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STUTTGART Gauthier Dance Im März: Proben zu „The Dying Swans Project“ – Ballettgeschichte Live Teil 2

02.04.2021 | Ballett/Performance

STUTTGART Gauthier Dance

Im März: Proben zu „The Dying Swans Project“ – Ballettgeschichte Live Teil 2

Wie bereits im Februar berichtet, gelang es Eric Gauthier mit seiner Compagnie im Theaterhaus Stuttgart der Pandemie zu trotzen, sich durch die aufgrund des verlängerten Lockdowns gezwungene Absage des geplanten Tourenprogramms nicht entmutigen zu lassen und binnen kürzester Zeit ein unglaubliches Projekt ins Leben zu rufen, durch das er nicht nur seinen Tänzern, sondern insgesamt 64 Mitwirkenden die Möglichkeit gab, bei neuen Stücken ihre Kreativität zu entfalten und ihre Botschaft in die Welt zu bringen: Kunst lässt sich nicht aufhalten. So wurde „The Dying Swans Project“ geboren, bestehend aus 16 neuen Stücken von 8 Choreographinnen und 8 Choreographen, die je ein Solo für die 16 Mitglieder der Theaterhaus-Company zu 16 neuen Musikstücken kreierten. Vielleicht weltweit einzigartig ist dabei, dass einige Choreographien komplett via Zoom, im Austausch mit Kanada, Israel, Griechenland oder Berlin, entstanden sind, neben denen, die vor Ort in Stuttgart einstudiert wurden.

Im März lief das Projekt auf Hochtouren, in den Ballettsälen im Theaterhaus und am Löwentor Stuttgart sowie auch auf den sonst leeren Theaterhaus-Bühnen ist Leben wie in einem Bienenstock wieder eingekehrt.    

Im kleinen Ballettsaal am Löwentor probt der langjährige Chef von Aterballetto, der als großer Neuerer des zeitgenössischen Tanzes gilt: Mauro Bigonzetti. Um vor Ort choreographieren zu können nahm der Italiener davor die notwendige Quarantäne in Kauf. „Wenn man hier arbeiten will, muss man das machen“, sagt er, seine Augen strahlen jedoch. Als Muse hat er sich die Tänzerin Garazi Perez Oloriz ausgesucht, dazu einen Namen für das Stück, so außergewöhnlich wie seine Kreation: „la Cigna“, der weibliche Schwan, obwohl es das Wort in der weiblichen Form auf Italienisch gar nicht gibt.

Symbolisch für den See besteht das Bühnenbild aus einem kleinen, hohen, runden Becken, das bei den Dreharbeiten mit Wasser befüllt sein soll. Die Tänzerin geht zuerst im atemberaubenden Balanceakt oben auf dem Rand des Beckens, zuerst gestützt durch den Choreographen, danach „taucht“ sie hinunter um tief nach Luft schnappend wieder aufzutauchen. Man kann sich zunächst kaum vorstellen, was auf oder in der kleinen Beckenfläche entstehen soll, doch die berührende und ausdrucksstarke Musik von Bruno Moretti fängt an und Perez Oloriz wirkt wie entfesselt: sie beugt sich im und über das Becken, bewegt die Arme ‘mal flehend, ‘mal wie mit Flügeln flatternd, streckt ein Bein im Spagat nach oben aus, beugt es danach über den Beckenrand, hebt das Knie wieder neben das Ohr, wirkt fast schlangenartig und äußerst faszinierend.

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Entfesselt-intensiv: Garazi Perez Oloriz bei den Proben zu „La Cigna“ von Mauro Bigonzetti. Foto: Steffen Thalemann

Man sieht dabei so gebannt zu, dass man gar nicht wahrnimmt, wie 3 Minuten (so die Vorgabe Gauthier’s für alle Soli, angelehnt an das berühmte Original „Der Sterbende Schwan“ aus Camille Saint-Saëns „Karneval der Tiere“) vergehen. Bigonzetti gibt Korrekturen, einzelne Teile werden wieder einstudiert, hoch konzentriert, als wäre man mitten im Stück. So entsteht also Ballettgeschichte, in einem kleinen Ballettsaal, einem noch kleineren Becken und man begreift, dass gar nicht mehr nötig ist als Musik, die für sich spricht und eine Tänzerin, die sich davon berühren lässt und dies in Bewegung umsetzt.

Dieses Stück gewinnt vor allem durch dessen Intensität, die vermutlich durch Nahaufnahmen bei den Dreharbeiten sogar noch verstärkt wird.

