Stuttgart
02.02. und 07.02.: „SHADES OF BLUE AND WHITE“ – Musik in Tanz zerschmilzt
Das um das “Blue” geänderte und erweiterte Programm ist zweifelsohne noch besser auf das „Stuttgarter Ballett“ zugeschnitten als „Shades of White“, das vor 5 Jahren Premiere hatte. Es gibt der Compagnie auch die Möglichkeit ihr breites Spektrum und ihre Stärken mehr zu zeigen.
Das frühere Herzstück des Abends, „Königreich der Schatten“ aus „La Bayadère“ (Dt. „Die Tempeltänzerin“) von Natalia Makarova nach Marius Petipa, gibt diesmal den Auftakt und soll das Publikum Teil des Opiumtraumes des Kriegers Solor werden lassen. Darin begegnet er seiner Geliebten, der Tempeltänzerin Nikija, die von seiner eifersüchtigen Verlobten Gamzatti getötet worden war, im Jenseits wieder. Zur einstimmenden Musik von Ludwig Minkus, arrangiert von John Lanchbery, schreiten 24 Tänzerinnen (bei Petipa sogar 64) als Nikija’s Schatten in einer endlos wirkenden Serpentine auf einer Rampe wie in Zeitlupe herab und wiederholen 39 Mal die gleiche Schrittfolge, die das Publikum in die traumwandlerische Atmosphäre versetzen soll. Perfekte Synchronisation dieses Ablaufs sowie die gleiche Höhe der Beine in der Arabesque, von der ersten bis zur letzten Tänzerin, sind Voraussetzung für diese Wirkung. Das im Vergleich zur Premiere an beiden Folgeabenden bereits sichtbar verbesserte Corps de ballet, zeigte dennoch immer wieder leichte Brüche in der Serpentinenlinie und bei der Höhe der Beine, was bei der gnadenlosen Choreographie für das aufmerksame Auge sichtbar war und das sich hineinfallen lassen in diesen Traum-Akt etwas beeinträchtigen konnte.
In der Spielzeit, in der auch „Schwanensee“ wieder auf dem Programm steht, kann man „Königreich der Schatten“ auch als Vorbereitung auf das abendfüllende „weiße“ Ballett sehen und so ist zu erwarten, dass bei den Folgeterminen weitere Steigerung erfolgt.
Die drei Tänzerinnen der Variationen, allesamt Rollendebüts, hatten an beiden Abenden leichte Unstimmigkeiten vor allem in der Formation, sie steigerten sich jedoch jeweils in ihren Soli: flott und fröhlich strahlte Aoi Sawano in der 1. Variation, elegant wirkte Veronika Verterich in der 2. Variation (die ihr mit dem langsameren Tempi wesentlich mehr zu liegen scheint als die 3. Variation, die sie bei der Premiere tanzte) gefolgt in der 3. Variation von Mizuki Amemiya, die beim Debüt nicht immer ganz im Einklang mit der Musik war. Dies gelang ihr bereits bei der 2ten Vorstellung jedoch besser, so dass sie hier die 3. Variation zum krönenden Abschluss machen konnte.
David Moore hatte die Rolle des Solor bereits mit anderer Partnerin getanzt und so lag seine Stärke da weniger in den für ihn noch etwas herausfordernden Soli, sondern eher beim Partnern. Sicher ist es auch ihm zu verdanken, dass Mackenzie Brown bereits bei ihrem Rollendebüt die Nikija mit Virtuosität und auch entsprechender Würde darstellen konnte. Ob in den Pas de deux mit Moore oder in den Soli, Brown tanzte immer sehr genau, hielt alle Positionen und vermochte es auch das Traumhafte in dem Akt, der ihr gewidmet ist, auszustrahlen.
Am 7.02 gab es beim Hauptpaar weitere Rollendebüts: Rocio Aleman mit einer sehr natürlichen Darstellung der Nikija und ein auf Anhieb überzeugender Martí Paixà, der sowohl die Soli gut meisterte als auch in den Pax de deux mit Aleman strahlte, wodurch er die Botschaft des Traumes von Solor – das, was mit Nikija hätte sein können – stimmig vermitteln konnte.
