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STUTTGART: DER GEFANGENE (Dallapiccola / DAS GEHEGE (Rihm). Premiere

Die Folter der Hoffnung

27.04.2018 | Oper


Der Gefangene: John Graham Hall (Kerkermeister) und Georg Nigl (Gefangener). Copyright: Bernd Uhlig

Premieren-Doppelabend am 26. April 2018 mit „Der Gefangene“ und „Das Gehege“ in der Staatsoper/STUTTGART

DIE FOLTER DER HOFFNUNG

 Luigi Dallapiccolas 1949 uraufgeführte Oper „Der Gefangene“ ist ein flammenendes Plädoyer individueller Freiheit gegen totalitäre Unterdrückung. Sie war während des Kalten Krieges im Westen die meistgespielte moderne Oper. Dem Gefangenen wird die Idee von Befreiung ausgerechnet von seinem Wärter offenbart, der sich als ein Double des Großinquisitors entpuppt. Er schließt den vermeintlich Befreiten am Ende in die Arme und führt ihn zum Scheiterhaufen: „Warum nur wolltest du uns am Vorabend deiner Errettung verlassen?“. Die katholische Kirche protestierte gegen dieses Stück zur Zeit seiner Entstehung im Jahre 1949. Der bekennende Katholik Dallapiccola reagierte auf diese Kritik durchaus betroffen.

Die Regisseurin Andrea Breth hat dieses Meisterwerk zusammen mit Wolfgang Rihms 2005 uraufgeführter Oper „Das Gehege“ auf die Bühne gebracht. In beiden Werken stehen Gittergefängnisse in allen möglichen Variationen im Mittelpunkt. Rihms Oper spielt am Ende des Kalten Krieges. In der Nacht der Berliner Maueröffnung versucht eine Frau, einen Zoo-Adler zu befreien. Der Adler hegt eine erotische Faszination für die Frau, die darüber fantasiert, von seinen starken Krallen zerfleischt zu werden. Als er sich nach seiner Freilassung jedoch als altersschwach entpuppt, entscheidet sich die Frau, das Tier zu schlachten.


Angeles Blancas-Gulin, Georg Nigl. Cpoyright: Bernd Uhlig

Bei Dallapiccola kommt es zu einem faszinierenden Zusammentreffen der Zwölftontechnik mit der italienischen Operntradition, was Andrea Breth bei ihrer bildgewaltigen und subtilen Inszenierung auch andeutet. Zunächst befindet man sich als Zuschauer ganz in der Dunkelheit, es besteht von Anfang an ein starker Drang nach unbedingter Freiheit. Der Wärter ermahnt den Gefangenen sogar, niemals die Hoffnung aufzugeben. Man sieht zuletzt überall Käfige, die dem Gefangenen suggerieren sollen, dass er sich in einem Labyrinth befindet, aus dem er dennoch entkommen kann. Diese Hoffnung erweist sich schließlich als absolut grausamer Trugschluss.

Was bei Dallapiccola eine Lebens-Enttäuschung ist, setzt sich dann bei Wolfgang Rihms „Gehege“ konsequent fort. Auch hier herrscht zunächst tiefe Nacht, dann flammt zwischen dem Käfiggestell ein gespenstisches Flackern auf. Andrea Breth betont bei ihrer eindrucksvoll-packenden Inszenierung spürbar die Macht der literarischen Vorlagen. Dallapiccola dramatisierte die „Grausame Erzählung“ mit dem beziehungsreichen Titel „Folter durch Hoffnung“ (1888) des Grafen von Villiers de L’Isle-Adam. Und Wolfgang Rihm vertonte das letzte Bild von Botho Strauß‘ „Wende-Drama“-Schlusschor. Bei Dallapiccola lässt Andrea Breth den Gefangenen an langen Seilen von den geistlichen Folterknechten und dem Großinquisitor zum Scheiterhaufen ziehen. Dieses grandios-suggestive Bild setzt sich im „Gehege“ von Rihm fort. Dort klammert sich die Frau zuletzt wie eine Spinne an das Gitter, wobei sie sich die Adlerflügel bereits einverleibt und übergestülpt hat. Der Adler gibt nach vielen Verwandlungsvariationen, die von unterschiedlichen Darstellern verkörpert werden, im Hintergrund schließlich seinen Geist auf, indem er sich kopfüber an der Treppe herablässt.
In Dallapiccolas Oper propagiert übrigens ausgerechnet der Gefängniswärter seine Ideen von Freiheit und Unabhängigkeit. Andrea Breths faszinierend-geniales Spiel mit Licht und Dunkelheit passt in hervorragender Weise zur Musik von Luigi Dallapiccola und Wolfgang Rihm, die beide einen großen Orchesterapparat effektvoll nutzen und einsetzen. Das Bühnenbild von Martin Zehetgruber fußt auf einem großangelegten Konzept, der Blick ist ins Weite gerichtet (Kostüme: Nina von Mechow). Der leblose Gefangene wird in gespenstischer Weise vom Wärter wieder zum Leben erweckt.

