Stuttgarter Ballett
„HÖHEPUNKTE“ 23.12. 2021(Wiederaufnahme) – dem Titel gerecht geworden
Es müssen zur Weihnachtszeit nicht immer die üblichen, das Haus stets füllenden Handlungsklassiker sein, auch alle bis zum 7. Januar angesetzten Vorstellungen dieses erstmals vor der Sommerpause gezeigten Programms waren ausverkauft, ehe neue Corona-Maßnahmen die Zurückbuchung auf die Hälfte der Plätze erzwang.
Die letztlich verbliebenen Karteninhaber durften als Auftakt zu den Festtagen eine Kombination unterschiedlichster choreographischer Stile erleben, die alle für sich betrachtet den Titel dieser Zusammenstellung verdient haben.
Bei der wiederholten Begegnung mit Jiri Kylians Frauenstück „FALLING ANGELS“ wird dessen komplexer Impuls vermehrt bewusst. Die von der beständig leicht anschwellenden Trommelpercussion-Musik von Steve Reich ausgehenden Reflexe auf die Aktion der acht Mädchen verdichten sich zu einem unablässigen Sog, dem es schwerfällt sich zu entziehen. Angeführt von der wieder einmal bestechenden Powerfrau Angelina Zuccarini folgen Juliane Franzoi, Veronika Verterich, Anouk van der Weijde, Daiana Ruiz, Elisa Ghisalberti, Fernanda Lopes und Paula Rezende den vorgegebenen Bewegungs-Ritualen äußerst konzentriert, um dann jeweils einzeln mal daraus hervor zu brechen und einem eigenen Weg zu folgen.
PETITE MORT: Minji Nam, Adhonay Soares D Silva. Foto: Stuttgarter Ballett
Ohne Applaus- und Licht-Pause folgt die Überleitung zu Kylians „PETITE MORT“, dessen leise unterschwellige Erotik in Verbindung mit den langsamen Mittel-Sätzen aus Mozarts Klavierkonzerten KV 467 und 488 (Andrej Jussow mit feinem Anschlag) eine besondere Note erhalten. Die Symbolik mit den von den Männern beherrschten Degen und den die Frauen zuerst einengenden Rokokokleidern, die sich dann als fahrbare Gestell-Hüllen entpuppen, gibt der Choreographie nebst ihrer feinen Beobachtung partnerschaftlicher Verhältnisse eine zusätzliche Bedeutungs-Ebene. Neu unter den sechs Paaren kamen jetzt einfühlsam integrierend Minji Nam und Adhonay Soares Da Silva, sowie in neuer, kaum abfallender Kombination Elisa Badenes mit Clemens Fröhlich sowie Anna Osadcenko mit Timoor Afshar hinzu. Sie alle standen den bereits darin erprobten Paaren Rocio Aleman mit David Moore, Vittoria Girelli mit Louis Stiens und der mit transparent geschmeidiger Körpersprache besonders auffallenden Aurora De Mori mit Matteo Miccini kaum nach.
LE JEUNE HOMME ET LA MORT. Ernesto Mansilla. Foto: Stuttgarter Ballett
Mit der inzwischen wieder möglich gewordenen vollen Orchesterbesetzung kam jetzt Roland Petits Zwei Personen-Drama „LE JEUNE HOMME ET LA MORT“ erstmals mit der von Ottorino Resphigi orchestrierten Bach-Passacaglia und Fuge in c-moll zur Aufführung. Das so dicht instrumentierte Werk mit immer wieder breit ausufernden Blechbläser-Phasen gerät der Choreographie gegenüber dem intimeren, aber auch etwas strengeren Solo-Orgel-Original wechselnd zum Vor- und Nachteil zwischen Kongruenz und Überlagerung. Unabhängig davon bleibt die erschütternde Direktheit und Vehemenz, mit der Ciro Ernesto Mansilla die zwischen Bangen und Hoffen, Existenz-Zweifeln und jähem Befreiungs-Glück schwankende Gestalt des in einer Pariser Mansarde lebenden jungen Mannes auf den Punkt bringt. Das beinahe Katz- und Mausspiel, dem er sich mit riskanten Sprung-Aktionen mit dem in gelbem Kleid und schwarzen Handschuhen erscheinenden Todesengel der selbstbewusst raffiniert verführerischen Agnes Su aussetzt, ist trotz manchem Hang zur Theatralik von faszinierender Intensität.
BOLERO. Friedemann Vogel. Foto: Stuttgarter Ballett
Über Friedemann Vogels Triumph als Melodie-Verkörperung in Maurice Béjarts Hit „BOLERO“ ist schon so viel Begeisterung in Worte gekleidet worden, dass es eigentlich überflüssig ist, dem noch etwas hinzuzufügen. Und dennoch muss bei dieser soundsovielten Wiedergabe von einem nochmals an fließender Bewegungs-Qualität und müheloser Umsetzung gesteigerten Einsatz berichtet werden, mit dem dieser Ausnahme-Tänzer eine bereits als Höhepunkt betrachtete Interpretation immer noch weiter zu steigern vermag. Unterstützt von der Rhythmusgruppe mit diesmal Timoor Afshar und Clemens Fröhlich an der Spitze baute sich wieder eine ekstatisch kribbelnde Spannung auf, die sich nicht anders als in einem anhaltenden Ovationssturm des Publikums lösen kann.
Das Staatsorchester Stuttgart ließ sich unter der antreibenden Leitung von Wolfgang Heinz auch nicht lumpen, dieses Ereignis auch zu einem instrumentalen Fest zu machen.
Udo Klebes