Nur im Traum erreichbare Liebe: Rocio Aleman als Nikija und Martí Paixà als Solor im „Königreich der Schatten“ von Natalia Makarova nach Marius Petipa; Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Diesem weißen Akt, in dem die Handlung in den Hintergrund rückt und der Tanzklassik par excellence den Vorrang lässt, sowie der stimmungsvollen Musik von Minkus, wohnt ein besonderer Zauber inne, der es vermag zum Träumen zu verleiten und einen noch Tage später zu verfolgen.
Für ganz andere Atmosphäre und dem „Shades of Blue…“ sorgte das zweiten Stück des Abends, „Blake Works I“ von William Forsythe. Dabei verbreiteten Tänzer in schlichten, hautengen Trikots und Tänzerinnen mit kurzen, flatternden Röcken, allesamt in Blautönen, groove Atmosphäre auf sieben ausdrucksstark gesungene Elektropop Songs von James Blake.
Die Formationen wechseln hier sehr schnell, viel Schwung ist in allen Bewegungen, Arabesques werden gesprungen anstatt gehalten, Hüften werden keck geschwungen, Paare wechseln und finden sich dann wieder. Matteo Miccini bezirzt mit breitem Lächeln und erobert damit gleich Giulia Frosi und Elisa Ghisalberti, Agnes Su und Fabio Adorisio berühren im Pas de deux auf einen bluesartigen Song. Davor und danach stimmt das gesamte Ensemble in die elektrisierende und dennoch coole Atmosphäre ein, dabei fallen Dorian Plasse und der Eleve Leon Metelsky mit kurzen Soli auf. Mackenzie Brown überzeugt auch hier, vor allem im kurzen Pas de deux am Ende, dem auch Clemens Fröhlich Intensität verleiht. „How wonderful you are“ (Dt.: „wie wundervoll ihr seid) lauten passend zum Paar die letzten Töne.
Berührend und intensiv: Clemens Fröhlich und Mackenzie Brown in „Blake Works I“ von William Forsythe; Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Forsythe selbst hat über das Stück gesagt „Ich feiere hier alles, was das Ballett mir im Leben gegeben hat. Es ist einfach ein anderer Weg, das Ballett zu lieben…“ Alle Tänzer haben es sichtbar mit gleicher Freude getanzt.
Erst letztes Jahr ist „Blake Works V“ an der Mailänder Scala entstanden und so fragt man sich, ob man Forsythe nicht zu einer weiteren Fortsetzung der Werke in seiner choreographischen Heimat Stuttgart überzeugen könnte.
Zum Abschluss des Abends erneut ein „White“-Ballet, jedoch der ganz anderen Art als das erste, denn „Siebte Sinfonie“ ist über ein Jahrhundert später als „La Bayadère“ von Petipa entstanden. Nicht nur das, auch die Musikwahl Beethoven, die selbst Balanchine für nicht choreographierbar hielt, macht es zu etwas Besonderem, denn dieses Meisterstück ist dem als Wunderkind geltenden Uwe Scholz gelungen.
Vom Anfangston, auf den die Tänzerinnen von den Partnern nach oben gehoben werden, bis zum fulminanten Ende breitet sich ein Wasserfall an rasanten Schritten, Drehungen, am Boden gezogene oder in allen Himmelsrichtungen gehaltene Spagate und originelle Kombinationen aus, zwischendurch nur unterbrochen von erhebenden Momenten, in denen u.a. Tänzer um einen Lichtkegel im Kreis stillstehen.
Elisa Badenes und Martí Paixà führen immer wieder das Ensemble an und wirken bereits als eingespieltes Paar, Badenes scheint in Paixàs Armen selbst bei Raddrehungen fast Fluggeschwindigkeit anzunehmen. 11 weitere Paare stehen den beiden um nichts nach, zeigen sich hier an beiden Abenden von der besten Seite und wie es aussieht, wenn Musik in Tanz zerschmilzt: man sieht die Musik und hört den Tanz.
Elisa Badenes wie im Flug in „Siebte Sinfonie“ von Uwe Scholz; Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Mikhail Agrest sorgte für besondere Interpretation der klassischen Stücke durch das Staatsorchester Stuttgart, etwas mehr Blick auf die Tänzer würde die Harmonie jedoch perfekt machen.
Anhaltend Standing Ovations gab es vom Publikum an beiden Abenden. Weitere Spieltermine gibt es wieder ab März.
Dana Marta