Das Staatsorchester Stuttgart musiziert unter der souveränen Leitung von Franck Ollu sehr detailliert und auch emotionsgeladen, was die Prinzipien der Zwölftontechnik bei Dallapiccola so lebendig und interessant werden lässt. Monteverdis Musik und der Serialismus Schönbergs ergänzen sich hier auf wahrhaft seltsame Weise. Die Dynamik von Zwang und Freiheit merkt man bei dieser Wiedergabe auch deutlich der Musik Luigi Dallapiccolas an. Dies zeigt sich außerdem bei den beiden unsichtbaren Intermezzi eines unsichtbaren Chores. Der Staatsopernchor Stuttgart (Einspielung) ist hier von Johannes Knecht ausdrucksstark einstudiert worden. Den kleinen Motiven, die sich erst allmählich zur großen Zwölftonreihe wandeln, misst der Dirigent Franck Ollu eine große Bedeutung bei. Insbesondere der leidenschaftliche Ausdruckswille sticht bei dieser subtilen Wiedergabe hervor.

Melodische Gebilde verformen sich in eindringlicher Weise, was insbesondere die ausgezeichnete Sopranistin Angeles Blancas Gulin herausarbeitet, deren traumwandlerische Kantilenen unter die Haut gehen. Georg Nigl (Bariton) ist ein gesanglich voluminöser Gefangener, dessen Ausdrucksradius sich klangfarblich immer wieder stark verändert. John Graham-Hall brilliert als Kerkermeister und Großinquisitor gleichermaßen. Julian Hubbard und Guillaume Antoine sind markante, aber auch furchteinflößende Priester. Michael Guevara Era ist zudem ein Tänzer, der sich dem seltsamen rhythmischen Fluss von Dallapiccolas Musik überzeugend anpasst.

Rein musikalisch überwältigend ist „Das Gehege“ von Wolfgang Rihm, das entfernt an Schönbergs „Erwartung“ erinnert. Die geradezu explodierende Expressivität dieser Musik überträgt sich sofort auf den betörenden Gesang von Angeles Blancas Gulin, dessen klangfarbliche Intensität sich enorm steigert. Die Legato-Bögen korrespondieren mit den wie mit Urgewalt herausgeschleuderten Spitzentönen. Das triebhafte Wuchern der Ton- und Klangkonstellationen erreicht hier rasch einen Siedepunkt. Dämonische Triller in den tiefen Streichern versetzen das kontrapunktisch-harmonische Geschehen beim Sterben des Adlers in einen gewaltigen Aufruhr, dessen fieberhafte Ekstasen niemanden kalt lassen. Tonrepetitionen und ein nervöses Dialogisieren beherrschen auch die Auftritte des Adlers, der von Guillaume Antoine, John Graham-Hall, Michael Guevara Era, Julian Hubbard und Georg Nigl abwechselnd gestaltet wird. Die Überzeugungskraft der Gestik lässt hier nirgends nach, was Franck Ollu mit dem Staatsorchester Stuttgart facettenreich herausarbeitet.

So gab es für diese Koproduktion der Staatsoper Stuttgart mit La Monnaie/De Munt (Brüssel) frenetischen Jubel für das gesamte Team, der absolut verdient war.  

Alexander Walther

 

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