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STUTTGART/ Gauthier Dance: „ELEMENTS“ – Tanz als Medium der Lebensgrundlagen

08.03.2024 | Ballett/Performance

Gauthier Dance Stuttgart

„ELEMENTS“ 7.3. 2024 (Premiere 29.2.) – Tanz als Medium der Lebensgrundlagen

Compagnie-Chef Eric Gauthier hat in seiner Programmatik von Anfang an gerne mit Zahlen gespielt. Im neuesten Ballettabend sind es die vier bestimmenden Elemente, die das Leben überhaupt ermöglichen: Feuer, Wasser, Luft und Erde. In dieser Reihenfolge ist auch das vierteilige Programm aufgebaut. Ergänzend sei noch bemerkt, dass als Premierentag passend der nur alle vier Jahre erfolgende 29. Februar ausgewählt wurde.

Es erstaunt immer wieder welche choreographischen Kapazitäten Gauthier durch seine weitreichende Vernetzung, aber eben auch durch das inzwischen erreichte Renommée seiner Compagnie für neue Arbeiten nach Stuttgart gewinnt.

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Hypnotische Gruppendynamik in „Alone“ von Sharon Eyal. Copyright: Jeanette Bak

 

Zum wiederholten Male kam jetzt die Israelin Sharon Eyal, deren akribisch präziser Stil in Verbindung mit hypnotischer Wirkung gut zum Element des Feuers passt. Auf kleinem Raum bewegen sich die dicht aufeinander geführten Tänzer in „ALONE“ auf halber Spitze. Die gespreizten Hände sind nach vorne gehalten oder eng um den Kopf herum geführt, als wollten sie etwas abwehren und sich davor schützen, während die Körper vorwärts geschoben oder nach hinten geneigt sind. Die Dichte ihrer Positionen lässt die Tänzer wie einen einzigen Organismus erscheinen, der sich einer Flamme gleich dynamisch wechselnd entfacht, angetrieben vom hämmernden Schlagrhythmus der Musik von Elza. In ihren weißen Trikots und hell geschminkten Gesichtern, eingehüllt in einen warmen Lichtraum mutet das Gewoge auf engem Raum wie ein zunächst gleichförmiges, dann aber durch ständige Mäanderungen verändertes Ritual an. Eine hoch konzentrierte und richtig bannende Leistung der sechzehn Compagnie-Mitglieder, die da alle am gleichen Strang ziehen.

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Akrobatisches Unterwasser-Ereignis in „Almyra“ von Andonis Foniadak. Copyright: Jeanette Bak

Das nachfolgende „ALMYRA“ des Griechen Andonis Foniadakis könnte nicht gegensätzlicher sein. Der Sog seines choreographischen Gestaltens entwickelt sich nicht aus dem Einssein aller Beteiligten, seine Urgewalt entsteht aus dem rasend schnell wechselnden Fluss der Bewegungen, der bei aller Kompliziertheit der Figuren nie wie harte Arbeit aussieht. Im Sog vielfältiger Wellen, die durch einen Beamer wie in einem Unterwassertunnel täuschend echt visualisiert sind, winden sich die drei Tänzerinnen (Bruna Andrade, Anneleen Dedroog, Garazi Perez Oloriz) und fünf Tänzer (Shai Ottolenghi, Locke Egidio Venturato, Giovanni Visone, Shawn Wu, Shori Yamamoto) übereinander und unten durch, nur selten in etwas ruhigerem Fluss, meist im kräftigen Strom sich türmender Wellen. Atmosphärisch unheimlich dräuend bewegt vom wummernden musikalischen Sound von Julien Tarride, in den sich immer wieder sirrende und flirrende Tonschichten mischen. Teils waghalsig schnelle akrobatische Positionsabfolgen rauben fast den Atem wie eingeschlossen im Wasser. Der am Meer aufgewachsene Choreograph weiß um die Unerbittlichkeit des flüssigen Elements Bescheid, seit er wohl selbst fast ertrunken wäre. Offen bleibt nur die Frage, warum er seine Tänzer in edlen farbkräftigen Samt-Schwimmgarnituren den Kampf mit der nassen Materie aufnehmen lässt?

