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STUTTGART: DON GIOVANNI – Das Spiegelbild als Erkenntnisträger. Wiederaufnahme

13.11.2016 | Oper

DAS SPIEGELBILD ALS ERKENNTNISTRÄGER

Wiederaufnahme: Mozarts „Don Giovanni“ in der Inszenierung von Andrea Moses in der Staatsoper am 13. November 2016/STUTTGART

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Copyright: A.T.Schaefer

Als Wiederaufnahme kommt diese Inszenierung von Andrea Moses an die Stuttgarter Staatsoper zurück, deren Stärke eindeutig in einer stringenten und fesselnden Personenführung liegt. Eine Drehbühne gibt die Sicht frei auf ein Hotel, in dem sich der Frauenheld Don Giovanni mit seinen verführerischen Gespielinnen tummelt. Aber es gibt natürlich auch Frauen, deren Eifersucht aufgrund Don Giovannis Verhalten mehr als berechtigt ist. Donna Anna und Donna Elvira klagen mehr als einmal ihr Leid. Als Donna Anna ihren Verlobten Don Ottavio umarmen will, sieht sie plötzlich einen Fremden vor sich. Auf die Hilferufe der Tochter eilt der Komtur herbei und zwingt Don Giovanni zum Zweikampf. Der Greis stirbt und der Mörder flieht mit seinem Diener Leporello. Im Hotel verdichten sich dann immer mehr die Szenen zu einem betörenden visuellen Gesamteindruck, denn Don Giovanni wird von der Menge infolge seiner ruchlosen Taten zunehmend bedrängt und verfolgt. Zuletzt lädt er den Komtur als „Steinernen Gast“ zum Abendessen ein, was sich als großer Fehler erweist, denn es wird für Don Giovanni zu einer wahren Höllenfahrt, die nicht mehr aufzuhalten ist. Das Programmheft zitiert unter anderem aus „Justine“ von Marquis de Sade – und das „Missgeschick der Tugend“ wird von Andrea Moses zuweilen boshaft aufs Korn genommen. Und auch Casanova lässt grüßen. Zwischendurch werden in Andrea Moses‘ durchaus packener, moderner Inszenierung Grillwürstchen verspeist und natürlich zahlreiche Frauen verführt, die sich zuweilen aber auch gerne in Pelzmänteln verführen lassen. Man sieht die Fotos der unzähligen Frauen, die Don Giovanni im Laufe seines Lebens eroberte. Die Regisseurin arbeitet plausibel heraus, dass Don Giovanni von allen gehasst wird, obwohl sie ihn brauchen. Zuletzt betreten unheimliche Schlägertruppen zusammen mit dem todbringenden Komtur den Raum, Don Giovanni erschießt sich schließlich selbst in wilder Verzweiflung, nachdem er zuvor von einer Kugel im Arm getroffen und von den Männern heftig attackiert wurde. Gewisse sadistische Sequenzen treten dabei grell hervor. Es ist eine beklemmend-fieberhafte Inszenierung, die ganz von den Elementen zwischen Tragik und Burleske lebt. Auch die Einsamkeit der Figuren im Hotelzimmer zeigt sich in diesen eher tristen Bildern. Kühnheit und Natürlichkeit dieses Werkes kommen trotz der radikalen Verlegung in unsere heutige Zeit bei der Aufführung in eindringlicher Weise zum Vorschein (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Anika Rutkofsky). Zuweilen befinden sich die Protagonisten sogar im Zuschauerraum, wodurch die Distanz zwischen Bühne und Publikum total verdrängt wird.

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Copyright: A.T.Schaefer

Die Abgründe der menschlichen Seele werden von Shigeo Ishino als voluminösem Don Giovanni ausgezeichnet herausgearbeitet. Dies zeigt sich nicht nur beim Duett „Reich mir die Hand“, sondern vor allem auch bei der rasant dargebotenen Champagnerarie oder Don Giovannis Ständchen „Horch auf den Klang der Zither“. Im ersten Akt musiziert das Staatsorchester Stuttgart unter der kompetenten Leitung von Willem Wentzel mit drei Bühnenorchestern höchst transparent gleichzeitig, dadurch kann sich die rhythmische Kraft der Tänze bestens entfalten. Auch die Choreographie von Jacqueline Davenport und Bühne und Kostüme von Christian Wiehle passen sich dem eher schlichten Ambiente an, hinter dem allerdings ein leidenschaftliches Feuer lodert. Dies kommt in der Musik einmal mehr zum Ausdruck.

