Stuttgart
„IL BARBIERE DI SIVIGLIA“ 11.1.2015 nm. – mit viel spontaner Situationskomik
Baß- und Spielgenuß pur: Adam Palka als Basilio (li.), hier mit Enzo Capuano (dem Bartolo der Alternativbesetzung) Copyright: A.T.Schaefer
Die 108. Vorstellung der Inszenierung von Beat Fäh (Premiere 19.6.1993) ist ein gutes Beispiel, wie im täglichen Repertoire ein durch Umbesetzungen zusammen gewürfeltes Ensemble trotz divergierender Einzelleistungen harmonieren und ad hoc jede Menge Vergnügen aus den Handlungsgegebenheiten entwickeln kann. Das Publikum dieser Nachmittagsvorstellung quittierte den hohen Unterhaltungswert in Verbindung mit den künstlerischen Leistungen dankbar mit gerecht verteilten Ovationen.
Das Innere von Bartolos Haus als surrealistischer Entwurf eines von Rosina empfundenen Gefängnisses mit Treppen und vielen ineinander laufenden Gitternetz-Mustern an den Wänden, in verschiedene Rot-Töne der Liebe getaucht (Bühne und Kostüme: Volker Pfüller) bildet mit der in wesentlichen Momenten gut erhaltenen Personenregie nach wie vor einen brauchbaren Rahmen für Rossinis „tollen Tag“. Während die zu Almavivas Ständchen statt der aus dem Orchester tönenden Gitarre auf der Bühne begleitenden Kontrabässe jetzt nur noch ein müdes Lächeln hervorrufen, bildet einer ihrer später im Mittelpunkt stehenden Verpackungskästen eine immer noch nachvollziehbar zentrale Rolle, bis hin zum sprichwörtlichen Sarg für die das Leben als Haushälterin satt habende Berta. Opernstudio-Mitglied Karin Torbjörnsdottirs angekündigte Indisposition machte sich in einem etwas zurück haltenden Einsatz ihres klaren und pointierten Mezzosoprans bemerkbar.
Aus dem Vollen schöpften konnten dagegen alle fünf Hauptakteure, wenn auch mit unterschiedlich gesetzten Akzenten. Don Basilio ist wohl noch die kleinste dieser Partien, aber in Gestalt von Adam Palka eine ganz große Sache. Sein komödiantisches Talent stellt er mit feiner, ins Volle treffender Aktion hier erneut unter Beweis, vokal bis ins letzte Detail ausgefüllt von seinem Bass, dessen unverbrauchter warmer Glanz in allen Lagen mit einer auf den Punkt gebrachten Verleumdungsarie ein wahres Labsal ist. Mit so viel edlem Stimm-Material kann ihm nur noch Yosep Kang das Wasser reichen. Der für Bogdan Mihai eingesprungene, mit der Inszenierung von früher schon vertraute und in letzter Zeit verdient internationale Aufmerksamkeit gewonnene Koreaner hat sich trotz inzwischen schwerer gewordenen Repertoires die stilistische Feinheit, sichere Höhenstrahlkraft und einen allenfalls in den Koloraturen heldischer angesetzten Tenor erhalten. Sein lockeres, Trunkenheit und Stimmverstellung genüsslich auskostendes Spiel trägt ergänzend dazu bei, von einer Idealbesetzung sprechen zu können. Die Konfrontation mit dem misstrauischen Dr. Bartolo zündet aber auch deshalb so gut, weil ihn der mit allen Wassern eines perfekten Parlando-Sängers und Buffo-Spezialisten gewaschene Renato Girolami in optimaler Wirkung auszuschöpfen weiß. Gut 20 Jahre nach der Premiere hat sein Bassbariton nichts an Prägnanz, Tragfähigkeit und Vollmundigkeit verloren.
Die Stuttgarter Oper leistet sich das Vergnügen die Rosina auch in dieser Aufführungsserie wieder wechselnd in der Sopran- und Mezzo-Version anzubieten. Beide haben bekanntlich ihre Vorzüge und Nachteile. Bei Yuko Kakutas vor allem in der Höhe Brillanz gewinnendem Sopran kommen die virtuosen Aspekte mit den ihren Möglichkeiten angepassten Kadenzen und so manchen Acuti mehr zur Geltung als die mangels Tiefe wenig ausgeprägten dunkleren Farben. Ihr Spiel ist gewitzt, aber nicht überzogen schrill.
Über den Figaro hinaus gewachsen scheint das für Levente Molnar eingesprungene, frühere Ensemble-Mitglied Adam Kim in der Titelrolle. Doch obwohl sein etwas harter Bariton immer wieder den Rahmen Rossinis sprengt und mehr Kraft als Flexibilität und Gewandtheit aufweist, trifft sein Einsatz in Verbindung mit einer spontane Pointen setzenden Darstellung die wesentlichen Aspekte Figaros: Klugheit und Witz.
Dominic Grosse aus dem Opernstudio lässt als beamtenhafter Diener Fiorello auf größere Aufgaben für seinen kultiviert geführten Bariton hoffen.
Die kleine Formation des männlichen Staatsopernchores sowie das von David Parry wie am unablässigen Schnürchen und den vokalen Varianten reibungslos zuarbeitend geführte Staatsorchester Stuttgart machten Rossinis populärste Oper zu einem doch immer wieder kurzweiligen Erlebnis.
Udo Klebes