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STUTTGART/ Ballett: ONEGIN – Debuts über Debuts

15.11.2021 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett „ONEGIN“ 14.11.2021 nm + ab. – Debuts über Debuts

Ein wichtiger Tag für die Fortschreibung der Erfolgsgeschichte von John Crankos perfektem lyrischem Drama, standen doch in zwei aufeinander folgenden Vorstellungen nicht weniger als sieben Rollendebuts an. Am Nachmittag waren gar alle fünf tragenden Partien neu besetzt, am Abend stellten sich noch eine weitere neue Tatjana und ein neuer Lenski vor.

Unwillkürlich kommt es bei so nah beieinander liegenden Präsentationen zu direkten Vergleichen, auch wenn letztlich jede/r für sich betrachtet werden muss. Eines sei schon vorweggenommen: um den Nachwuchs für einen künftig qualitätvollen Erhalt dieses Ballettjuwels an seiner Uraufführungsstätte brauchen wir weiterhin nicht bange zu sein.

Insgesamt betrachtet gibt es nur positive Überraschungen zu konstatieren, vor allem hinsichtlich einer bereits beim ersten Mal wesentlichen Erfassung der Charaktere und ihres Gefühlslebens. Was wiederum auch die dafür erforderliche technische Basis miteinschließt.

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Rocio Aleman (Tatjana) und Marti Fernandez Paixa (Onegin) im Spiegel-Pas de deux. Copyright: Stuttgarter Ballett

Bei Marti Fernandez Paixa mag es nur wenige Tage nach seinem Lenski ein allzu dichter Wechsel zur Titelrolle sein, wo viele Tänzer sich des Onegin erst bemächtigen, wenn sie Lenski abgeschlossen haben. Für den Katalanen mit der schnellen Auffassungsgabe bedeutet dies zum Glück kein Problem. Das „Umschalten“ auf den späteren Duell-Gegner funktioniert ohne Durchlässigkeiten. Den im schwarzen Habitus inmitten der heiter zart farbenen Landbevölkerung wie ein Fremdling wirkenden Mann aus gutem Hause stattet er mit feiner Mimik und einer deutlichen Note an Gleichgültigkeit aus, so als ob er manchmal Tatjanas Anwesenheit gar nicht richtig wahrnimmt. Vom verführerischen Traumbild bis hin zum flehenden Kämpfer lebt seine Interpretation von vielen Zwischentönen im Verein mit elegant weichem Körpereinsatz und ganz sauber und mühelos sitzenden Hebungen.

Letzteres erleichterte es Rocio Aleman ungemein, sich in die Tatjana ohne Bremse emotional hinein fallen zu lassen. Die Mexikanerin überzeugt sowohl als etwas melancholisch verträumtes Mädchen wie später als fest im Leben angekommene Gattin des Fürsten Gremin und in der spannend flackernden Aufrechterhaltung ihrer Beherrschtheit gegenüber dem zudringlich werdenden Onegin. Eine feine Linie veredelt noch ihre Verkörperung, mit der sie würdevoll die Reihe großer Rollenvorgängerinnen fortsetzt. Zusammen mit Paixa bildet sie ein höchst attraktives und harmonisches Paar.

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Fernanda Lopes (Olga) und Gabriel Figueredo (Lenski) im 1.Akt. Copyright: Stuttgarter Ballett

Für den schnell zum Halbsolisten aufgestiegenen Gabriel Figueredo ist Lenski (wie schon für viele Vorgänger) eine frühe Chance, seine Fähigkeiten auch jenseits einer besonders ausgeprägten Technik zu beweisen. Dabei macht der Brasilianer mit noch teenagerhaften Zügen eine überwiegend gute Figur, läßt Jetes und Drehungen mittels seiner endlos scheinenden Beine besonders effektiv ins Bild setzen und findet auch im aufkeimenden Zorn und in der schmerzlichen Äußerung seiner Gefühle vor dem Duell den glaubhaften Ansatz für eine Darstellung, die er naturgemäß noch vertiefen wird müssen. Nur im Pas de deux mit Olga gerieten die Hebungen noch etwas unsensibel kantig. Dies bedeutet aber für Fernanda Lopes keinen Nachteil. Bei der zierlichen Halbsolistin gesellt sich zur adelig kultivierten Aura ein nicht zu unterschätzendes Temperament, so dass sich dieses Debut mit leichter Spitzentechnik zu einem kompletten Erfolg rundet.

Der fünfte Neuling ist Fabio Adorisio als charakterlich schon recht gesetzt wirkender Fürst Gremin, der im noch nicht ganz fließend gelungenen Pas de deux mit seiner Gattin dennoch die erdende Stütze bildet.

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Agnes Su (Tatjana) und Jason Reilly (Onegin) im aufwühlenden Finale. Copyright: Stuttgarter Ballett

Am Abend wartete mit der Solistin Agnes Su eine aufgrund ihres bisher auf mehr moderne Choreographien konzentrierten Einsatzes so nicht erwartete, weitere auf Anhieb Crankos Herausforderungen instinktiv durchschaut habende Tatjana. Am Beginn ist sie weniger introvertiert, generell etwas kompakter im Zugriff und dennoch von einer zunehmend bezaubernden tänzerischen Feingliedrigkeit. Spontan ernannte sie Ballettintendant Tamas Detrich auf offener Bühne zur Ersten Solistin. Dabei hatte sie in Jason Reilly den denkbar souveränsten und sichersten Partner, weshalb die beiden Pas de deux mit den komplizierten Hebefiguren und Fallaktionen geradezu den Anschein von Schwerelosigkeit hatten. Darüber hinaus zeigte sich der langjährige Erste Solist und Kammertänzer in der Spätphase seiner Karriere in einer erfreulich fitten Verfassung, die es ihm ermöglicht, seine in allerlei Nuancen vertiefte Onegin-Studie in allen choreographischen Belangen ohne Einbußen umzusetzen.

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Matteo Miccini (Lenski) im 2.Akt. Copyright: Stuttgarter Ballett

Als Lenski stand ihm Matteo Miccini gegenüber. Für den Halbsolisten mit exquisiter Technik, starker körperlicher Präsenz und bühnenfüllend strahlendem Charisma war es höchste Zeit alle diese Fähigkeiten endlich in eine erzählende Rolle einbringen zu können. So darf dieses Debut auch prompt als gelungen betrachtet werden. Bemerkenswert auch seine Fähigkeit musikalische Zwischenräume in seinem Klage-Solo vor dem Duell mit Gespür ausfüllen zu können. An seiner Seite stand wieder wie in der Wiederaufnahme die entzückend leicht und perlend tanzende und erfrischend agierende Jessica Fyfe als Olga.

Matteo Crockard-Villa schließlich holte seinen bislang nur auf Tournee gezeigten Fürsten Gremin „zuhause“ nach und fügte sich damit insgesamt angemessen in das derzeit wieder gut aufgefüllte Reservoir an Rollenvertretern ein.

Das Staatsorchester Stuttgart unter der sensibel und lebhaft steuernden Leitung von Wolfgang Heinz lieferte dem Bühnenpersonal wieder das mal wehmütige, mal leidenschaftliche romantische Seelengewand im Stil Tschaikowskys.

Nur schade, dass damit wieder für längere Zeit der Vorhang über dieses Herzstück des Repertoires gefallen ist, die nächsten Vorstellungen finden im Frühjahr im Rahmen einer Japan-Tournee statt. Und dann ist erst mal wieder Pause, obwohl es jede Saison im Spielplan präsent sein sollte, damit die TänzerInnen ihre Portraits beständig ausbauen und entwickeln können!

 Udo Klebes

 

 

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