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STUTTGART: BALLETT „SHADES OF WHITE“

Glänzender Spielzeitauftakt mit Schattierungen des klassischen Balletts

17.10.2018 | Ballett/Performance

STUTTGART

 Ballett: „Shades of White “ am 16.10.2018 – Glänzender Spielzeitauftakt mit Schattierungen des klassischen Balletts

 Mit großer Spannung wurde der Ballettabend „Shades of White“ (Deutsch: „Schattierungen von Weiß“), mit dem die Saison 2018/2019 in Stuttgart eröffnet wurde, erwartet. Grund war jedoch nicht die Namensähnlichkeit mit der weltweit bekannten und verfilmten Romantrilogie von E. L. James. Stuttgarter Ballettkenner wussten, dass hier keine nackte Haut sondern nacktes klassisches Ballett in drei unterschiedlichen Schattierungen zu sehen sein wird – aber auch, dass der Ballettabend gleichzeitig die erste Vorstellung unter dem neuen Ballettintendanten Tamas Detrich ist und drei höchst anspruchsvolle Stücke enthält, die auch von vielen jungen Tänzern zum ersten Mal getanzt werden.

Detrich wollte seine Direktion mit einem Stück von John Cranko beginnen, dem er sich sowohl aus der Tradition des Stuttgarter Balletts heraus als auch als dessen langjähriges Mitglied und Interpret seiner Werke eng verbunden fühlt und gleichzeitig mit einem dreiteiligen Klassiker-Programm, in dessen einzelnen Stücken er zum Teil noch selbst im Corps de ballet getanzt hatte.

 

Den Auftakt gab somit das „Konzert für Flöte und Harfe“ von John Cranko, auf der gleichnamigen Musik von Wolfgang Amadeus Mozart, das nach langer Zeit erst vor zwei Jahren wieder in Stuttgart aufgeführt wurde. Vermutlich nicht ohne Ironie machte sich der als Ballett-Dramatiker und Geschichtenerzähler bekannte Cranko 1966 an das abstrakte Werk, das unklassisch für die Klassik fast nur Herren in weiß zeigt, da es als Vorspann zu Peter Wrights neuer Stuttgarter „Giselle“ entstanden ist (damals war ein Ballett bestehend aus zwei Akten zu kurz um als abendfüllend zu gelten), in dessen zweiten Akt die Herren nichts mehr zu tanzen hatten. Die einzigen beiden Damen (Miriam Kacerova und Ami Morita strahlen heute um die Wette und um die Gunst der Herren) stehen somit für die beiden Soloinstrumente Flöte und Harfe und die Herren gewissermaßen als das Orchester um sie herum. Crankos Choreographie ist sehr dicht, mit vielen kleinen oder größeren Formationen, die wieder gebrochen werden, mit immer wechselnden Paaren und Schritten sowie Drehungen, die viele Feinheiten enthalten und genaue Ausführung erfordern. Friedemann Vogel, spielt natürlich mit dieser Technik, an der er sichtlich Spaß hat und bringt neben erhabener Eleganz an die entscheidenden Stellen auch eine ernste, tiefgründige Note ein. Die zweite größere Solorolle bei den Herren ist David Moore ebenfalls sehr gut gelungen, sowohl in seinen Solis als auch im Pas de deux mit Ami Morita zeigt er Leichtigkeit in den schwierigen Schritten. Angesichts der vielen Männer hat Cranko auch viele kleine Solis für diese eingebaut, um den damals schon starken Männern der Compagnie zu entsprechen. Detrich scheint auch die junge Garde fördern zu wollen und so tanzen an dem Abend gekonnt die Solis in den Kadenzen die Corp de ballet Tänzer Clemens Fröhlich, Flemming Puthenpurayil und Daniele Silingardi, anstatt bekannter Solisten. Ebenfalls aus dem Corps de ballet fiel noch Noan Alves mit akkurater Technik und hoher Sprünge auf.

Andreas Noack (Flöte) und Frauke Adomeit (Harfe) begleiteten mit Gefühl und den nötigen Schwung die Tänzer.       

 
Zwei der zwölf virtuosen Kavaliere in John Crankos „Konzert für Flöte und Harfe“: David Moore und Friedemann Vogel mit Ensemble. Foto: Stuttgarter Ballett

Die Herausforderung des Abends war ohne Zweifel das mittlere Stück, „Das Königreich der Schatten“ aus „La Bayadère“. Die Musik stammt von Ludwig Minkus, neu arrangiert von John Lanchbery. Das lange nur in Russland getanzte Ballett von der unglücklichen Liebe zwischen der indischen Bayadère (hohe Tempeltänzerin) Nikija und dem Kriegshelden Solor wurde erst 2017 in einem Gastspiel des Tokyo Ballett zum ersten Mal in Stuttgart getanzt. 

