erwecken. Wie eine Puppe hängt sie in den Armen eines Tänzers, woraus ein nachdenklich stimmender Totentanz entsteht, der mit hin und her wippenden mechanischen, aber auch gelösten Bewegungen einer Gruppe endet. Ein ungewöhnlicher, aber tief beeindruckender Blick auf das Leben.

ABC“ ist quasi eine Fortsetzung von Gauthiers „101“ und entstand 2019 im Auftrag des langjährigen dänischen Royal Ballet-Principals Johan Kobborg als ironisch durchtränkte Hommage an den Alltag im Ballettsaal. In wenigen Minuten führt ein Tänzer auf Anweisung von Gauthiers Stimme aus dem Off im Geschwindmarsch durch das ganze Alphabet an Ballettbegriffen zwischen klassischer Schule, neuere Formen und eingestreuten Hinweisen sowie angedeuteten Variationen aus berühmten Stücken. Ein konditionell höchst virtuoser wie durch mimische Anreicherungen viel Schmunzeln erweckender Kraftakt – von Luca Pannacci bravourös bestanden und entsprechend bejubelt.

Ein erfreuliches Wiedersehen bietet auch „PACOPEPEPLUTO“ von Alejandro Cerrudo, der einst zur gleichen Zeit wie Eric Gauthier beim Stuttgarter Ballett als Tänzer aktiv war. Dabei handelt es sich wie der Titel nahelegt um drei nahtlos ineinander übergehende Männer-Soli zu nostalgischen Romanzen von Dean Martin, die eine ironische Distanz zu den so gut wie nackten, sich in quirlig phantasievollen und erfindungsstarken Sprung-Kombinationen verlustierenden, wie Kobolde anmutenden Tänzern bilden. Shori Yamamoto, Andrew Cummings und Gaetano Signorelli erfüllen all das mit viel Spaß und einer mitreißenden Leichtigkeit.

gaut1
Debut der Gauthier Dance Juniors in „Ayda“ von Dunja Jocic. Copyright: Jeanette Bak

Eine doppelte Premiere bedeutet „AYDA“ – zum einen ist es die einzige Uraufführung im Programm und zugleich der erste Einsatz für die neu gegründeten Gauthier Dance Juniors, die von jetzt 4 noch auf 6 Stellen erweitert werden sollen – so jedenfalls der Wunschtraum des Companie-Chefs. Die in den Niederlanden lebende und hauptsächlich dort aktive serbische Choreographin und Filmemacherin Dunja Jocic wirkte damit zum ersten Mal in Deutschland und betrachtet die Arbeit mit noch ganz jungen unerfahrenen Künstlern als besondere Herausforderung ihre Intentionen zu vermitteln. Ganz bewusst hat sie sich als sonst eher an größere Stück-Dimensionen gewohnte Tanzschöpferin auf eine Kreation ohne eine konkrete Aussage, sozusagen auf schöne Formen ausgerichtet, entschieden. Ayda Frances Güneri, Maria Sayrach Baró, Angelo Minacori und Arnau Redorta Ortiz behaupten sich mit durchaus schon spürbarem Profil als Ausdrucksträger einer mit visionären und nachdenklichen Ritualen im rundherum dunklen schwarzen Raum spielenden Präsentation.

ayd3
Lakonischer Eroberungsakt: Anneleen Dedroog und Andrew Cummings in Galilis „The Sofa“. Copyright: Jeanette Bak

Ebenfalls noch aus der ersten Saison des Ensembles stammt das seit seiner Weltpremiere 1995 in Lissabon inzwischen zum modernen Klassiker gewordene „THE SOFA“ von Itzik Galili. Hier wurde die #MeToo-Debatte in Form einer Beziehungskiste mit drastischem Körpereinsatz schon sehr früh aufgegriffen. Zum passend bitteren Liebeslied „Nobody“ von Tom Waits ist der Schauplatz das titelgebende Sofa, auf dem ein Junge zuerst ein Mädchen zu erobern versucht und nach Umkippen des Möbelstücks sich plötzlich umgekehrt mit genauso heftigen Avancen eines Mannes konfrontiert sieht. Das verlangt von den drei Akteuren ein ordentliches Gespür für Humor, um die lakonische Betrachtung der Situation erkennbar zu machen. Dies gelingt vor allem Anneleen Dedroog, während Andrew Cummings und Shawn Wu nicht ganz die so herrlich trockene Note einiger früherer Interpreten erreichen.

Das Finale vereint dann sinnvollerweise alle 16 Companie-Mitglieder in Ohad Naharins Signaturstück „MINUS 16“. Das Stück gehört seit der Spielzeit 2016/17 zu Gauthier Dance als die Companie die erforderliche Anzahl im Titel erreicht hatte. Das 40minütige Werk ist im Prinzip eine Zusammenführung von Ausschnitten aus früheren Arbeiten des bedeutenden israelischen Choreographen und als solches ein mittlerweile weltweit gezeigter Klassiker. So groß sich der musikalische Bogen von früher Klassik, über Mambo, wummernde E-Gitarre bis zu Klängen aus der Heimat des Choreographen spannt, so enorm dynamisch ist auch die stilistische Gegensätzlichkeit des Tanzes vom Duo über diverse Formen des Gesellschaftstanzes bis hin zum Stuhlkreis, in dem ein jüdisches Frage- und Antwort-Spiel aufgegriffen wird. Der letzte Teil bringt dann noch einige Zuschauer als Tanzpartner auf die Bühne, die sich dafür bewerben konnten und entsprechend vorbereitet wurden.

Zu den inzwischen erwähnten Tänzern gesellten sich jetzt noch Louiza Avraam, Karlijn Dedroog, Garazi Perez Oloriz, Izabela Szylinska, Sidney Elizabeth Turtschi, Jonathan Reimann, Mark Sampson und Giovanni Visone hinzu. Die Stimmung erreichte zuletzt einen Siedepunkt, der in lautstarke Ovationen zu einem Konfetti-Regen mündete.

Eine würdige Jubiläumsfeier, die den Wunsch nach mindestens weiteren 15 Jahren! aufkommen lässt.

 Udo Klebes

 

 

 

 

Diese Seite drucken