 

Nach der Pause stürzt sich die bereits in den beiden ersten Stücken geforderte Anneleen Dedroog in das 17minütige! Solo „ETHER“ der Choreographin Louise Lecavalier. Die meist für sich selbst kreierende führende zeitgenössische Tanzschöpferin Kanadas, lange Zeit an der Spitze der revolutionären Compagnie La La La Human Steps, machte für Gauthier Dance nun eine Ausnahme und überarbeitete bzw. erweiterte ihr 2012 entstandenes  Solo „So blue“ für gleich drei alternierende Mitglieder von Gauthier Dance. Dedroog, die auch die Premiere vor einer Woche bestritten hatte, entfacht gemäß dem Thema Luft, wobei der Titel Äther im Prinzip alle vier Elemente vereint, akustisch unterstützt von strengem Schlag-Rhythmus, einen unaufhörlichen Wirbel an aneinander gereihten, vielfach wiederholten Bewegungs-Mechanismen – teils wild, nur kurz etwas entspannter. Außer einem phasenweise einbezogenen Ventilator ist die Bühne so gut wie nackt, auch weiß und kalt im Licht, so dass gegen Ende des konditionell fordernden Akts doch etwas die Luft ausgeht. Zum Glück aber nicht der Tänzerin, die für ihren Höchsteinsatz an diesem Abend nur zu bewundern ist und mit Jubelschreien und Getrampel gefeiert wird.

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Körperlich emotionale Vereinigung in „Spighe“ von Mauro Bigonzetti. Copyright: Jeanette Bak

Das Finale war verständlicherweise für den hier schon fast beheimateten Mauro Bigonzetti reserviert, der seit den Anfängen der Compagnie vor fünfzehn Jahren regelmäßiger Gast ist und mit seinen in der Tanzwelt vielseits geschätzten körperlich wie emotional bewegenden Schöpfungen besondere Aufmerksamkeit genießt. Es war auch klar, dass er als auf dem Land lebender und nach eigenem Bekenntnis mit der Erde besonders verwurzelter Mensch die ideale Wahl für dieses Element ist. So entstand mit „SPIGHE“ (=Ähren) der Blick auf eine Gruppe ländlich gekleideter Arbeiter, die in ihren stets vom Boden angezogenen oder auf diesen bezogenen Tanz-Gebilden das Ringen um den Erhalt des uns ernährenden Bodens verdeutlichen. Vieles passiert in Gemeinschaft, dazwischen stehen kleine Pas de deux, in denen u.a. ein Koffer mit Griffen auf beiden Seiten zum reißenden Objekt der Auseinandersetzung zwischen Bleiben und Verlassen wird. Die körperliche Kraft kombiniert mit innerlich bewegendem Ausdruck macht auch dieses Stück zu einer Herzensangelegenheit. Klanglich vervollkommnet durch den Wechsel von intimer Klaviermusik von u.a. Domenico Scarlatti, Film-Musik von Ennio Morricone und urwüchsiger italienischer Volksmusik, zu der sich zuletzt alle in einen furios leidenschaftlichen Tanz stürzen, der an Bigonzettis Hauptwerk „Cantata“ erinnert. Der Vollständigkeit und Fairness halber seien hier noch die bislang nicht genannten Ensemble-Mitglieder aufgeführt: Karlijn Dedroog, Barbara Melo Freire, Rina Pinsky, Izabela Dzylinska, Sidney Elizabeth Turtschi, Andrew Cummings,  Lucca Pannacci und Arnau Redorta Ortiz.

In Summe ein Abend, der so gut wie keine Wünsche offen lässt und nur am Ende die Frage aufwirft, warum drei der vier Choreographen bei der Beschäftigung mit den vier natürlichen Elementen auf elektronisch erzeugte und/oder verstärkte Musik setzen, wo es doch in der Musikgeschichte aller Perioden bis in die Gegenwart genügend Beispiele gibt, die sich programmatisch damit auseinandersetzen.

Mit diesem wie fast immer begeistert gewürdigten Programm dürfte die Compagnie ihren Ruf auch bei den bevorstehenden Tourneen bis nach Kanada weiter festigen.

Udo Klebes

 

 

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