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STUTTGART/ Ballett: „Remember Me“ – Berührende Hommagen.

04.11.2023 | Ballett/Performance

Stuttgart

31.10 und 03.11: „Remember Me“ Berührende Hommagen

Zu Ende der letzten Spielzeit hatte der Ballettabend „Remember Me“ Premiere, dessen Name gleichzeitig auch Programm ist: „Initialen R.B.M.E.“ kann als Hommage John Crankos an vier seiner Tänzer gesehen werden, während mit „Requiem“ Crankos Freund Kenneth MacMillan eine Hommage an Cranko selbst schuf.   

„Initialen R.B.M.E.“ ist eines der persönlichsten Stücke Crankos und angeordnet an die vier Sätze von Johannes Brahms‘ Zweiten Klavierkonzert.

Adhonay Soares da Silva gibt mit einwandfreier Technik den Auftakt als würdiger Darsteller Richard Craguns, Schritte, Sprünge, Drehungen, auch in schnellen Tempi, alles auf den Punkt, auch wenn vom Körperbau her der junge Brasilianer wenig mit Cragun gemeinsam hat. Mit MacKenzie Brown harmoniert er umso mehr im Pas de deux, ihre Dynamik ergänzte seine sehr stimmig.

Der II. Satz ist Birgit Keil gewidmet und Anna Osadcenko stellt diese mit viel Hingabe dar. Diesen Satz hat Cranko vielleicht weniger Keils Person und mehr ihrer gesamten Ausstrahlung, auch auf die Compagnie, gewidmet. Die Soli sind hier weniger und kürzer, so dass das Quintett Veronika Verterich, Giulia Frosi, Jason Reilly, Martí Fernandez-Paixà und David Moore die Rolle mindestens genau so viel tragen wie Osadcenko.  

Im III. Satz scheint die Zeit immer etwas stehen zu bleiben, obwohl oder vielleicht gerade weil, hier „alles fließen sollte, so wie im Leben und in der Liebe nichts bleibt, wie es ist“, wie Marcia Haydée, der dieser Satz gewidmet ist, es ausdrückt. Sicher ist diese Wirkung an dem Abend auch der Darstellung von Elisa Badenes und Friedemann Vogel zu verdanken. Die beiden lassen die technisch sehr schwierige Choreographie mit vielen Hebungen und Übergängen, ohne Posen, erstaunlich leicht und fließend wirken, wodurch sie Crankos Botschaft über den Fluss des Lebens und der Vergänglichkeit berührend vermitteln.

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Elisa Badenes und Friedemann Vogel in „Initialen R.B.M.E.“ von John Cranko. Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

Nach der elegischen Stimmung folgt das Allegretto des letzten Satzes ganz überraschend. Matteo Miccini führt mit seiner spritzigen Art jedoch sehr schnell in den Part des Egon Madsen ein. Strahlend lächelnd und mit vielen, schnell wirbelnden Schritten, strahlt Miccini pure Lebensfreude aus.

Am Ende des Stückes, das Jürgen Rose mit überarbeitetem Bühnenbild im neuen Glanz erstrahlen ließ, blicken die vier Solisten nach oben auf das Leben mit einem Lächeln, das sie auch dem Publikum zu übertragen vermögen.

Das Stück wirkt manchmal wie ein Bad in einem Bach: man scheut am Anfang das Eintauchen, doch einmal drinnen, wirkt es wie eine Erfrischung, aus der man nicht mehr heraus möchte.   

Im Gegensatz dazu beginnt „Requiem“ von Kenneth MacMillan mit einem symbolischen Hadern mit dem Schicksal: das Ensemble bewegt sich in geschlossener Gruppe nach vorne, mit gebogenen Armen und geballten Fäusten, die sie immer wieder nach oben erheben. Am Ende erweist sich das Stück jedoch als erhebend, auch dank Gabriel Faurés gesungenem Requiem op. 48 und dem Bühnenbild von Yolanda Sonnabend, bei dem durch eine rechteckige Säule hinten auf der Bühne ein mildes Licht immer wieder nach oben strahlt.

Trost und Hoffnung verbreitet auch die Choreographie durch Soli und Gruppenbilder, die an Tod, Auferstehung und ewige Verbindung erinnern, sowie das Tänzerensemble, in deren Interpretation der Geist sowie die Hommage an den Gründervater Cranko zu spüren sind.

Laut Haydée stellt ihre Figur „den Engel dar, der schaut, was in der Welt passiert“. Elisa Badenes interpretiert die Rolle mit Demut, jedoch auch Lebensfreude, in einem ihrer Soli wirkt sie, als würde sie das Leben selbst umarmen. Ebenso durch das gesamte Stück begleitet Jason Reillys Figur, schlicht mit lediglich einem Tuch um die Lenden bedeckt, als das an Jesus erinnernde mahnende Opfer.

Vielleicht den Gegenpart des Engels oder dessen Stütze auf Erden stellt Anna Osadcenko in Agnus Dei dar, Teil in dem sie am Ende kniend den Engel stützt.

Martí Fernandez-Paixà strahlt in Sanctus Freude und Lebensmut aus, während Friedemann Vogel in Libera Me eindrucksvoll die Befreiung einleitet, begleitet von Clemens Fröhlich, Satchel Tanner und Ensemble.

Akustisch trugen das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Mikhail Agrest ebenso wie Annija Adamsone (Sopran), Junoh Lee (Bariton) und der Kammerchor figure humaine (Einstudierung: Denis Rouger) zum stimmungsvollen Klang bei.

Eine weitere Besetzung tanzte am 3.11. Richard Cragun wird diesmal von Martí Fernandez-Paixà ebenso virtuos wie ausdrucksstark dargestellt. „Richard, du bist der erste Satz und bringst die Sonne in die Welt.“ soll Cranko zu Cragun gesagt haben. Diese Energie vermag Paixà tatsächlich auszustrahlen.

Daiana Ruiz erinnert nicht nur optisch an Birgit Keil sondern sie vermag deren schöne Linien und den stets Perfektion anstrebenden Stil darzustellen. Anna Osadcenko und Jason Reilly geben dem III. Satz als Marcia Haydée und Heinz Claus ihre eigene, eher tiefsinnige als fließende wirkende Note. Passend dazu folgt im IV. Satz Alessandro Giaquintos Interpretation von Egon Madsen: verspielt und flott lässt er dabei auch Ernsthaftigkeit und Substanz durchschimmern.

Im „Requiem“ gab es eine ähnliche Besetzung wie davor, ein bemerkenswertes Debut gab es jedoch von Veronika Verterich in Agnus Dei, wo sie Verzweiflung und Fall (vor allem in der Szene, wo sie vom Ensemble mit dem Kopf nach unten getragen wird), ebenso wie Auferstehung und Stärke (als kniende Stütze des Engels am Ende des Satzes) gleich intensiv darstellt.

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Elisa Badenes und Ensemble in „Requiem“ von Kenneth MacMillan. Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

Das Staatsorchester Stuttgart wurde an dem Abend von Wolfgang Heinz begleitet, vokale Beiträge gab es diesmal von Kiki Sirlantzi (Sopran), Kabelo Lebyana  (Bariton) sowie erneut dem Kammerchor figure humaine (Einstudierung: Denis Rouger).

Anhaltend Standing Ovations gab es vom sichtlich berührten Publikum. Man erwartet vielleicht Schwere und Trauer angesichts des Namens des Ballettabends sowie der Stücke, am Ende fühlt man sich jedoch getragen von genau diesen.                                         

Dana Marta

 

 

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