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STUTTGART/Ballett: ROMEO UND JULIA

Gelöst und energievoll in alter Frische

07.12.2018 | Ballett/Performance


Tiefes Rollenverständnis + gelöste Technik: Friedemann Vogel (Romeo) und Alicia Amatriain (Julia). Copyright: Stuttgarter Ballett

Stuttgarter Ballett: „ROMEO UND JULIA“ 6.12.2018 –  Gelöst und energievoll in alter Frische

Eine freie Woche nach der anstrengenden Japan-Tournee scheint der gesamten Companie gut getan zu haben, mit einem Gestaltungsdrang fern jeglichem routiniertem Abspulen warfen sich Solisten und Corps-Tänzer in das unverwüstliche Shakespeare-Drama in John Crankos genauso unverwüstlichem Gewand. Die bis ins kleinste Detail ausgefeilte Choreographie bietet auch nach unzählbaren Aufführungen immer wieder neue Einblicke, zumal in den Ensemble-Szenen, wo zwei Augen oft überfordert sind, alle Gleichzeitigkeiten zu erfassen. Die intimeren Szenen, zumal die des Liebespaares und ein Großteil des dritten Aktes, ermöglichen dagegen die volle Konzentration auf ihre Darsteller.

Über Alicia Amatriain und Friedemann Vogel als weltweit renommiertes Paar ist schon so viel geschrieben und gewürdigt worden, dass es schwerfällt noch neue Worte zu finden. Dass die beiden an diesem Abend in einer auch nicht alltäglichen Harmonie und Gelöstheit, einem tiefen Insichruhen in ihren Partien und einer von Anfang bis Ende technischen Lockerheit zu erleben waren, sollte dennoch extra gewürdigt worden. Schon lange war die baskische Ballerina nicht mehr so aufblühend, ja fast wieder verjüngt und ohne einen Hang zur mimischen Überspanntheit zu sehen, und auch der Stuttgarter Danseur noble brachte seine herausragende Bewegungs-Qualität in einer in allen Positionen völlig ausgeglichenen Haltung und ganz besonders im federnden Einsatz der Beine zur Geltung, wie sie wohl nur in optimaler Tages- bzw. Abendverfassung möglich ist. Die Verschmelzung von interpretatorischer Reife und der spontanen, ja unverbrauchten Emotionalität eines jung verliebten Liebespaares machte völlig vergessen, dass da ein bereits im späteren Stadium seiner Tanzkarriere befindliches Paar auf der Bühne stand. Wenn Vogels Romeo hochbeglückt an seine Julia denkt und im Kreis seiner Freunde strahlt, blitzt immer noch dieser Jungencharme durch; wenn sich Nachdenklichkeit und drohende Katastrophe auf seinem Gesicht abzeichnen, begegnet uns (und gleichfalls bei ihr) ein gesetzter Charakterdarsteller. Der Pas de deux im Schlafzimmer erhält noch in der kleinsten Nuance eine Bedeutung, als ob die beiden ihren frühen Tod voraus ahnen würden.

Völlig überraschend kommt dagegen das Aus für den vor Lebensfreude und Unbekümmertheit strotzenden Mercutio von Marti Fernandez Paixa, der eine ideale Balance zwischen Tragik und Komik erzielt und in seiner Todesszene Sinn für die passende Dosis an Theatralik zur Verhinderung von abwertender Übertreibung beweist. Das Freundestrio komplettiert Matteo Miccini als keineswegs zurück stehender herzhafter Benvolio mit knackigen Sprüngen.

Roman Novitzkys Tybalt gewinnt immer mehr an Profil, seine Gehässigkeit gegenüber den Montagues macht sich in einer fast verbissen provokativen Miene bemerkbar, selbst die letzten Aufbäumungen im Angesicht des Todes machen noch eine gewisse Kampflust spürbar. Alexander McGowan entspricht den Vorstellungen des blässlichen Adeligen Graf Paris genauso wie es die allesamt bewährten Vertreter der Charakterrollen sind: Sonia Santiago (Amme), Melinda Witham (Lady Capulet), Rolando D’Alesio (Graf Capulet), Louis Stiens (Pater Lorenzo + Herzog von Verona). Angelina Zuccarini, Rocio Aleman und Daiana Ruiz stellten das rassige Zigeunerinnen-Trio und Fabio Adorisio führte das stets vom Bühnenvolk wie von den Zuschauern bewunderte Faschingsquintett mit Schmackes an.

Das Corps de ballet füllte die lebhaften Szenen auf dem Platz wie auch die strengeren Zeremonien im Palast mit Hingabe und Geschlossenheit aus. Mikhail Agrest brachte als Gastdirigent mit dem Staatsorchester Stuttgart ungeachtet einiger ungenauer Einsätze mehrere neu gehörte Momente der Prokofieff-Partitur zustande – wo sonst manches etwas zu massiv daherkommt, lässt er vor allem in so manchen Streicherpassagen mehr Eleganz und Wärme hören. In den vor allem auf das Liebespaar ausgerichteten stürmischen Applaus wurden er und die Musiker am meisten miteinbezogen.                                

Udo Klebes         

 

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