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STUTTGART/ Ballett: ONEGIN – Höhepunkte zum Saisonschluss

25.07.2023 | Ballett/Tanz

Stuttgarter Ballett: „ONEGIN“ 21.+24.7.2023 – Höhepunkte zum Saisonschluss

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Adhonay Soares Da Silva als Lenski im 1.Akt. Foto: Stuttgarter Ballett

Wer meint, durch das Medium Tanz könnte nichts erzählt werden, hat noch keines der Handlungsballette von John Cranko gesehen. Schon gar nicht dieses sein Schaffen krönendes Werk, das jetzt im Rahmen der Ballett-Tage aus Anlass seines 50.Todestages vor einer vermutlich wieder mehrjährigen Pause noch vier Mal zu sehen war. Denn das nach Puschkins Briefroman entstandene Juwel birst, wie jede Aufführung aufs Neue beweist, an Ausdruckskraft von Anfang bis Ende. In jedem Moment, in jeder Bewegung erschließt sich da die Handlung in ihrer ganzen Tragweite und verschmilzt mit der stimmungsvollen Ausstattung und Kostümen von Jürgen Rose sowie der von Kurt Heinz Stolze nach Tschaikowsky-Kompositionen stilecht zusammengestellten und instrumentierten Musik zu einem Gesamtkunstwerk.

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 Rocio Aleman (Tatjana) und Marti Fernandez Paixa (Onegin) im Spiegel-Pas de deux. Foto: Stuttgarter Ballett

Von zwei Vorstellungen ist hier die Rede, geschlossen jede auf ihre Art und doch mit verschiedenen Ansatzpunkten in Interpretation und tänzerisch-technischer Erfüllung. Im Juni hatten sie als Paar in der „Kameliendame“ emotional tief berührt, und das gelang Rocio Aleman und Marti Fernandez Paixa nun auch in völlig anderer Konstellation als Tatjana und Onegin. Bei der Mexikanerin fließen mädchenhafte Feinheit und eine spürbar verletzliche Seele zu blühender Leidenschaft zusammen. Genauso vermittelt sie nach ihrer Wandlung zur würdevollen Dame der aristokratischen Gesellschaft an der Seite von Fürst Gremin die Zerreißprobe der Wiederbegegnung mit dem sie nun reuevoll begehrenden Onegin. In den Pas de deux kann sie sich bestens geborgen fühlen in Paixas sicheren Händen und dank dessen so leichtem, völlig lockerem Hebevermögen. Der Katalane überzeugt aber auch für sich betrachtet als smart süffisanter und Tatjanas Begehrlichkeit verständlich machender Fremdkörper mit geschmeidig ausbalancierten Drehungen und durchgehend konzentriertem Rollen-Profil.

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Elisa Badenes (Tatjana) und Jason Reilly (Onegin) im Schluss-Pas de deux. Foto: Stuttgarter Ballett

Jason Reilly dagegen steht allein schon als pure Erscheinung im Mittelpunkt, sein Charakter des gelangweilten Lebemanns ist ausgeprägt bis hin zur Hebung der Augenbrauen und präsent in seiner puren Arroganz. Der langjährige Kammertänzer setzt die Partie auch jenseits der 40 noch mit selbstverständlich wirkender Bravour und Eleganz sowie natürlich seiner immensen Erfahrung als Partner um. Das sind beste Voraussetzungen für die in allem was sie anpackt, so unermüdlich partiekonform und im positiven Sinn perfekt tanzende Elisa Badenes. Ihre Tatjana ist anfangs genauso erfrischend schwärmerisch verträumt wie später in ihrer neuen Stellung geerdet und am Ende tief bewegt in ihrer spontanen Entscheidungsfindung.

 

Gabriel Figueredo setzt als Lenski bereits hohe Maßstäbe in solistischer Hinsicht mit feinem Port de bras und hohen Balancen sowie körperlich-mimischer Durchdringung, muss allerdings als Partner noch an Sicherheit und damit an selbstverständlichem Zutrauen wachsen. Diesbezüglich ist ihm der technisch sehr ausgeglichene Erste Solist Adhonay Soares Da Silva voraus. Seine Darstellungsgabe gewinnt nun deutlich an Aussagekraft, dennoch wird seine in die Duell-Forderung mündende Eifersucht noch etwas zu verhalten sichtbar.

Veronika Verterich taut als Olga nun auch mehr auf und paart ihre feine Linie mit gewinnenderem Frohsinn. Mackenzie Brown ist die lebenslustigere, im Tanz kernig zupackendere Schwester Tatjanas. Als Fürst Gremin präsentierte sich zuerst Clemens Fröhlich mit nobler Geste und gleichmäßiger Führungs-Basis im Pas de deux mit Tatjana. Matteo Crockard-Villa gibt ihm eine gemütvollere, gesetztere Note und trug Tatjana (seine Partnerin im Leben) letztmals auf Händen, denn der kanadische Halbsolist verabschiedete sich mit Blumen und einigen lautstark akklamierten Solo-Vorhängen nach langer Ensemble-Zugehörigkeit als Tänzer, um in die Funktion des Inspizienten zu wechseln.

Joana Romaneiro Kirn alternierend mit Sonia Santiago sowie Angelika Bulfinsky füllten die Rollen der Mutter Larina und der Amme mit situationsgerechtem Spiel.

Das Corps de ballet ließ sich in diesem 14tägigen Ballett-Marathon am Ende einer langen Saison nicht lumpen und weder im Status der Landbevölkerung noch der Geburtstagsgesellschaft und der adeligen Ballbesucher Routine oder technische Nachlässigkeit aufkommen.

Nur das Staatsorchester Stuttgart wirkte vor allem am ersten Abend auffallend unkonzentriert und stellenweise zu grob zupackend, wofür es mit dem immer sehr animiert engagierten Dirigenten Wolfgang Heinz dennoch in den rauschenden Jubel des Publikums miteinbezogen wurde.

Udo Klebes

 

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