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STUTTGART/ Ballett: „MAHLER X DREI MEISTER“ – mit Halbsolist in deutlichem Aufwind

16.02.2025 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett: „MAHLER X DREI MEISTER“ 14.2. 2025 – mit Halbsolist in deutlichem Aufwind

 In Anwesenheit von zahlreichen internationalen Ballettdirektoren, die zur am anschließenden Wochenende in der John Cranko-Schule zum dritten Male stattfindenden Job fair des Youth American Grand Prix – ein Vortanzen globaler Tänzer zwischen neun und neunzehn Jahren zur möglichen Gewinnung eines Vertrages bei einer der mit der Institution verbundenen Partner-Compagnien – gekommen waren, gingen einige weitere Rollen-Debuts im anspruchsvollen Ballettabend mit Kompositionen von Gustav Mahler über die Bühne des Opernhauses.

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Rocio Aleman, Satchel Tanner und Martino Semenzato in „Das Lied von der Erde“. Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

In „DAS LIED VON DER ERDE“ übernahm jetzt Rocio Aleman die zentrale Figur der Frau und schaffte es, wie in allen ihren bisherigen Partien, auch diese geheimnisvoll zwischen Leben und Traum schwebende, von Sir Kenneth MacMillan mit der Ungewöhnlichkeit von Mahlers Komposition korrespondierend entfaltete Kreation mit Herzenstiefe zu erfüllen. So durchwehten z.B. ihre schwebend die Bühne kreuzenden Bahnen von Trippelschritten auf Spitze eine wohltuende Wärme. In der von viel Symbolik bestimmten Choreographie setzt sie einen Schwerpunkt berührender Menschlichkeit. Dies gelingt dem derzeit aufwärts strebenden Halbsolisten Satchel Tanner wohl noch nicht, doch zeigt er sich in Körperhaltung und sauber elegantem Einsatz als technisch gut gerüsteter Tänzer, dem bald mal noch größere Rollen überantwortet werden dürften.

Martino Semenzato mausert sich mehr und mehr zu einem erstklassigen Charaktertänzer gepaart mit zuverlässig ausgeglichenem Körpereinsatz. Den Ewigen in Halbmaske vermittelt er durch eine präzis geschmeidige Setzung gestischer Elemente mit der dem Part innewohnenden Rätselhaftigkeit.

Im Gruppen-Umfeld sind noch Mackenzie Brown und Christopher Kunzelmann in einer glänzend gelungenen Pas de deux-Phase sowie Aoi Sawano für ein strahlendes Solo zu erwähnen.

Die Vokalparts genügten guten, aber nicht optimalen Ansprüchen. Mihails Culpajevs im Grunde apart dunkel timbrierter und mit deutlicher Artikulation eingesetzter Tenor ließ sich leider im gut ausgebauten und beherrschten Höhenregister mehrfach zum Forcieren verleiten. Claudia Huckles etwas gewöhnungsbedürftig herb-sinnlicher Mezzosopran gewann zwar zunehmend an aufhellender Detaillierung, doch eine gewisse Textverständlichkeit war selbst in leisen Momenten nur wenig gegeben.

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Adhonay Soares (links) und Jason Reilly (Mitte) in „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

Ebenfalls ein Rollendebut feierte Adhonay Soares als Geselle in Maurice Béjarts jedes Mal aufs Neue bewegend-begeisternder Choreographie „LIEDER EINES FAHRENDEN GESELLEN“. Der in den letzten zwei Jahren auch als Ausdrucksträger und Interpret deutlich erwachte Erste Solist gestaltet den Part spürbar musikalisch-inhaltlich inspiriert in einer Kombination aus jünglingshafter Naivität und und weltlicher Erkenntnis. Technisch betrachtet befindet er sich zudem auf der Höhe seines Könnens. Den vieldeutigen Begleiter legt Jason Reilly aus reichhaltiger Erfahrung schöpfend wechselnd zwischen dunklem Schatten und deckunsgleichem Gefährten an. Manchmal entsteht zwischen beiden auch der Eindruck eines schwankenden Vater-Sohn-Verhältnisses. Den vokalen Beitrag leistete diesmal Pawel Konik aus dem Opern-Ensemble und fand zu einem nuancierten Vortrag der einfühlsamen vier Mahler-Lieder, der manchmal etwas zu sehr an den Noten klebte und im oberen Register seines kernig runden Bariton etwas trocken strenge Züge annahm.

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Satchel Tanner und Anna Osadcenko in „Spuren“. Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

In dem auf einen Pas de trois mit kurzer Corps de ballet-Beteiligung erhaltungsbedingt reduzierten Auszug aus John Crankos letztem Ballett „SPUREN“ verrichtete auch die Alternativ-Besetzung viel Überzeugungsarbeit, dem damals (1973) angefeindeten Stück heute zu einem beachteten Erfolg zu verhelfen.

Anna Osadcenko verkörpert die Lebenserfahrung der Frau, die sich von ihrer belasteten Vergangenheit in einem totalitären Staat nur schwer lösen kann, um im Jetzt an der Seite eines neuen Partners völlig anzukommen; mit fast greifbarer Traumatisierung und hingebungsvoller Attacke in den Armen der beiden Männer. Jason Reilly ist in den wilden Sprung-Variationen des kahlgeschorenen Häftlings von gestern auch im späten Tänzer-Alter noch ganz in seinem athletischen Element, zu dem Satchel Tanner als Prototyp eines gutbürgerlichen Mannes der Gegenwart den perfekten Konstrast bildet. Auch hier beweist der Amerikaner Versiertheit als Danseur noble-Tänzer und geschickter Partner.

Die mit einem Schlag von (Wiener) Walzerseligkeit in verstörende Agonie kippende Szene mit den per Scheinwerfer-Batterie in grelles Licht gesetzten Inhaftierten mit eingebrannten Nummern auf dem Rücken sorgte in Übereinstimmung mit Mahlers feinst entworfenem Adagio aus seiner unvollendeten 10.Symphonie wieder für Beklemmung.

Das Staatsorchester Stuttgart unter Ballett-MD Mikhail Agrest hatte seinen verdienten Anteil an diesem musikalisch wie choreographisch gleichermaßen wertvollen Abend.

 Udo Klebes

 

 

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