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STUTTGART: „BALLETTWOCHE“ 20.-28.7. –  Ein Leistungs-Marathon zum 60er des Intendanten

29.07.2019 | Ballett/Tanz

Alicia Amatriain + Jason Reilly mit Ensemble in „Sinfonie in C“ von Balanchine. Foto: Stuttgarter Ballett

 

Stuttgarter Ballett

„BALLETTWOCHE“ 20.-28.7. 2019-  Foto: Stuttgarter Ballett. Ein Leistungsmarathon zum 60er des Intendanten

Mit einer Ballettwoche oder genauer gesagt sogar 9tägigen Komprimierung des fast gesamten Repertoires seiner ersten Spielzeit geht Intendant Tamas Detrich in die Sommerpause. Für die Compagnie gleicht das zum Ende einer anstrengenden Saison einer erhöhten Leistungsschau. Vor allem das seit dem Jahreswechsel nicht mehr gezeigte Programm „SHADES OF WHITE“, wo Perfektion das oberste Gebot ist, wurde so zu einem Prüfstein, ob sich die TänzerInnen nochmals in so exzellenter Form befinden würden wie zu Beginn der Spielzeit. Und sie waren es, setzten in puncto gesetzter Ausstrahlung sogar noch eins drauf. Besonders erfreulich, dass von den bekannten Größen in den vorderen Positionen bis zu den Coprs-TänzerInnen ein geschlossener Ensemble-Geist, sprich eine Linie herrschte und selbst unter den jüngsten Nachzüglern, wie z.B. dem Eleven Henrik Eriksson mit auffallend gleichmäßigen leichten Sprüngen noch Entdeckungen für eine viel versprechende Zukunft auszumachen waren.

Jedes der drei die klassische Schönheit auf unterschiedliche Art einfangenden Werke hat seinen besonderen Reiz, der von der musikalischen Basis bestimmt wird: die harmonische Einheit des „Konzertes für Flöte und Harfe“ (Mozart), das romantische Stimmungsbild des Schattenaktes aus „La Bayadere“ (Minkus) und die spritzige Emphase der neoklassischen „Symphonie in C“ (Bizet). Zusammen ergeben sie eine glanzvolle Huldigung an das sogenannte weiße Ballett, womit Detrich von jetzt aus betrachtet ein markanter und die Compagnie ins beste Licht stellender Start gelungen ist. Eine Wiederaufnahme ist schon deshalb zu wünschen, weil sich die Qualität des Nachwuchses darin besonders gut messen lässt.


Innig warme Liaison:  Miriam Kacerova (Marguerite) und Marti Fernandez Paixa (Armand) in „Die Kameliendame“: Foto: Stuttgarter Ballett

Neben dem aktuellsten Repertoire-Zugang, dem dreiteiligen Abend „ATEM-BERAUBEND“ und einer Reprise von Jiri Kylians im Februar hier erstmals aufgeführtem „ONE OF A KIND“ zeigten zwei verschiedene und fast komplett bewährte Besetzungen, wie unverwüstlich Crankos „ROMEO UND JULIA“ in den klassisch feinen Bühnenräumen und Kostümen von Jürgen Rose ist und wohl auch noch lange bleiben wird. Das gleiche gilt für Neumeiers/Roses „DIE KAMELIENDAME“. Außer den beiden reifen Kammertänzer-Stars Alicia Amatriain und Friedemann Vogel bekam das im Januar erstmals in die Rollen von Marguerite und Armand geschlüpfte Paar Miriam Kacerova und Marti Fernandez Paixa die Gelegenheit zu zeigen, welch ganz besondere Harmonie und welches Vertrauen zwischen diesen beiden herrscht. Das Ergebnis war eine so warmherzig innige und deshalb auch in den das Paar auseinander treibenden Sequenzen tief berührende charakterliche Identifikation. Ihrerseits beeindruckte wieder der leichte Fluss der Bewegungen, bei ihm die jedes Mal erstaunliche Kräfte frei legende intuitiv natürliche Verausgabung. Außer den beiden ist noch das Rollendebut von Agnes Su, der ab nächster Saison zu den Solistinnen gehörenden Amerikanerin, als auf Anhieb sichere und charakterstarke Manon zu erwähnen, in den Pas de deux von Clemens Fröhlich fürsorglichst umworben. Es war nicht das erste Mal, dass der jüngst zum Halbsolist beförderte Deutsche als Partner positivst auf sich aufmerksam gemacht hat.


