Stuttgarter Ballett: „SCHWANENSEE“ 14.5.2024 – schwebend leichter Schwan und darstellerisch erwachter Prinz
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Adhonay Soares Da Silva (Siegfried) im 3.Akt. Foto: Stuttgarter Ballett
Die dritte Besetzung brachte ein schon mehrfach erprobtes Paar zusammen, das technisch beiderseits von Anfang an bestens gerüstet nun auch eine deutlich gewachsene Initiative zur Rollengestaltung zeigt. Bei Agnes Su ist letzteres zum großen Teil darin begründet wie sie ihrer Odette mit weich fließenden Armen und geschmeidigen Beinen einen schwanengerecht schwebend eleganten Charakter verleiht. Ein Wesen wie aus einer anderen Sphäre und im Kern doch ein Mensch aus Fleisch und Blut, was sie dann als Gegenspielerin im schwarzen Tutu verlockend herrschaftlich ausspielt und mit akzentuierter Balance und recht schnell und gleichmäßig gedrehten Fouettées unterstreicht. Die von Cranko so einfühlsam in seine Choreographie übertragene wehmütige Stimmung im letzten Akt, der sich kaum ein Tänzer entziehen kann, lässt bei ihr Seelenregungen spürbar werden, die bei der ersten Begegnung mit Siegfried im zweiten Akt noch hinter einem Schutzpanzer verborgen schienen.
Die schauspielerische Öffnung bei seinem Romeo im letzten Herbst hat nicht getäuscht und war für den Brasilianer Adhonay Soares Da Silva offensichtlich so etwas wie eine Türöffnung in das Reich sichtbarer Verinnerlichung. Wo bis dahin bei ihm eine meist einsilbig heitere, wenig Tiefblick vermittelnde Präsenz herrschte, weiß er nun auch hier als Prinz Siegfried das nuancierte Gefühlsleben eines jungen Erwachsenen zwischen Fröhlichkeit, romantischer Vision, Leidenschaft und Verzweiflung in seine Auftritte einfließen zu lassen. Und als i-Tüpfelchen noch einen glaubhaften Todeskampf mit den Wellen des im Gewittersturm über die Ufer tretenden Sees (durch die Bühne querende wallende Stoffbahnen eindrücklich simuliert) auszutragen. Dazu präsentiert er sich zwei Tage nach dem Debut als klassischer Bilderbuch-Solist mit weichen Sprüngen, klar durchgezogenen Manegen und herausragend in seiner Kunst gleichmäßiger, rasant beschleunigter und auf die Musik abgestimmter verzögert auslaufender Pirouetten.
Nicht nur der Pas de deux mit Odettes schwarzer Doppelgängerin Odile geriet da zur großen Sache, auch der Pas de deux im Divertissement des ersten Aktes offenbarte sich an diesem Abend als großer kleiner Pas de deux, wesentlich beeinflusst durch Diana Ionescu, die hier mit ihrer würdevollen Ausstrahlung, Haltung und feinen Balance-Linien nicht eine der Siegfried umgarnenden Bürgerinnen, sondern die hervorstechend erste unter ihnen war. Es ist der rumänischen Solistin wirklich zu wünschen, dass sie nach ihrer außergewöhnlich langen Verletzungspause ihr hervorstechendes Potenzial wieder in größeren Partien ausschöpfen kann.
David Moore (Rotbart) im 3.Akt. Foto: Stuttgarter Ballett
David Moore ist vom Siegfried zum Geheimnis umwitterten Rotbart gewechselt und vermag den starken Einfluss des unheilvollen Herrschers unterstützt von seinem luftig schwingenden schwarzen Mantel in weiten Bühnendurchquerungen und süffisanten Blicken glaubhaft zu machen. Edoardo Sartori ist als Siegfrieds Freund Benno ideal eingesetzt, so sauber austariert sind seine mehrfachen Pirouetten-Figuren, die er später, sozusagen im Doppelpack, auch wie schon bewährt in variierter Form im Neapolitanischen Tanz zum Besten gibt.
Berührender Abschied: Agnes Su (Odile) mit Adhonay Soares Da Silva (Siegfried) im 4.Akt. Foto: Suttgarter Ballett
Die in den weiteren Nebenrollen im Wesentlichen unveränderte, mehr oder weniger passend besetzte und von Seiten des wieder mit viel Synchronität glänzenden Corps de ballet immer wieder neue detaillierte Einblicke in die choreographischen Feinheiten gewährende Aufführung stand unter der Leitung von Musikdirektor Mikhail Agrest, der wie bereits bei seinen bisherigen Einstudierungen mit dem Staatsorchester Stuttgart mehr als für eine pure Wiedergabe der Noten garantierte. Das betrifft sowohl die mit Feinsinn modellierten motivischen Stimmungen als auch z.B. die individuellen rhythmischen Reize der Nationaltänze. So gesehen wurden er und die Musiker berechtigt in den Schlussjubel miteinbezogen.
Udo Klebes