Stuttgart 20. und 22.10.2024: „SCHWANENSEE“ – Strahlend auch in der neuen Spielzeit
Erst gegen Ende der Spielzeit debütierten zwei Hauptpaare in John Crankos „Schwanensee“, viel Zeit oder Auftritte, um die Rollen zu proben oder zu vertiefen gab es somit nicht. Gabriel Figueredo, der nach dem Rollendebüt als Prinz Siegfried auch gleich auf offener Bühne zum Ersten Solisten befördert wurde, hatte vor allem in seinen Soli bereits beim Debut überzeugt, denn der junge Brasilianer beherrscht diese aufgrund seiner bestechenden Technik wie kaum ein anderer derzeit in der Kompanie, dabei kommt ihm auch sein großer, schlanker Körperbau mit den langen Beinen zugute. Die Grand Jeté bringt er stets und in allen Richtungen bis zum perfekten Spagat, dabei scheint er fast aus dem Stehen über die für ihn zu klein wirkende Bühne zu fliegen. Vielfach-Pirouetten oder Drehsprünge macht er souverän und endet diese stets auf dem Punkt – alles eine Augenweide, die er erneut unter Beweis stellen konnte. Beim Partnern hingegen sind Fortschritte zwar sichtbar, hier muss sich Figueredo jedoch noch deutlich steigern, um sich als Erster Solist zu behaupten, sowohl vom Ausdruck her, vor allem aber bei den Hebefiguren, die er immer noch nicht alle gut meistern konnte. Insgesamt wirkten die Pas de deux jedoch bereits stimmiger, vor allem im choreographisch dankbaren letzten Akt. Zu verdanken ist dies sicherlich auch seiner Partnerin Mizuki Amemiya, die mit ihrer zarten, filigranen Art gut zu seiner eleganten Interpretation passt. Amemiya zeigte eine differenzierte Interpretation von Odette: deutliche Zurückhaltung am Anfang, wie ein ätherisches Wesen wirkend in den weißen Soli und zart in den Pas de deux. Ihre Odile stellte eher die raffinierte Art der Verführung dar, hier überzeugte sie beim Rollendebut jedoch mehr, auch die Fouettées waren da sauberer, das darf aber bei der erst zweiten Vorstellung in der herausfordernden Rolle auch sein.
Bestechende Technik: Gabriel Figueredo als Prinz Siegfried Foto: Stuttgarter Ballett
Anton Tcherny debütierte mit etwas zu viel verzogenem Mund als Siegfrieds betrunkener Erzieher Wolfgang (dies änderte er jedoch bereits in der Folgevorstellung). Rollendebuts gab es auch bei den kleinen Schwänen für Juliane Franzoi sowie Florencia Paez (auch Bürgerin im I. Akt), die mit Lily Babbage als Corps de ballet Tänzerinnen bereits perfekt mit Halbsolistin Irene Yang harmonierten. Synchron zeigten sich in ihren Divertissements auch die Bürgerinnen Ruth Schulz (diese glänzte auch im Solo), Irene Yang (überzeugend mit Riccardo Ferlito auch als Prinzessin von Neapel) und Abigail Willson-Heisel (auch als großen Schwan zu sehen, zusammen mit Priscylla Gallo). Angeführt wurde das Quintett von Veronika Verterich. Als Rotbart war erstmalig Martino Semenzato zu sehen, durchaus elegant, da fehlt aber noch etwas, um auch dessen bedrohlichen Charakter besser darzustellen.
Zwei Tage später konnte man ganz andere, reifere Interpretationen der Hauptrollen bewundern, auch wenn beide Tänzer ebenfalls erst Ende der letzten Spielzeit das Rollendebut hatten. Martí Paixà zeigte sich technisch gesteigert und sicherer, wodurch er seinem Siegfried noch mehr Ausdruck verleihen konnte, als verspielten, gerade volljährig gewordenen Jungen, nachdenklich angesichts der bevorstehenden Zwangsheirat, hoffnungsvoll verliebt in den Schwan Odette, ebenso tief traurig über seine Täuschung, die ihn am Ende zum berührenden Tod in den Fluten führte. Eine besondere Stärke Paixàs liegt auch beim Partnern, die sicher zur beeindruckenden Interpretation von Mackenzie Brown beigetragen hat. Zusammen machen sie nicht nur die ganze Bandbreite der Beziehung zwischen dem Prinzen und dem Schwan sichtbar, Brown kann dadurch auch in den Hebefiguren glänzen und regelrecht durch die Luft nach oben in den Spagat über Paixàs Kopf fliegen. Auch bei ihr berührt die Interpretation durch und durch, sie erzählt regelrecht mit ihrer Körpersprache die Geschichte von Odette und glänzt als kühne Odile erneut mit wiederholten 3-fach Fouettés.
Ausdrucksstarkes Paar: Mackenzie Brown als Odette und Martí Paixà als Prinz Siegfried. Foto: Stuttgarter Ballett
Das Glück der beiden zerstörte Clemens Fröhlich als böser Zauberer Rotbart, dem er mit dem langen schwarzen Umhang stets die richtige Note an Bedrohung verleiht. Bei den um den Prinzen werbenden Prinzessinnen ist Fernanda Lopes, erstmalig nach der Rückkehr aus dem Mutterschutz, als charaktervolle Prinzessin von Russland zu sehen.
Das Corps de ballet zeigte sich zu Beginn der neuen Spielzeit bereits von der besten Seite und bestätigte damit einmal mehr, weshalb das Stuttgarter Ballett – vor allem auch für das Niveau, das es in den „Schwanensee“ Vorstellungen zeigte – frisch zur Kompanie des Jahres gekürt wurde: stets perfekte Formationen, fast immer auch synchrone Armbewegungen, eine wie alle und alle wie eine, was vor allem im letzten Akt, in dem das Ensemble wesentlich zum Ausdruck des Dramas beitrug, tief zu berühren vermochte.
Anfang des Jahres, nach den ersten Vorstellungen vom „Königreich der Schatten“ aus „La Bayadère“ (im Rahmen des Ballettabends „Shades of Blue and White“), wäre diese Steigerung kaum vorstellbar gewesen, hier sei somit auch der Verdienst der neuen Ersten Ballettmeisterin Elizabeth Toohey zu erwähnen, der dies mit Sicherheit auch zu verdanken ist.
Berührende Schwäne: Mizuki Amemiya als Odette und Ensemble. Foto: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Das Staatsorchester Stuttgart interpretierte sehr stimmungsvoll Tschaikowskys Musik, mit etwas mehr Blick auf die Bühne und Koordination mit den Tänzern, könnte dessen Leiter Mikhail Agrest die Begleitung noch perfekt machen.
Viel Applaus gab es für beide Besetzungen, am zweiten Abend auch anhaltende Standing Ovations. Es waren nun bereits die letzten Vorstellungen des beliebten und stets ausverkauften Klassikers in dieser Spielzeit, man kann daher nur hoffen, dass die Wiederaufnahme in Zukunft nicht lange auf sich warten lässt.
Dana Marta