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Balanceakt: Garazi Perez Oloriz bei den Dreharbeiten zu „La Cigna“ von Mauro Bigonzetti .Foto: Jeanette Bak

Tage später auf der T3 Bühne im Theaterhaus ist das Becken nun nur mit Schaum gefüllt. Wasser war hier doch nicht wie geplant möglich, der Effekt durch den Schaum ist jedoch fast der gleiche. Die Endversion wirkt wie erwartet gereifter, stärker in Erinnerung bleiben dennoch die Eindrücke von der Probe, etwa wie der Schliff eines Diamanten mehr berühren kann, als dessen perfekter Glanz zum Schluss.

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Kraftvoll und berührend zugleich: Garazi Perez Oloriz bei den Dreharbeiten zu „la Cigna“ von Mauro Bigonzetti. Foto: Jeanette Bak

Nebenan im T1 wird gleich danach ein anderes Stück gedreht: „Oloris Oram“ von Elisabeth Schilling. Das Multitalent, das 2016 bereits ihre eigene Compagnie gründete, ist nun frisch als Artist-in-Residence beim TRIFOLION Echternach, Luxembourg, unter Vertrag. Sie beauftragte den Luxemburger Komponisten Pascal Schumacher für die Musik, die ebenso wie ihre Choreographie das Prinzip der Zirkularität ausdrücken soll, u. a. dadurch, dass sich verarbeitete Motive aus dem Originalthema von Saint-Saëns darin immer wieder wiederholen. Schilling wurde dazu inspiriert, durch „Dying Swan“ den Fokus anderes als gewohnt zu setzen, nämlich auf eine Zielgruppe, die nun in der Pandemie weniger Beachtung bekommt: die Jungen, die bedingt durch andere Krankheiten als die allgegenwärtige Infektion, früh sterben müssen und dies auch früh erfahren. Der junge zierlich wirkende Kanadier Mark Sampson ist wie geschaffen für die Choreographie, die mit vielen spiralartigen Bewegungen zugleich Lebensfreude und Verzweiflung ausdrückt.

Die Dreharbeiten dazu sind durch viele Wiederholungen geprägt, man sucht die perfekten Winkel und Aufnahmen für alle Teile des Stückes, im Zusammenspiel mit dem Licht in Tönen von Orange. Es wird vorne getanzt, jedoch sehen alle auf den großen Bildschirm, auf den übertragen wird und daher werden die Anweisungen auch dementsprechend so gegeben, wie die Aufnahmen dort wirken sollen. Sampson macht die Wiederholungen mit unermüdlicher Geduld und stets gut gelaunt, wie alle am Set. Man spürt den Aufwind und die Freude, zumindest wieder für – wenn schon nicht vor – Publikum zu arbeiten.

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Mark Sampson als jung sterbender Schwan in „Oloris Oram“ von Elisabeth Schilling. Foto: Jeanette Bak

Auch hier ist man von der Atmosphäre und allem, was zu den Dreharbeiten gehört, eingenommen und fasziniert von so vielen Eindrücken, die man bei live Vorstellungen oder auch dann, wenn man lediglich das Endergebnis auf dem Bildschirm sieht, gar nicht mitbekommen kann.

Besondere Umstände lassen auch Besonderes entstehen und „The Dying Swans Project“ wird mit Sicherheit in die Ballettgeschichte von Gauthier Dance und nicht nur als etwas Einzigartiges eingehen. Denn das Projekt besteht nicht nur aus Choreographien, die ohne Publikum getanzt und im online Stream übertragen werden. Es wurde an mehreren Locations gedreht und das Projekt ist in zwei Phasen konzipiert: zunächst als Videoclips, abrufbar auf dem Theaterhaus Stuttgart-YouTube-Kanal und dem Instagram-Kanal von Gauthier Dance sowie in der 3sat-Mediathek, wobei einige der Soli auch im Fernsehen übertragen werden. 

Für die spätere live-Vorstellung hat sich Gauthier eine ebenso besondere Bühnenshow einfallen lassen, als Verbeugung vor der Ballettgeschichte und damit vor Michel Fokines Choreografie zum legendären Solo „Der sterbende Schwan“, das Namen gebend für dieses Projekt war: unter dem Titel  „The Dying Swans Live Experience“ ist die Premiere für 22. Mai 2021 im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele geplant.

Stay tuned für mehr Berichte demnächst sowie die Ausstrahlung ab Freitag, 16.April 2021 um 10:00 Uhr auf dem Theaterhaus Stuttgart-YouTube-Kanal und dem Instagram-Kanal von Gauthier Dance.         Dana Marta

 

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