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STUTTGART: DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN

03.12.2018 | Oper


Daniel Kluge, Matthew Anchel, Elmar Gilbertsson. Copyright: Matthias Baus

Axel Ranisch inszeniert Sergej Prokofjews „Die Liebe zu drei Orangen“ am 2. Dezember 2018 in der Staatsoper/STUTTGART

ZAUBEREIEN MIT DEM COMPUTER

Da hat Sergej Prokofjew (der gefürchtete Tastenlöwe) doch tatsächlich eine witzig-burleske Oper über einen Prinzen geschrieben, der nicht lachen kann und dafür verurteilt wird, sich in drei Orangen zu verlieben. Farfarello fragt in der Oper den raffinierten Zauberer Celio, ob er ein richtiger oder nur ein Theaterzauberer sei. Bei dieser Inszenierung steht in jedem Fall die unbändige Lust am Erzählen, am Märchenhaften und am Überraschenden im Vordergrund. Der Video- und Computerspielästhetik wird hier breiten Raum gegeben. So wird die „Liebe zu drei Orangen“ eine komische und zugleich märchenhafte Produktion für die ganze Familie. Wie unglücklich der Kreuz-König über die Schwermut seines Sohnes ist, das macht der versierte Bassist Goran Juric fesselnd deutlich. Das Leben des Prinzen (mit strahlkräftigem Tenor: Elmar Gilbertsson) gehört nämlich der bösen Fee Fata Morgana, die von der Sopranistin Carole Wilson mit stählernen Kantilenen verkörpert wird. Sie hat es dem von Michael Ebbecke mit gesanglicher Wucht verkörperten Zauberer Celio abgerungen. Das virtuelle Kartenspiel beherrscht auch in faszinierender Weise das ungeheuer abwechslungsreiche Bühnenbild von Saskia Wunsch. Selten hat man es erlebt, dass die raffinierteste moderne Technik derart gekonnt in den Handlungsablauf eingegliedert wurde. Davon profitieren ebenso die fantasievollen Kostüme von Bettina Werner und Claudia Irro. Die Zauberin bedient sich zur Beseitigung des Prinzen des Premierministers Leander, den Shigeo Ishino mit wandlungsfähigem Bariton verkörpert. Fiorella Hincapie interpretiert mit glühendem Mezzosopran die Sklavin Smeraldina, die sich dem Komplott gegen den unsicheren Prinzen anschließt. So lassen sich die sowieso schon komplizierten Handlungsfäden dieser Oper noch schwerer entwirren. Truffaldino (grandios: Daniel Kluge, Tenor) veranstaltet als gewiefter Spaßmacher des Königs im Festsaal lustige Computerspiele, die immer mehr ausufern. Fata Morgana erscheint plötzlich als alte Hexe, um den Prinzen zu erschrecken. Die wütende Alte verurteilt ihn zur Liebe zu den drei Orangen. Da explodieren die Zaubereien mit dem Computer zu immer wilderen und verrückteren Variationen, die schließlich völlig ausufern. Durch die List einer Köchin werden die Orangen auch noch gestohlen, werden dann während des Heimtransports schwer. Der durstige Truffaldino öffnet zwei davon – doch es entsteigen die Prinzessinen Linetta und Nicoletta (hervorragend: Aytaj Shikhalizade, Alt, und Fiorella Hincapie, Mezzosopran). Sie müssen elendiglich verschmachten, weil kein Wasser in der Nähe ist.


Carole Wilson (Fata Morgana), Michael Ebbecke, (Zauberer). Copyright: Matthias Baus

