Stuttgart: „COSI FAN TUTTE“ 12.5. 2017 – Ein Tenor lässt aufhorchen
Thomas Elwin. Copyright: Gerard Collett
Als Mitglied des Opernstudios war Thomas Elwin in den vergangenen beiden Spielzeiten immer wieder in kleineren Partien mit kultiviert eingesetztem Tenor und wandelbaren spielerischen Qualitäten aufgefallen. Bedauerlicherweise wurde er danach nicht ins Ensemble der Staatsoper übernommen. Umso mehr ist nun sein Gast-Engagement für eine große Mozart-Partie zu begrüßen. Als Ferrando galt es nun in jeglicher Beziehung Farbe zu bekennen und zu zeigen, ob mehr hinter ihm steckt als ein bemerkenswert apartes, farblich fein schattiertes Timbre und ein frisches Rohmaterial. Speziell bei Mozart ist ein solches von besonderer Bedeutung, und wenn ein Künstler es in Verbindung mit einer sicheren und unauffälligen Atemtechnik wirkungsvoll zum Tragen bringt, wird Mozarts Genius als tiefer menschlicher Seelenforscher noch mehr bewusst. Elwin wahrt über die gesamte (Mozarts längste Tenor-) Partie eine Balance zwischen beherrschtem Legato und beherztem Zugriff, zwischen tragendem Piano und drucklosen Forte-Steigerungen. Er vermag damit der Preisung der Liebe eine Aura überirdischer Schönheit mit leicht bewältigten Bogen-Überleitungen zu geben als auch seinem zunehmenden Gefühlsverrat feurigen Nachdruck zu verleihen, ohne z.B. in „tradito, schernito“ an Grenzen zu gelangen. Dieser Ferrando ist in seiner Empfindsamkeit ebenso glaubwürdig wie in seiner Spontaneität und fügt sich als etwas schüchterneres und weicheres Pendant seines Freundes Guglielmo ohne Defizite in die recht turbulente und manchmal etwas billig klamaukige Personenregie von Yannis Houvardas ein.
Noch eine vermochte für ein paar Minuten die Zeit anzuhalten und Mozarts musikalischen Kosmos voll auszuschöpfen: Mandy Fredrich lässt als Fiordiligi im Rondo „Per pietà“ ihre Verwirrtheit gegenüber den Anträgen der beiden „fremden“ Männer in Phrasierungen von unaufhörlicher Klang-Kontinuität und daran anschließenden Koloraturaufschwüngen mit dynamischer Beweglichkeit fließen. Auch die Intervallsprünge und die Tiefe ihres felsenfesten Standhaftigkeit-Bekenntnisses überzeugen in ihrer nie vordergründigen Bravour. Ihre Ernsthaftigkeit kontrastiert deutlich zur Abenteuerlust, die Sophie Marilley mit ihrer bisweilen überdrehten Komödiantik als Dorabella auch im manchmal kompromisslosen Einsatz ihres etwas harschen und angerauten, dabei aber durchaus eine Form wahrenden Mezzosoprans durchblitzen läßt. Dazu passt der Muskeln spielen lassende Guglielmo von André Morsch mit sich immer mehr rundendem und warm flexiblem Bariton ideal, so dass aus dem Experiment von Don Alfonso im Prinzip die richtigen Paare hervorgehen, wäre das Ganze nicht nur ein Spiel. Doch in Houvardas Inszenierung vermögen die Paare nach den Finaltakten durchaus begründet noch über den Ausgang zu lachen, waren sie doch alle von Anfang an darin eingeweiht. Und so sind nicht nur die beiden Paare, auch die Anzettler, der herrische und baritonal feste Alfonso von Shigeo Ishino und die hier mit ihm auch ein Paar bildende und nicht übertrieben auftrumpfende Despina von Yuko Kakuta mit rollengemäß leichtem und höhenklarem Sopran von Anfang bis Ende auf der von Herbert Murauer in zwei Stockwerke mit diversen Raumunterteilungen gegliederten Bühne. An die schäbige Nachkriegs-Ausstattung und die nicht sonderlich einfallsreichen Kostüme von Anja Rabes, wobei der Staatsopernchor als Vervielfachungen der beiden Paare auftritt, lässt es sich eher gewöhnen als an die teilweise abgedroschenen Sex-Anspielungen.
Nach einer noch etwas grob geratenen Ouvertüre fand Roland Kluttig mit dem Staatsorchester Stuttgart zu einem runden Klangbild und zu einer guten Balance mit den Stimmen, so dass sich auch die Ensembles mit teilweise auf beide Etagen verteilten Solisten ohne Divergenzen entfalten konnten.
Auffallend viel Jugend im Publikum, das den Beifall ziemlich gleichmäßig verteilte.
Udo Klebes