Melodischer Überschwang und deklamatorischer Ausdruckszauber stechen auch bei Bernarda Bobro als Donna Anna, Sebastian Kohlhepp als Don Ottavio, Adam Palka als Leporello, Serena Farnocchia als Donna Elvira und Esther Dierkes als Zerlina klar und eruptiv hervor. Eine gesangliche Überraschung ist der kurzfristig eingesprungene Liang Li als Komtur, dessen Bühnenpräsenz geradezu gespenstisch und ungeheuerlich wirkt. Hier erscheint Don Giovannis Spiegelbild in einer geradezu grausigen Verfremdung, die den Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren lässt. Und auch die erheblich verletzte Menschlichkeit der betrogenen Frauen sticht wiederholt in erschreckender Weise heraus. Mozarts „wahrhaft großer Geist in der Komposition“ (wie E.T.A. Hoffmann es formulierte) tritt in der subtilen Wiedergabe des Staatsorchesters Stuttgart unter der Leitung von Willem Wentzel plastisch hervor. Die Elemente des volkstümlichen Spektakels werden nicht nur in der Inszenierung, sondern ebenso in der musikalischen Realisierung facettenreich herausgearbeitet. Die d-Moll-Sequenz des Komturs erklingt in wahrhaft schauerlicher Größe – und auch bei Leporellos Registerarie triumphiert Mozarts filigran-graziöser Geist. Der Zauber der Opera buffa ist hier jederzeit deutlich erkennbar. Die bedrohlich überhängenden Bässe der Ouvertüre werden von Dirigent und Orchester in starker Weise betont. Quartintervall und chromatische Schritte sowie Aufstieg und Abstieg der Quarten erhalten eine immer größere Präsenz und Leuchtkraft. Man begreift bei dieser Interpretation, dass die berühmte Komtur-Szene im Finale als Ergänzung der langsamen Einleitung zu begreifen ist – und deswegen umso erschütternder und gnadenloser wirkt. In diesen unheilvoll kreisenden Tonarten gibt es keinen Halt mehr, alles stürzt ins Bodenlose. Willem Wentzel führt als Dirigent seine Sängerinnen und Sänger hier höchst sensibel und einfühlsam. Das gleiche gilt für den von Christoph Heil hervorragend einstudierten Staatsopernchor. Im Dialog zwischen Don Giovanni und dem Komtur dominiert die synkopisch-wogende Bewegung ausgesprochen eindringlich. Der „steinerne Rhythmus“ entfaltet so dämonische Kräfte, die auch das szenische Geschehen bestimmen. Adam Palka kann als fulminanter Leporello dessen unterdrückte Wut und Ungeduld über das Gefesseltsein sehr gut zum Ausdruck bringen. Augenblicke höchster Tonintensität setzen sich durch, die die gesanglichen Ausdrucksmöglichkeiten der Sänger klar bestimmen. Adam Palka als Leporello lebt ganz in den Abenteuern seines Herrn: Sein Register ist gleichzeitig seine Leidenschaft. Er lässt sich eindrucksvoll in die wirbelnde Achtelbewegung hineinziehen, gleichzeitig unterstreicht er die Gegenbewegung aufwärts mit großer Intensität. Auch Don Giovannis Registerarie fasziniert in der Darstellung von Shigeo Ishino aufgrund der Akzentuierung pochender Achtel in der Tiefenschicht. Das elektrisierende Feuer wird hier zum atemlosen harmonischen Flächenbrand, der schließlich nicht mehr zu löschen ist. Willem Wentzel arbeitet außerdem die gleitenden und sirenenhaften Bläser-Übergänge facettenreich heraus. Als von Eifersucht gepeinigter Masetto kann ferner Michael Nagl überzeugen. Esther Dierkes macht als Zerlina exzellent deutlich, wie ihr Widerstand beim absinkenden chromatischen Motiv „non son piu forte“ („ich habe keine Kraft mehr“) einfach fortgetrieben wird. Den Widerstreit zwischen Hoffnung und herbem Schmerz können alle Frauen bei dieser Aufführung packend verdeutlichen. Und die leidenschaftlich warnende Geste zeigt viele Nuancen. Unerwartete Bewegungsformen werden in der Inszenierung von Andrea Moses gut betont. Karnevaleske Momente beherrschen das glänzend gelungene Terzett im zweiten Akt. Nächtliche Szenen verschwinden in unheimlichen Momenten, werfen Fragen auf, fordern Verwechslung und Täuschung heraus. Kadenzen und Ostinato-Motive verdeutlicht das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Willem Wentzel prachtvoll-forsch. Und auch die abschließende Fuge besitzt imposante Größe. Der Komödienschluss hat bei Andrea Moses ihre Berechtigung. Die weiträumige Alla-breve-Bewegung behauptet sich hier glanzvoll. Das Publikum quittierte diese Wiederaufnahme mit begeistertem Schlussapplaus.

Alexander Walther

 

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