Stuttgarts Weltstar Friedemann Vogel – hier als bewundernswerter Kronprinz Rudolf in „Mayerling“. Foto: Stuttgarter Ballett

Den Abschluss der Saison bildete als Höhepunkt der Spielzeit eine weitere Reprise von Sir Kenneth MacMillans „MAYERLING“. Jürgen Rose hatte dem 40 Jahre alten historischen Handlungsballett mit einer neuen transparenten Ausstattung und Kostümen eine Jungkur verschafft, die den Klassiker wie einen Edlestein funkeln lässt. Nach der unerwartet großen Kartennachfrage dürfte sich das Stück als dauerhaftes, d.h. immer mal wiederkehrendes Juwel im Repertoire etablieren und auch künftig für ausverkaufte Vorstellungen garantieren. Keine Frage, dass Stuttgarts Weltstar-Tänzer Friedemann Vogel  wie schon bei der Premiere im Mai auch an diesem Abend zur Krönung der Ballettwoche als Kronprinz Rudolf auf der Bühne stehen würde, und – um es kurz zusammengefasst noch einmal zu betonen – eine gesamtkünstlerische und inzwischen noch gelöstere Durchdringung der Mords-Partie erreichte, vor der das Publikum in aller Bewunderung der hierfür mobilisierten aussergewöhnlichen Kräfte nur in die Knie gehen oder genauer gesagt schon beim ersten Vorhang von den Plätzen aufspringen konnte. Vogel, der seit seinem nun gut 20jährigen Wirken beim Stuttgarter Ballett noch nie in so vielen Aufführungen unterschiedlichsten Zuschnitts auf seiner Heimatbühne zu erleben war wie in der zu Ende gegangenen Spielzeit, befindet sich rund um seinen 40. Geburtstag in einer bemerkenswert exzellenten Konstitution an technischem und körperlichem Interpretationsvermögen. Und so schwang an diesem Abend im Enthusiasmus des Publikums auch der begeisterte Dank für seine bisherige Lebensleistung und für seine ungebrochene Treue zum Stammhaus des Tänzers mit.

Da sich auch alle um ihn rankenden Damen (Elisa Badenes als Mary, Alicia Amatriain als Gräfin Larisch, Miriam Kacerova als Kaiserin Elisabeth, Diana Ionescu als Prinzessin Stephanie und Anna Osadcenko als Mizzi) sowie das weitere Ensemble vielleicht im Hinblick auf die bevorstehende Sommerpause besonders locker verausgabten, summierte sich alles zu einem Ballettfest im spannungsvollen Wechsel zwischen tiefschöpfender Tragödie und edel-ästhetischer Unterhaltung.

Nicht zu vergessen das Staatsorchester Stuttgart, das während dieser Ballettwoche unter der wechselnden Leitung von James Tuggle und Wolfgang Heinz in sehr unterschiedlichen musikalischen Stilen zu den Live-Ereignissen beitrug. Den MusikerInnen und den Dirigenten gehörte ein Extra-Dank in der Ansprache des Intendanten vor der letzten Vorstellung, nach der einige Corps de ballet-Mitglieder und der seit 25 Jahren als Bühnenoberinspektor des Balletts für die vielen schnellen Verwandlungen garantiert habende Axel Schob mit Blumen und einem glitzernden Konfetti-Regen verabschiedet wurden.

Tamas Detrich darf anlässlich seines 60. Geburtstages, den er während dieser Ballettwoche feiern konnte, zu Recht stolz auf seine so viele Erwartungen übertroffen habende erste Spielzeit zurück blicken. Auch deshalb, weil es ihm gelungen ist, das hoch anspruchsvolle Programm trotz noch nicht wieder komplett geschlossener Lücken an den vorderen Tänzerfronten ohne Gäste zu verwirklichen. Das Stuttgarter Ballett steht also auch weiterhin für eine ganz eigene Identität! Herzliche Gratulation und weiter so wünscht

Udo Klebes

 

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