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STUTTGART/ Ballett: SCHWANENSEE. Wiederaufnahme – ein neuer Prinz und Erster Solist

07.04.2024 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett: „SCHWANENSEE“ 6.4. 2024  (Wiederaufnahme) – ein neuer Prinz und Erster Solist

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Elisa Badenes (Odette) und Henrik Erikson (Siegfried) mit Schwanen-Corps im 2.Akt. Copyright: Stuttgarter Ballett

Sechs Jahre nach den letzten Vorstellungen kehrte der Klassiker in der frei nach traditionellen Fassungen entstandenen Version von John Cranko  in den atmosphärischen Bühnenbildern und historisch versierten Kostümen von Jürgen Rose nun wieder auf die Bühne zurück, um eine mittlerweile nachgerückte Generation von Tänzern zu präsentieren. So wurde gleich bei der Wiederaufnahme-Premiere nicht nur auf bewährte Kräfte gesetzt, sondern auch Debutanten Raum gegeben. Diesbezüglich stand Henrik Erikson als Siegfried im Mittelpunkt des Geschehens und der spannenden Erwartung. Der schon bald nach seinem Compagnie-Eintritt im Corps de ballet durch Präsenz und Spielfreude heraus gestochene Tänzer entwickelte sich hinsichtlich Technik und Rollenverständnis sehr schnell zu solistischem Format. Nach Lenski und Romeo stellte er sich nun in einer weiteren Hauptrolle vor.

Um es vorweg auf einen Punkt zu bringen: Siegfried sitzt ihm wie angegossen. Grundlegend in der stattlichen, wohl proportionierten Erscheinung und dennoch feinen Ausstrahlung eines Prinzen. Sodann in der organischen Koordination von effektiv weiten Sprüngen, gut zentrierten und musikalisch gesteigerten Drehungen, gefühlvoll eingesetzten Armen und einer top zuverlässigen Balance in der Führung und den teils langen Hebungen der Partnerin. Dazu vervollkommnet durch eine eindringliche Vermittlung seines Inneren. Zunächst fröhlich und gelassen im Kreis seiner Freunde und Frauen aus dem Bürgertum, dann melancholisch ergriffen von der Begegnung mit den Schwänen, liebevoll im Umgang mit Odette und tief berührend in der Bewusstwerdung seines Verrats und seines Versuchs die Geliebte zu halten (wozu Cranko bekanntlich als ideal entsprechenden Stimmungsspiegel die Streicher-Elegie aus Tschaikowskys Phantasie-Ouvertüre „Hamlet“  eingefügt und daraus einen bewegend innigen Pas de deux kreiert hatte). Für diese runde, in allen Komponenten glückvoll zusammengefügte Leistung wurde der neue Prinz inmitten des Schlussjubels von Intendant Tamas Detrich spontan zum Ersten Solisten ernannt. Herzliche Gratulation!

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Elisa Badenes (Odette) und Henrik Erikson (Siegfried) im 2.Akte. Copyright: Stuttgarter Ballett

Mit der mit allen Wassern gewaschenen und jüngst zur Kammertänzerin ernannten Elisa Badenes hatte Erikson auch die bestmögliche Partnerin zur Seite, die ihm zugleich eine große Hilfe wie auch eine neben ihrer Kapazität umso größere Herausforderung bot. Es ist schwer zu sagen, ob sie mehr als weißer Schwan mit fast zerbrechlich verletzlichen Zügen oder mehr als verführerisch reizender schwarzer Schwan begeistert und somit auch gut nachvollziehbar, dass Siegfried die raffinierten Verlockungen des Letzteren in seiner Verblendung nicht durchschaut. Die Spanierin überzeugt jedenfalls auf ganzer Linie zwischen erlesen zelebrierten Arabesquen und feurig bewegten Spitzen-Zirkulationen bis hin zu gleich im Doppelpack rasend schnell gedrehten 32 Fouettés. Wie sie diese Wandlungsfähigkeit in den Tanz überführt und alles noch so Virtuose wie auf leichten Federn daher kommt, beweist wiederum den Ausnahme-Rang dieser Künstlerin.

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Elisa Badenes (Odile) und Henrik Erikson (Siegfried)  im 3. Akt. Copyright: Stuttgarter Ballett

Mit so gut wie keinem Tanz und maskenbedingt nur wenig sichtbarer Mimik, dafür mit dem wissenden Umgang eines weit wehenden schwarzen Umhangs, gespreizten Fingern und einigen wesentlichen Haltungen und Wendungen eine Rolle auf den Punkt zu bringen – diese Aufgabe obliegt den Interpreten der Charakterrolle des Zauberers Rotbart. Clemens Fröhlich gehört zu denjenigen, die diese spezielle Anforderung (sogleich mit diesem Debut) raumgreifend und mit durchaus einigen differenzierten Ausdrucksmitteln wie z.B. in der Führung der Arme erfüllen.

In den kleineren Rollen reussierten in gleich doppelter Funktion Mackenzie Brown (die Anlagen für die Hauptrolle sind bereits sichtbar) und Daiana Ruiz als Große Schwäne und Bürgerinnen in Solos, zweitere sogar noch zusätzlich als rassige spanische Prinzessin. Zu letzteren gehörten auch die wie immer reizvoll gestandene und einen kurzen Faux pas geschickt auffangende Miriam Kacerova sowie neu dazu gekommen die lyrisch feinen Halbsolistinnen Mizuki Amemiya und Elisa Ghisalberti. Letztere auch als einer vier kleinen, wie erwartet besonders viel Zuspruch erhaltenden Schwäne sowie als liebliche Prinzessin von Neapel mit Ciro Ernesto Mansilla als attackierend drehfreudigem Begleiter. In den weiteren Charaktertänzen zeigte Vittoria Girelli Flinkheit und Temperament in der Polacca, Diana Ionescu eine Würde und musikalische Perfektion vereinende Prinzessin von Russland.

Im ersten Akt stach Gabriel Figueredo als Siegfrieds Freund Benno mit eleganten Pirouetten aus dem Kreis seiner Begleiter heraus.

Aoi Sawano, Irene Yang und Aiara Iturrioz Rico komplettierten in homogener Linie das Schwanen-Quartett. Dieses Attribut trifft auch auf das weitere 18köpfige Schwanen-Corps zu, das hier in höchster disziplinierter Einmütigkeit ein Ensemble bildet.

Für ein paar humorige Facetten im ersten Akt garantieren Angelika Bulfinsky als Wirtin und Alessandro Giaquinto als Erzieher des Prinzen. Souveränität im Auftreten gekrönter Häupter bezeugt Sonia Santiago als Königin.

Einen klanglich austarierten, in Farben und Tempi gut zur Bühne abgestimmten Beitrag bot das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Wolfgang Heinz mit feinen Soli von Jewgeni Schuk (Violine) und Zoltan Paulich (Cello).

Die weiteren Besetzungen werden sich an diesem halben, auch mit zahlreichen Zwischen-Ovationen gefeierten Premierenabend messen lassen müssen.

Udo Klebes

 

 

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