Stuttgarter Ballett
„SCHWANENSEE“ 19.+20.7.2024 – Debuts und Beförderungen
Kurz vor Saisonschluss lockten zwei spannende Rollendebuts viele Ballett-Liebhaber ins Opernhaus. Eine Halbsolistin, die bis jetzt noch in keiner größeren Partie hervorgetreten und auch nicht explizit aufgefallen war, sowie ein Solist mit außergewöhnlichen physischen Gegebenheiten, der aufgrund mehrerer unglücklicher Umstände bislang nur wenig Gelegenheiten hatte, seine Kunst zu zeigen, trafen für ihre Rollen-Premieren im Ballett aller Ballette zusammen, was die Erwartungen zusätzlich erhöhte.
Um es kurz auf den Punkt zu bringen: das Glück war auf ihrer Seite, so dass sie dafür verdient gefeiert wurden. Mizuki Amemiya, die 2017 ihren Abschluss an der Cranko Schule gemacht und erst seit dieser Saison als Halbsolistin getanzt hatte, begegnete der anspruchsvollen Doppel-Hauptrolle mit einer bemerkenswerten Unaufgeregtheit, verwandelte sich mit großer Souveränität, fließend ausgewogenen Spitzenbalancen und filigranen körpersprachlichen Signalen in das Wesen der Schwanenkönigin Odette. Von feiner, eher zurückhaltender und doch klar vermittelter Mimik bestimmt ist sodann ihre Verführung als Doppelgängerin Odile, technisch gesichert mit gespannt durchgezogenen Sprüngen und so virtuos schnell hingezirkelten Fouettées, dass das Mitzählen schwierig wurde. Auch im Angesicht der gewaltsamen Trennung von Siegfried beweist sie Seele und lässt eine Aura von Trauer entstehen. Für den Anfang ist das eine bemerkenswert profilierte und sichere Leistung, für die sie den Aufstieg zur Solistin wohl verdient hat.
Natürlich hat ihr Elisa Badenes am Abend darauf die langjährige Rollenerfahrung voraus und besticht wieder mit einer in allen Situationen totalen Rollenidentifikation sowie einer technischen Bravour, die in Schwindel erregenden Drehungen des Schwarzen Schwans spontane Ovationen auslöst.
Gabriel Figueredo als Siegfried im 1.Akt. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Das größte Augenmerk am 19.7. galt Gabriel Figueredos Premiere als Siegfried. Der als besonderes Talent mittels eines Stipendiums an die Cranko-Schule geholte und bereits mit vielen Preisen bedachte Brasilianer war schon mit seinen wenigen bisherigen Auftritten, wozu als herausragendste Partie der Lenski zählt, das Versprechen einer großen Zukunft. War er bisher durch eine gewisse Verschlossenheit und damit eine weit hinter seinen technischen Anlagen stehende Zurückhaltung der Gestaltung aufgefallen, so dürfte jetzt der Siegfried einen großen Knopf geöffnet haben, denn darin zeigt er nun einen ausgeprägten Charakter, bei dem das Jungenhafte mit einer erstaunlichen Empfindungstiefe verschmilzt. In der Begegnung mit Odette wandelt sich der locker Gelassene zum ernsthaft die Liebe Entdeckenden. Seine herausragende Bewegungs-Qualität schlägt sich in einer Elastizität der Beine nieder, was seine weiten Sprünge und hoch durchgestreckten Linien federnd leicht und geschmeidig und auch seine gleichmäßigen Links!Drehungen wie selbstverständlich erscheinen lässt. Geringe Schwächen zeigen sich noch in den Hebefiguren, aber da werden ihm künftig hoffentlich häufigere Einsätze mehr Entwicklung ermöglichen und noch mehr Selbstvertrauen geben, wo er vorläufig noch etwas vorsichtig zugange ist. Dazu dürfte sicher auch die Ernennung zum Ersten Solisten beitragen.
Elisa Badenes (Odette) und Henrik Erikson (Siegfried) im 2.Akt. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Eine ganz konträre Erscheinung ist am Folgeabend Henrik Erikson mit seinem athletischeren Körper, mittels dem die gleiche Choreographie wieder ein anderes Bild ergibt. Seit seinem Debut bei der Wiederaufnahme im April bietet der Schwede dank inzwischen mehrfachen Reprisen eine geschlossene Interpretation aus der natürlichen Verbindung von Fröhlichkeit und Leidenschaft mit einer in guter Form organisch fließenden choreographischen Wiedergabe.
Mizuki Amemiya (Odile) und Clemens Fröhlich (Rotbart) im 3.Akt. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
An beiden Abenden erzielte Clemens Fröhlich mit seinen großen Händen und langen Fingern sowie seinem dominierenden Körper und dem wissenden Umgang mit seinem bodenlangen wehenden Umhang wirkungsvolle Beschwörungen des geheimnisvollen Rotbart. Trotz seiner zerstörerischen Macht entstanden speziell in der letzten Begegnung auch berührende Momente.
Im sonstigen Ensemble fielen neben dem wieder sehr geschlossenen Schwanen-Corps Diana Ionescu in ihrer feinen Ausstrahlung und exakten Präsentation als Erste Bürgerin und Russische Prinzessin sowie Edoardo Sartori als Benno und später als Begleiter der neapolitanischen Prinzessin durch ausgewogen schwerelose Pirouetten auf.
Das Staatsorchester Stuttgart, angeführt von Konzertmeisterin Elena Graf mit glutvollen Violin-Soli, verhalf unter der Leitung von MD Mikhail Agrest Tschaikowskys populärer farbenreicher Musik mit überwiegendem Esprit und zumindest phasenweiser Detaillierung zu ihrem Recht.
Die Vorstellung am 20.7. wurde, wie nun seit Jahren am Ende der Saison Tradition, direkt auf eine Großleinwand im Schlosspark übertragen, wo aufgrund des sicheren und sehr warmen Sommerabends viel zusätzliches Publikum in den langen Jubel im Haus miteingestimmt haben dürfte.
Udo Klebes