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STUTTGART: EUGEN ONEGIN – Szenischer Querschlag in eine musikalische Sternstunde

27.01.2017 | Allgemein

Stuttgart

„EUGEN ONEGIN“ 27.1. 2017 (WA 18.12.) – Szenischer Querschlag in eine musikalische Sternstunde

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Mit Herz und Seele erfüllt:  Atalla Ayan (Lenski), Idunnu Münch (Olga). Copyright: Martin Sigmund

Tschaikowskys Lyrische Szenen als aufwühlendes musikalisches Drama musiziert und bis in die Nebenrollen hinein vokal erfüllt – ein Fazit über diese größtenteils umbesetzte Neueinstudierung, das bedauern lässt, dass das Opernhaus sogar vor dem Wochenende nur gut zur Hälfte gefüllt war. Sollte sich allerdings die szenische Verweigerung des Stückes (dazu später noch) mittlerweile in weiten Publikumskreisen herum gesprochen haben, wäre dieser Mangel an Besuchern auch zu verstehen. Dennoch hätten die aktiven Künstler mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt.

Bei so viel musikalischem Glück wie an diesem Abend fällt es schwer einen Anfang zu machen. Beginnen wir am besten beim Dirigenten, der letztlich als Leiter für das Funktionieren zwischen Orchester und Bühne, für die Basis der Solisten wie auch des Gesamtklanges verantwortlich ist. Timo Handschuh hatte bereits als ehemaliger Assistent des früheren GMD Manfred Honeck ausgezeichnete Vorstellungen nachdirigiert und kehrte nun – mittlerweile GMD am Ulmer Theater – als Gast für diese Neueinstudierung nach Stuttgart zurück. Er tat genau das, was Tschaikowskys episodischer Werkcharakter und diese speziell ausgerichtete Partitur benötigen: die durchgehende Balance zwischen zurückhaltender kammermusikalischer Feinarbeit und dennoch unter der Oberfläche nervig pulsierender Anfeuerung zu halten. Mit dem hellwach und ohne jegliche Hornkiekser brillant aufgelegten Staatsorchester Stuttgart entfaltete er den ganzen Stimmungszauber vom Idyllischen bis zum Explosiven, gab er den Ball- Nummern (Walzer und Polonaise) eine leichte Mischung aus Eleganz und Straffheit, und all den sinnierenden Phasen Zeit zur Entfaltung wie auch den ausbrechenden Konflikten den aufreibenden und doch unter Kontrolle gehaltenen Zunder. Nichts artete in Zerfasern, aber auch nicht in Lautstärke-Grade aus, die trotz der hier für Tschaikowskys symphonische Verhältnisse reduzierten Orchesterbesetzung gefährlich nahe liegen.

Für die Vokalisten waren somit die besten Voraussetzungen gegeben und sie nutzten sie auch in ihrer offensichtlich uneingeschränkt guten Verfassung. Nikolay Borchev lotete als Muttersprachler die Nuancen der Titelrolle dank präziser Musikalität und mit seinem in der vollen Höhe fast tenoral hellen Bariton plastisch aus, ließ mit vor allem im mittleren und oberen Bereich fülliger Tongebung die auch rein gesanglich lohnende Partie voll bewusst werden. Mit passend jugendlichem Alter und einer eher aus Hilflosigkeit und Unerfahrenheit denn aus bewusstem Hochmut gespeisten arroganten Lebenshaltung erweckte er nicht nur Befremdung, sondern auch berührende Facetten einer gestörten Seele. Erst dadurch wird die Wiederbegegnung mit Tatjana und ihre finale Auseinandersetzung zum packenden Wechselbad der Gefühle. Rebecca von Lipinski kann da mit ihrem bis in die expansiv aufreißenden Spitzen transparent und leuchtend klar bleibenden Sopran das passende Gegengewicht schaffen. Die Briefszene gestaltete sie einer widerstrebenden Szene zum Trotz mit all den erdenklichen Nuancen einer aufgewühlten jugendlichen Träumerei. Ganz im Kontrast zu Idunnu Münch aus dem Opernstudio, die ihrer Schwester Olga durch den dunklen Glanz ihres tiefensatten Mezzos den passend unbedarften, lockeren Charakter gibt.

Mag romantische Schwärmerei wie die des Dichters Lenski heute manchem übersteigert erscheinen – mit so viel Herz, unaufgesetzter Emotion und dazuhin betörend schönem Tenortimbre wie von Atalla Ayan zum Strahlen gebracht, kann sie selbst in der heute schwer nachvollziehbaren Duell-Aufforderung Onegins nur ins Volle der Publikumsgunst treffen. Nach dem Faust im Herbst ein weiteres gelungenes Debut des Brasilianers.

Dasselbe gelingt – wie bei seinen bekannten Qualitäten nicht anders erwartet – auch Adam Palka, der den Grundsätzen von Liebe und Treue des Fürsten Gremin mit gesättigt edlem Baß in allen Lagen und mit von weitem Atem getragener Phrasierung gebührendes Gewicht verleiht – über alle äußerlichen Gegebenheiten hinweg.

Nicht zu unterschätzen sind die Beiträge von Jane Henschel, die als großmütterliche Amme Filipjewna mit präsentem und nie in den Bereich des Sprechgesangs flüchtendem Mezzo der Tragik ihres Lebens bewegenden Ausdruck verleiht, und von Helene Schneiderman, die die Mutter Larina in einer reizvollen Mischung aus reifer Darstellungsgabe und unverbraucht frischem Stimmeinsatz erfreulich deutlich zur Geltung kommen lässt.

Das hohe vokale Niveau setzte sich fort bis in die Nebenrollen: Torsten Hofmann als leicht angesäuseltem Monsieur Triquet mit feinem Charaktertenor und Michael Nagls (Opernstudio) gerundeter Bass als viel Teilnahme zeigender Sekundant Saretzki.

Gesanglich voll auf dem Posten, wenn auch spielerisch unterfordert präsentierte sich der Staatsopernchor (Einstudierung: Christoph Heil). Und damit zuletzt noch ein paar Worte zur Inszenierung, deren Details am besten verschwiegen bleiben, über die aber zusammengefasst das Urteil einer konsequenten Verweigerung sowohl von Puschkins Poesie wie auch von Tschaikowskys damit einhergehendem Stimmungszauber gefällt werden muss. Es gehört schon eine gehörige Portion Respektlosigkeit und Ignoranz dazu, über so gut wie alle szenischen und musikalischen wie auch tänzerischen Vorgaben hinweg eine ganz neue, zugegeben in sich wiederum stimmige Geschichte im Umbruch vom Kommunismus zum Kapitalismus in Szene zu setzen und so für einen bei aller Freiheit der Kunst weit überspannten Widerspruch zwischen eingeblendetem Text und Bühne zu sorgen. Und: an einem Haus, wo seit nunmehr bald 50 Jahren John Crankos in jeglicher Beziehung frisch gebliebene und größte Einheit zwischen Dichtung, Musik und Szene aufweisende Ballett-Version Maßstäbe setzt, ist Waltraud Lehners Regietat eine Bankrotterklärung und Schande gegenüber den Autoren zugleich. Und so schränkten die szenischen Gegebenheiten das musikalische Glück empfindlich ein. Einzelne Ovationen, aber uneingeschränkte Begeisterung klingt anders!

 Udo Klebes

 

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