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STUTTGART: CHOWANSCHTSCHINA

14.12.2014 | Oper

Stuttgart: Chowanschtschina  13.12.2014

Unbenannt
Mikhail Kazakov (Dossifej). Foto: A.T.Schäfer

 Das musikalische Volksdrama ‚Chowantschina – Die Chowantskij-Affaire‘ von Modest Mussorksky behandelt die krisenhafte Episode im Rußland Ende des 17Jahrhunderts (nach der Vakanz des Zarenthrons) zwischen den Strelitzen, die zur altgläubig traditionalistisch ausgerichteten Minderheit zählten, und den Bojaren, einer reformwilligen Adelsfraktion, die sich letztlich durchsetzt und Zar Peter auf den Thron bringt. Gespielt wurde in russischer Sprache und in der instrumentalen Fassung von Schostakowitsch (Mussorgsky hatte seine großen Opern bekanntlich  im Klavierauszug bzw. Particell hinterlassen), aber mit dem 5.Akt-Finale von Strawinsky, dem die Regisseurin Andrea Moses den Vorzug gab, da es sich bei der Selbstverbrennung der Altgläubigen um eine Art Reinigung oder um eine durchsichtig verklärende Purifizierung handle, der die luzidere Instrumentation von Strawinsky größere Plastizität verleihe.

 Eindringlich wird zu Beginn der Aufmarsch der Strelitzen in Moskau geschildert. Später entsteigt ihr Führer Iwan einer Flugzeugtreppe und wird wie ein heutig aserbeidschanischer Präsident von seinen Anhängern gehuldigt. Sein Sohn Andrei stellt einer jungen Frau Emma nach. Diese wird von seiner ehemals Geliebten Marfa, einer Anhängerin des alten orthodoxen Glaubens vor ihm geschützt. Als Moskau-Kulisse dient eine Projektion des Kreml mit Coca-Cola- und MacDonalds-Werbung (Bühnenbild, auch Kostüm: Christian Wiehle), wie auch die Regie immer wieder den in Rußland aufgekommenen Turbokapitalismus versinnbildlichen, wo nicht denunzieren will. Ein bühnenfüllender ausgestopfter Eisbär trägt einen russischen Salon auf seinem Rücken, in dem  der Karrieregeneral Golizyn, der sich die Hand der Übergangszarin Sofia verspricht, Iwan Chowansky und der Führer der Altgäubigen, der Priester Dossifej, alte Rechnungen begleichen wollen. Die Moskauer Vorstadt wird durch ein immenses Plattenbau-Hochhaus abgebildet, das aber an seinen Seiten verfremdet und wie ein Ballon aufgeblasen wirkt. Der Bojar Schaklowityi ermordet Iwan Chowanswky, indem er ihn aus seinem Gemach, wo er sich von seinen Lustdamen umtanzen läßt, herauslockt. Die Strelitzen-Bewegung, die über Moskau geschwappt war, ist dadurch ihres Hauptes beraubt und bricht in sich zusammen. Iwans Sohn Andrei macht sich wieder an Marfa heran und weiht sich nolens volens mit ihren Anhängern dem Untergang. Junge Mädchen in weiß fließenden langen Gewändern befestigen am großen hnteren, weiß leuchtenden Dreikreuz an dem mittleren Querstreben zwei Schläuche, aus denen nach der End-Predigt Dossifejs plötzlich weißes Gas entströmt.- Unterstützt wird die Aufsehen erregende Inszenierung durch Videos von Niklas Ritter aus einem zeitweise von oben herabfahrenden würfelartigen Monitor.

 Gesungen wird in Stuttgart: Strelitzen gegen Bojaren, sowie deren Frauen in immer wechselnden Formationen. Dazu die Chöre der Altgläubigen, verstärkt durch Zusatz- und Kinderchor (Einstudierung Johannes Knecht), die Liturgien in Altrussisch und teilweise in großen Surround-Sound vorgetragen. Solistisch hervortretenden Strelitzen leihen Daniel Kaleda, Sas Vrabac und Thomas Elwin (Kuska) ihre Stimmen. Eric Ander gibt mit starkem Baß den Warssonofjew. Die Altgläubige Susanna ist mit angenehm distinguiertem Sopran Catriona Smith. Rebecca von Lipinski kommt mit hellem Sopran als Emma zum Einsatz. Den Schaklowity gibt mit gut focussiertem Bariton Ashley David Prewett. Den Schreiber verkörpert Daniel Kluge mit pronociert leicht geführtem Tenor. Der Adrej wird von dem sehr flexibel virtuos schönstimmigen Tenor Mati Turi gezeichnet und vom Günstling Wassili Golizyn, der von Matthias Klink mit wunderbar lyrischem Tenor gesungen wird, gar nicht so verschlagen boshaft kontrastiert. Iwan Chowanski (Askar Abdrazakov) kann seinem voluminösen Baß dagegen ganz verschlagen dunkle Farben beimischen und tritt am liebsten im weißen Pelz auf. Sein großer Gegenspieler-Baß ist Dossifej, der von Mikhail Kazakov hinreißend fast dämonisch mit der Leuchtkraft seines mächtigen Organs gesungen wird. Seine Vertraute Helferin Marfa, Christianne Stotijn, hat mit ihrem anmutig gerundeten Mezzosopran fast am meisten zu singen und zu vermitteln, was ihr mit großer Würde gelingt. 

Simon Hewett dirigiert das Staatsorchester in ganz ruhiger Gangart und erzielt doch eine auch musikalisch spannende bis aufregende Mussorgski – Schostakowitsch – Strawinsky-Interpratation, die von allen Musikern im Graben getragen wird.

                      Friedeon Rosén

 

 

 

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