Für diese turbulenten Szenen hat sich Axel Ranisch in seiner Inszenierung viel Situationskomik einfallen lassen. Die Bewohnerin der dritten Orange, Ninetta (glühend: Esther Dierkes, Sopran), kann gerettet werden. Doch sie wird von Smeraldina in eine Ratte verwandelt. Smeraldina tritt so an Ninettas Stelle – und der König zwingt seinen Sohn, die falsche Prinzessin heimzuführen. Doch der Zauber der Hexe wird gebrochen und der Prinz wird unter dem Jubel des Volkes schließlich mit Ninetta vereint. Für dieses wahrhaft unglaubliche Intrigenspiel hat sich Axel Ranisch bei seiner versierten Inszenierung immer wieder neue Tricks und Kunststücke einfallen lassen. Das kommt beim Publikum sehr gut an. Zuletzt wird sogar das Licht (Reinhard Traub) noch höchst virtuos nach oben gedreht. Damit beleuchtet man grell das glückliche Liebespaar. Im Vorspann inszenieren russische Konstruktivisten von 1918 im Jahr 2018 ein italienisches Renaissancemärchen in deutscher Sprache als Computerspiel. Vater und Sohn beschäftigen sich schließlich eindringlich mit dem Computerspiel. Der kleine Serjoscha (Ben Knotz) kommt aus der Schule gestürmt, um sich ganz seinem Computerspiel „Orange Desert III“ zu widmen. Da geht es dann mit dem Level I weiter: „Lerne den König kennen und finde heraus, woran der Prinz erkrankt ist!“ Schließlich heißt es:“Bring den Prinzen zum Lachen oder töte Truffaldino!“ Daraufhin lautet ein weiterer „Level“-Befehl: „Öffne die Orangen!

Und so gibt es immer weitere und verrücktere Irrungen und Wirrungen im Stil der Commedia dell’arte. Das Auge des Zuschauers wird hier bewusst betört und verführt. In weiteren Rollen gefallen noch Stine Marie Fischer als voluminöse Prinzessin Clarice sowie Matthew Anchel als Köchin/Farfarello und Christopher Sokolowski als Zeremonienmeister und Johannes Kammler als ebenfalls außer Rand und Band geratener Pantalone (Video: Tim Nowak).

Der von Manuel Pujol sorgfältig einstudierte Staatsopernchor Stuttgart leistet mit glasklarer Intonation Vorbildliches. Der zupackende Dirigent Alejo Perez besitzt einen genauen Sinn für Prokofjews extreme rhythmische Exzesse und chromatisch wilde Aufschwünge. Es ist ein Kunststück, das sich so auch die wunderbaren Kantilenen der Sänger mit unstillbarem Feuer entfalten können. Ein großer harmonischer Zauber beherrscht damit die Bühne, der seinesgleichen sucht. Es ist Axel Ranisch als Regisseur dabei gelungen, die Märchen- mit der Computerwelt in raffinierter Weise zu versöhnen und zu vereinen. So profitiert auch die Musik in unerhörter Weise von diesem ungewöhnlichen Experiment. Die rasche Abfolge von Rezitativ und Arioso, Solo, Chor, Gesang und Pantomime wird hier überaus mitreissend verwirklicht. Und das Staatsorchester Stuttgart musiziert dabei mit exaltiert-glühender Emphase und peitschenden rhythmischen Konvulsionen. Die Fesseln der spätromantischen Tradition werden so nicht nur im revolutionären Bühnenbild völlig und radikal gesprengt. Man hört nicht nur die „Skythische Suite“ mit ihrer bombastischen Wucht genau heraus. Da schießen harmonische Vulkane in den Himmel, feurige kontrapunktische Funken heizen das Geschehen bis zum Siedepunkt an. Klare Formen und neoklassizistische Strukturen werden von Alejo Perez mit dem Staatsorchester Stuttgart ebenfalls in ausgezeichneter Weise elektrisierend betont. Virtuose Passagen erreichen so ein immer dichter werdendes Netz unglaublichster thematischer Verstrickungen und Verästelungen. Der musikalische Einfall untermalt hier ergötzliche Bilder in närrisch-skurrilen, bizarren Klangbildern, denen die Sänger hervorragend folgen können. Da gibt es keine Schwächen oder Ausfälle. Von den Kritikern sind die fehlenden lyrischen Passagen in diesem Werk kritisiert werden. Doch das Publikum wird dafür mit einer Musik entschädigt, die weit in die Moderne vorausweist – ja, die die heutige elektronische Musik praktisch vorweggenommen hat. Darauf weisen Axel Ranischs verpixelte Computerspiel-Bilder deutlich hin. Hinzu kommt bei dieser witzigen Inszenierung ein Tross von Sonderlingen, Tragischen, Komischen, Lyrischen, Hohlköpfen, Kleinen Teufeln, Ärzten und Höflingen. Man muss sich deswegen nicht wundern, dass die Uraufführung im Jahre 1921 in Chicago ein Riesenerfolg wurde. Und so war es auch bei der vom begeisterten Publikum heftig bejubelten Premiere in der Stuttgarter Staatsoper.

Am Ausgang wurden den Operngästen dann tatsächlich noch richtige Orangen überreicht.  

Alexander Walther

 

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