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STUTTGART/ Ballett: „ONE OF A KIND“ (Wiederaufnahme) – schwer in Worte zu fassen

20.03.2023 | Ballett/Tanz

Stuttgarter Ballett

„ONE OF A KIND“ 17.3.2023  (Wiederaufnahme) – schwer in Worte zu fassen

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Ensemble mit Solocellist Francis Gouton. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

In der ersten Spielzeit (2018/19) von Ballettintendant Tamas Detrich bildete die deutsche Erstaufführung von Jiri Kylians handlungslosem Dreiteiler einen starken Kontrast und ein Gegengewicht zu MacMillans nachfolgendem Historienballett „Mayerling“.

Das 1998 im Auftrag des Niederländischen Innenministeriums zum 150jährigen Jubiläum der Niederländischen Verfassung für das Nederlands Dans Theater geschaffene Werk vereint viele bemerkenswerte Komponenten: ein artifizieller mit teils geometrischen Formen symbolisch spielender Bühnenraum des bedeutenden Architekten Atsushi Kitagawara, schlichte in dunklen Tönen gehaltene Kostüme von Joke Visser, ein selbst magische Bühnenräume schaffendes Lichtdesign von Michael Simon in neuer Gestaltung von Kees Tjebbes sowie ein teils meditatives, teils Nerven erregendes musikalisches, aus verschiedenen Formen konzipiertes Konglomerat von Brett Dean mit solistischem Cello, verschweißt mit Stücken von Britten, Cage sowie einiger unbekannterer Komponisten bis hin zu alten Madrigalchören; und nicht zuletzt die choreographische Hand eines der großen, aus dem Stuttgarter Ballett hervor gegangenen Tanzschöpfer.

Das Thema ist ein wesentlicher Punkt des ersten Paragraphen der erwähnten Verfassung, nachdem jeder in allen Kriterien des Menschseins gleich zu behandeln ist. Doch wie können sich die unterschiedlichsten Individuen in der Gesellschaft bewegen ohne in ihrer Freiheit eingeschränkt zu werden? Die Vermittlung von Integrierung, Abhängigkeiten und Kompromissen via Tanz bedeutete eine enorme Herausforderung.

Das Konzept Kylians besteht aus der Gegenüberstellung einer Protagonistin mit einer Gruppe von Individuen, die mal abgegrenzt, mal miteinander konfrontiert agieren. Ein mit der Spitze wie eine Rakete nach unten weisender und in wechselnde Positionen schwenkender großer Kegel schwebt über der Bühne und liefert genauso interpretatorische Assoziationen wie eine durch Lücken dreigeteilte Treppe und ein im Licht goldbraun schimmernder Schnürlvorhang. Diesen sich durch wechselnde Lichtprojektionen immer wieder verändernden Bühnenraum betritt bzw. erobert die Protagonistin aus der ersten Zuschauerreihe über eine Rampe des leicht nach oben gefahrenen Orchestergrabens. Zuerst noch vorsichtig, dann immer ausgreifender sind ihre Bewegungen. In der Folge beobachtet sie die nach und nach in verschiedenen Kleinformationen auftretende Gruppe an Individuen, reagiert solistisch auf ihr Verhalten oder reibt bzw. vereinigt sich mit ihnen in wechselnden Konstellationen. Kylians Personalstil, in der Regel musikalisch fließend, stößt hier bei der durchweg erkennbaren klassischen Basis sehr weit in die Modern Dance Art vor. Zumal in der Ausrichtung der Arme. Die Veranschaulichung des Themas vollzieht sich mehr in der Formalität von kurzen Beziehungen und Phasen der Ausgrenzung als in der konkreten Erkennung zeichenhafter Ausdrucks-Merkmale. Auf diese Weise wirkt das Ganze, unterstützt von der vor allem im ersten Teil viel Konzentration erfordernden Musik bei aller körperlichen Expressivität etwas distanziert, mehr als Kunstobjekt denn als direkt ansprechende Auseinandersetzung mit der Thematik. Francis Gouton, der ehemalige Solocellist des Staatsorchesters Stuttgart vollzieht den live eingemischten Kraftakt zwischen flächiger Ruhe und Rasanz mit lockerer Virtuosität.

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Rocio Aleman + Jason Reilly. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Rocio Aleman steigert sich vom noch etwas verängstigenden Herantasten an ihre Umgebung zu sich mehr und mehr durchsetzender Bestimmtheit und weiß in manchen Momenten auf leise Art zu berühren. Technisch ist sie voll auf dem Posten – wie all die anderen formidablen Stuttgarter TänzerInnen, die sich in Soli und maximal 4er Gruppen präsentieren. Allen voran der auch als Partner wieder sehr akkurate und perfekt unterstützende Jason Reilly und der auffallend profilierte Marti Fernandez Paixa. Auch Agnes Su in unterschiedlicher Kombination, im letzten Teil mit dem auch hier exakte und wissende Figur machenden Friedemann Vogel zeigt, dass sie im Abstrakten genauso überzeugt wie im Klassischen. Eine reizvolle Paarung bilden die erfahren expressive Anna Osadcenko mit dem bislang noch wenig hervor getretenen, recht locker zur Sache gehenden Nachwuchs-Gruppentänzer Satchel Tanner. Hervorstechend sind noch Matteo Miccini, Alessandro Giaquinto mit schnittig klarer Linie und die auch hier Ausstrahlung und höchste Souveränität beweisende Mackenzie Brown.

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Marti Fernandez Paixa. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Der Rest fügt sich schnittlos ins Ensemble: Elisa Badenes, Vittoria Girelli, Elisa Ghisalberti, Minji Nam, Mizuki Amemyia, Alicia Garcia Torronteras, Daiana Ruiz, Fabio Adorisio, Timoor Afshar, Adhonay Soares Da Silva und Clemens Fröhlich

Der anhaltend begeisterte Applaus gilt natürlich dem Tanzpersonal, zeugt aber auch von einer hohen Bereitschaft des Publikums, sich auf ein nicht so leicht zugängliches, wenig griffiges, aber in der Summe seiner Komponenten geschlossenes Werk einzulassen.

  Udo Klebes

 

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