Stuttgart: Der Ring des Nibelungen, 2.Zyklus 5.-10.4.23
Copyright: Staatsoper Stuttgart
Nun kann der neue Stuttgarter Wagner-RING als geschlossener Zyklus gezeigt und erlebt werden, und wurde zu Ostern zum 2.Mal gegeben. So separat standen die einzelnen Ring-Teile wahrscheinlich noch nie zueinander, es gab sechs verschiedene Regiehandschriften, sogar, wie in der WALKÜRE, auf die einzelnen Akte verteilt. In ‚Kompensation‘ hat man im SIEGFRIED aber auf eine Neuinszenierung verzichtet, und die alte Version von Wieler/Morabito wieder aufgenommen, um nicht noch mehr Regisseure, Bühnenbidner etc. zu beschäftigen. Aber sicherlich auch deshalb, weil der ‚Siegfried‘ in dem 2000 von Klaus Zehelein initiierten ersten Ring mit verschiedenen Regisseuren wohl am innovativsten empfunden wurde.
Ring-Zampano am Dirigentenpult war durchgehend GMD Cornelius Meister, der das Staatsorchester bestens im Griff hatte, beim Rheingold mit eher langsamen Tempi begann, insgesamt aber den verschiedenen inszenatorischen Sichtweisen eine einheitliche makellose Interpretation gegenüberstellte. Diese zeichnete sich durch einen kompakte optimale Klangfülle bis in die tiefsten Wagnertuben, Austarierung der instrumentalen Stimmen und Motive und aller anderen Themen sowie klugen analytischem Aufbau und damit größtmögliche Durchhörbarkeit der einzelnen Stimmgruppen aus. Sein Staatsorchester schwächelte in keiner Minute des fast 16stündigen Gesamtwerks.
Während der Vorabend, das Rheingold, im Gewand eines Zirkus-Familienunternehmens (Regie: Stephan Kimmig) und ganz entfesselt auch mit Zirkusartistinnen und Boxautos gegeben wurde, herrschte bei der Walküre eher eine gewisse Statik und Introversion, das Spiel mit Ornamenten und Verweisen, in den drei Akten vor. Im 1.Akt von Hotel Modern (Pauline Kalker, Arlène Hoornweg und Hermann Helle) werden in Anklang an den flüchtenden Siegmund Mäuse auf ihren Fluchtwegen im Video, aber auch einzelne Mäuse von Puppenspielern gezogen, gezeigt. Siegmund und Sieglinde sind bei der Labung mit Getränken mit Stühlen bewaffnet, die sie sich ornamentartig reichen und mit ihnen Einschenkbewegungen nachahmen. Danach trinken sie sich aus den Händen. Der 2.Akt von Urs Schönebaum, Kostüme: Yashi, zeigt in Walhall einen undefinierten Bühnenraum mit Geschwadern von teils farbigem Nebel, in dem die Figuren in Kostümen der Wagner-Zeit 19.Jahrhundert agieren. Im dritten Akt mit Walkürenritt und Schlafversenkung Brünnhildes hat dagegen bunte popart Einzug gehalten, in dem Ulla von Brandenburg (Co- Regie Benoit Résillot, Julia Mossé) die Walküren in bunt gestreiften Kleidern auf wellenartig sich bewegenden bunten Hügellandschaften choreographiert auftreten und Brünnhilde in einer runden Kuhle in Seitenlage und ohne zusätzliches Feuer in Schlaf versenkt wird.
Der Siegfried mit Jossi Wieler/Sergio Morabito macht in den Bühnenbildern Anna Viebrocks aufs schärfste die Zuspitzung zur imperialem Blut- und Eisen-Gesellschaft deutlich.
Zur ‚Götterdämmerung‘ verweise ich auf meine Premierenkritik vom 28.1.23 im Online Merker. Hier gehen heterogenste Szenenelemente ineinander über. Nur kann man jetzt die Doppelrolle Hagen-Alberich auch so interpretieren, daß Alberich infolge Kettenrauchens bei Wieler/Morabito inzwischen verstorben ist. Die Götterdämmerung wird von Marco Storman in allen Balangen als völlig extrovertiert und nahezu aus dem Ruder gelaufen dargestellt und positioniert sich damit besonders auch in Gegensatz zu den Walküre-Interpretationen. So heterogen die Ansätze alle sein mögen, es werden aber keine neuen oder anderen Geschichten als die vorgegebenen erzählt. Es gibt keine keine Narrative, die aufs Gesamtgeschehen projiziert, die Oberhand gewinnen. Besonders hier schließt sich der Ring, indem er den Rheinnixen zurückgegeben wird, und nicht etwa wie in der letzten Bayreuther Ring- Inszenierung von Valentin Schwarz, wo das am Ende keine Rolle mehr spielt und etwa die Ausschaltung von Roß Grane als Alter (anderer) Siegried zum Hauptmoment gerät.
SängerInnen-Höhepunkte setzen im Rheingold Goran Juric als Wotan, Robin Adams als Alberich, David Steffens als Fasolt und Esther Dierkes als Freia. In der Walküre ragt Simone Schneider als Sieglinde heraus, Okka von der Damerau gibt als Mezzosopran eine beachtliche Brünnhilde. Auch der Wotan von Thomas J.Mayer, inzwischen Bayreuth-erprobt, erreicht stimmlich und ‚herrisch‘ eine Topleistung. Annika Schlicht gibt eine eigenwillige ‚gründerzeitliche‘ Fricka.
Im Siegfried‘ kommt Stefan Vinke mit einer völlig disinvolvierten (keine Grenzen kennenden) Titelrolle daher. Hier ist aber auch Tenor Matthias Klink, der im Rheingold den Loge viel zu veristisch knarzend interpretierte, mit einzigartigem Mime-Gesang präsent. Als Wanderer kann sich Thomas Mayer noch steigern und kommt in eine ganz heldische Ph(r)ase, auch im Schlagabtausch mit Erda (Stine Marie Fischer), die nicht nur schön timbriert in ihrem Appartement hingegossen singt, sondern eigene Ambitionen hegt. Simone Schneider hat sich dan zu einer ansehnlichen Brünnhilde vorgearbeitet und singt die Auferweckte mit magisch schönen Tönen.
In der Götterdämmerung wäre nochmal auf das phänomenale Nornentrio Nicole Piccolomini, Ida Ranzlöv und Betsy Horne hinzuweisen, drei großgewachsen Frauen, die als Bildzeigerinnen die Ursippe des germanischen Mythus aufdecken/textverständlich! und in diesem ahnungsvollen Vorspiel wundervoll auf das nachfolgende Grauen des Brünnhilderaubs einstimmen.
Friedeon Rosén)
Friedeon Rosén