Nikija und Solor lieben einander, jedoch ist er der Tochter des Radjas, Gamzatti, versprochen. Diese lässt Nikija durch eine versteckte Giftschlange töten, wonach der verzweifelte Solor sich dem Opium ergibt. „Das Königreich der Schatten“ stellt Solors Vision im Opiumrausch dar, in dem er wieder mit Nikija vereint ist. Eingeführt wird diese durch die toten Bayadèren, die eine nach der anderen in weißen Tutus auf einer im Hintergrund geneigten Rampe, wie vom Himmel herunterkommend, um dann in schlangenartiger Formation die ganze Bühne zu füllen, während sie immer wieder die gleichen Bewegungen – zwei Schritte, Arabesque, dann die Arme über den Kopf wie Engelskronen – synchron wiederholen. Dies alleine erzeugt bereits eine feenhafte Atmosphäre der Ewigkeit, in der alles möglich ist, so auch das Erscheinen von Nikija. Zuerst oben, wie in der Luft schwebend, steigt auch sie herab zu Solor. Der neue erste Solist Adhonay Soares da Silva meistert die technisch sehr herausfordernde Rolle des Solor bereits auf sehr hohem Niveau, am Ausdruck des verzweifelt und sehnsüchtig Liebenden kann der junge Tänzer jedoch noch feilen. So kommt es, dass der Funke auch nicht wirklich zu Elisa Badenes überspringen und das Feuer dieser auch nicht ganz entfachen kann, auch wenn diese mit glänzender Technik besticht. Trotz sehr guter Darstellung beider, fehlen hier etwa die wie Flüge wirkende Sprünge des Solor oder das Schweben der Nikija, die den Zauber dieser Rolle ausmachen und den man von den großen Interpreten dieser Rolle kennt.

In den Variationen überzeugen Diana Ionescu mit Genauigkeit und viel Esprit, Miriam Kacerova mit Leichtigkeit und Agnes Su (Rollendebüt) mit viel Schwung. 

„Das Königreich der Schatten“ gilt für viele als das schönste Ballet blanc und wurde erstmals 1974 von Natalia Makarova in den Westen, an das American Ballett Theater, gebracht, für das sie 1980 dann die gesamte Bayadère, nach Marius Petipa, inszenieren durfte. „Es zeigt Petipas Vision des Klassizismus, in Reinkultur, das Formbewusstsein, die Harmonie, die Präzision und die kristallklare Ausführung“ sagt Makarova. Für letztere sorgte Makarova in Stuttgart höchstpersönlich und war auch bei der Stuttgarter Premiere noch dabei. Sicher ist es auch ihr zu verdanken, dass sich das Corps de ballet, ohne dem der Zauber dieses Stückes nicht möglich wäre, in sehr guter Form zeigen konnte. Es bleibt zu hoffen, dass demnächst das vollständige Ballett in Stuttgart aufgeführt und Makarova dann ebenfalls selbst für die Einstudierung sorgen wird.   


Bezaubernd im„Königreich der Schatten“ von Natalia Makarova nach Marius Petipa: das Corps de ballet                                        Foto: Stuttgarter Ballett

Mit „Sinfonie in C“ von George Balanchine rundet noch ein neoklassisches Stück den Abend ab. Durch die fröhliche Musik von George Bizet mit drei Allegros ist es ein Gegensatz zum himmlischen „Königreich der Schatten“ und ein sehr irdisches und erfrischendes Stück, das gute Laune verbreitet. Wie der ursprüngliche Titel „Kristallpalast“ ist auch die Choreographie eine der kristallklaren Linien und geometrischen Formen, mit meist symmetrischen Formationen. In vier Sätzen führen die Solisten Friedemann Vogel, Jason Reilly, Adhonay Soares da Silva und Moacir de Oliveira in schwarzen Kostümen ihre Damen Miriam Kacerova, Elisa Badenes (Rollendebüt im 2. Satz), Hyo-Jung Kang und Jessica Fye (Rollendebüt) wie Prinzessinen ein, kristallbesetzte weiße Tutu inklusive. Jeweils zwei Halbsolistenpaare und sechs oder acht Tänzer aus dem Corp folgen, bis im Finale das ganze Ensemble die Bühne füllt und wie losgelöst nun synchron die gleichen Schritte tanzt. Wieder einmal ist die Gabe Balanchines, Musik sichtbar und Tanz hörbar zu machen, bemerkbar, in einem Paradestück des Begründers der Neoklassik.


Erfrischend und spielerisch in „Sinfonie in C“ von George Balanchine: Friedemann Vogel und Miriam Kacerova                                    Foto: Stuttgarter Ballett

James Tuggle leitete das Staatsorchester Stuttgart mit Gespür für die unterschiedlichen Kompositionen.

Ein glänzender wie lehrreicher Ballettabend, in dem drei Schattierungen des Weiß, die eines Ballett-Dramatikers, die eines Klassizisten und die eines Neoklassikers, durch ein ganzes Jahrhundert Ballettgeschichte führen.                                                   

Dana Marta

 

 

 

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