Stuttgart: Gauthier Dance Juniors: „DREAM TEAM“ 21.11.2025 (Theaterhaus) – es lebe die Gemeinschaft!

Mathilde Roberge und Rong Chang in Nacho Duatos „Jardi Tancat“. Copyright: Jeanette Bak
In einem Art Podcast hat Compagnie-Leiter Eric Gauthier die sechs Tänzer seiner wie von ihm gewohnt sehr individuell nach Persönlichkeit, Präsenz und künstlerischer Qualität ausgesuchten Nachwuchs-Mannschaft interviewt und sie nach ihren Empfindungen hinsichtlich des Arbeitens in der Gruppe befragt. Dabei erfahren wir, dass es speziell für die jetzt neu hinzugekommenen drei Mitglieder ein Gefühl des Nichtalleinseins, des Zusammenwachsens und gegenseitigen Vertrauens ist, das sie als Vereinigung stark macht und wie hier zum titelgebenden Dream team werden lässt. Ursprünglich sollte dieses zweite Programm der 2023 gegründeten Junior-Compagnie nach dem angelsächsischen Glücksbringer-Motto für das Brautkleid benannt sein: „something old, something new, something borrowed and something blue“. Doch „Dream team“ ist kompakter und auch ein klarer Verweis auf den, von kurzen eingestreuten Pas de deux abgesehen, ganz auf die Gruppe ausgerichteten hier präsentierten Stücken.
Für welche Qualität Gauthiers Compagnie und nun auch innerhalb kurzer Zeit deren Junior-Ableger steht, zeigt sich an den Namen der überwiegend renommierten Choreographen des Abends, die auch den sechs Nachwuchstänzern Stücke übertragen oder wie in zwei Fällen sogar eigens eine neue Choreographie beisteuern. Auch sie hat Gauthier in einem Podcast, wiederum eingestreut zwischen zwei Werken, nach ihrer Einstellung zur Gruppenarbeit befragt. Entweder sie gibt ihnen mehr Inspiration als nur ein Solist oder ein Paar, in ihr ist eine stärkere Energie spürbar als bei Einzelnen. Oder beim Führen an ihre Grenzen ist ihr wahres Ich zu erkennen.
Aus Zuschauersicht ist hier quer durch alle Beiträge eine Welle an tänzerisch befreiender Kraft spürbar, die zunehmend überschwappt. Zu Beginn symbolisieren die sechs, die Amerikanerin Ashton Benn, die Kanadierin Mathilde Roberge, die Slowenin Naia Dobrota, der Taiwanese Rong Chang, der Australier Atticus Dobbie und der Italiener Giuseppe Iodice in Nacho Duatos 1983 als Debut auch für eine Junior Compagnie (NDT 2) kreiertem „JARDI TANCAT“ (= umfriedeter Garten) als in erdnahen Farbtönen ländlich gekleidete, barfuß agierende Paare die harte Arbeit der Bauern im trocken kargen Katalanien durch einen immer wieder von schweren Bewegungs-Mechanismen und wie sprechenden Händen durchzogenen mühevollen Einsatz, ehe diese sich wieder in befreienderen Formationen auflösen und im Tanz Entspannung finden. Der Titel bezieht sich auf ein Song-Album der ikonischen Widerstandskämpferin Maria Del Mar Bonet gegen das Franco-Regime und fängt die Atmosphäre in leidvollem A capella, dann aber auch hoffnungsvolleren, von Gitarren-Akkorden gestützten Gesängen ein.
Nach diesem „something old“ folgt als „something blue“ und zugleich neu „BLUE BRIDES“ von Barak Marshall. Der derzeitige, auch als Sänger tätige Artist in residence und Hauschoreograph der israelischen Batsheva Dance Company, zielt mit diesem Titel als Chiffre psychischer Labilität missbrauchter und enttäuschter Bräute auf eine Art Moritat in der Verquickung von Tanz und von den Tänzern selbst gesprochenen Texten, wobei die gerade nach oben gestreckten Beine der Tänzerinnen als Lagefläche ihrer Konzepte dienen. Zu internationalen Liebesliedern erzählt Marshall in verschiedenen aneinander gereihten Kurzgeschichten Beispiele gescheiterter Ehen mal voller Zynismus, mal Witz und auch liebevoller Ironie. Mit viel Tempo und angereichert mit vielsagenden Gesten beweisen sich die Tänzer darin auch als Komödianten unter tragischen Vorzeichen.
Zum festen Repertoire der Haupt-Compagnie gehört „LICKETY SPLIT“ (= unverzüglich, blitschnell) bereits seit 2011. Alejandro Cerrudo, ehemaliger Tänzer des Stuttgarter Balletts, hatte es 2006 für Hubbard Street Dance Chicago geschaffen und nun gerne auch an die Jüngsten weitergereicht. In einer reizvollen Mischung aus Geheimnis und exzentrischen Anleihen, aber in allem menschlich und mit viel Humor begegnen sich da drei Paare zur teils augenzwinkernden Indie-Folk Musik von Devendra Banhart in greifbarer Lust am Ausloten komischer Details, die spielerisch in die Tanzschritte eingebettet sind. Dieses „something borrowed“ dürfte solchermaßen umgesetzt weiterhin das Repertoire bereichern.
„Something new“ ist dann zuletzt „HIGH MOON“, ein etwas anders gearteter „Bolero“, ersonnen von der kanadischen Hoffnungsträgerin Virginie Brunelle. Ihre bereits dritte Stuttgarter Kreation hat sie unter idiomatischem Mond-Scheinwerferlicht und mit Lichtkegeln ideal auf die Gauthier Juniors angepasst. Dynamisch fordert sie alle (in Strümpfen tanzend) zu der von Ravels berühmter Komposition inspirierten Musik von Laurier Rajotte bis zur Kompromisslosgkeit heraus und lässt sie zuletzt wie in Ekstase all ihre Energie versprühen, als gebe es kein Morgen mehr. Denn dieser neue Ableger der sich immer weiter nach oben schraubenden Melodie endet nicht in einem Zusammenbruch, sondern in einem dauerhaft ausströmenden Tonschwall.
Spätestens jetzt war klar, dass diese Gemeinschaft wirklich ein Dream team ist. Der Jubel wollte denn auch nicht so schnell enden.
Udo Klebes

