Tänzerisch-spielerische Harmonie: Angelina Zuccarini (Lise) und Marti Fernandez Paixa (Colas). Copyright: Stuttgarter Ballett
Stuttgarter Ballett
„LA FILLE MAL GARDÈE“ 27.4. 2018 – Jeder für sich allein und gemeinsam spitze!
Mit der dritten und letzten Besetzung dieser Wiederaufnahme-Serie stellte sich doch noch jenes allumfassende Glück ein, das dem Ashton-Klassiker bei seinem Stuttgarter Einstand vor 18 Jahren mit gleich mehrfach idealem Personal beschieden war und die Meßlatte entsprechend hoch gelegt hatte.
An diesem Abend wurde durch eine in allen vier Hauptpartien goldwerte Umsetzung wie auch im harmonischen Einklang als Paar bzw. Ensemble bewusst, was den voran gegangenen Alternativen trotz einzelner Treffer gefehlt hat, um das heitere Meisterwerk des britischen Choreographen von Anfang bis Ende zum Genuss werden zu lassen.
Angelina Zuccarini hat der Partie der Lise – obwohl dem Jungmädchenalter inzwischen entwachsen – eine bemerkenswerte Leichtigkeit in der charakterlichen Identifikation bewahrt, spielt völlig unaufgesetzt, auch in der Pantomime ihres Traums von einem Familienglück mit Kindern ohne Übertreibungen und schafft es auch trotz eher erdig kräftigem Spitzenansatz mit weit gespannten Jetés und in allen Formkombinationen auf Spitze traumsicherer Balance durchgängig Schwerelosigkeit wirken zu lassen. Sie profitiert zusätzlich durch ihren Partner Marti Fernandez Paixa, dessen aus dem ff sitzende (teils einarmige) Hebungen ihren Pas de deux-Sequenzen ganz im Einklang mit der Musik schwebende Gelöstheit ermöglichen. Dem gleich mit seinem ersten Auftritt voll präsenten, sein sonniges Charisma aufs ganze Ensemble versprühenden und viel Sensibilität im Detail beweisenden Katalanen gelingt als mit List und Gewandtheit zu seinem Glück findenden Colas alles, was dieser junge Bauer zu vollbringen hat: saubere Bein-, explizit Fußarbeit in den Bournonville nahe stehenden Momenten, beherzte Sprünge und lustvoll hingelegte Drehungen sind so ausgeglichen in sein liebenswertes Agieren integriert, dass es keiner herausragenden Effekte bedarf.
Zwei exquisite Charakter-Gestalter: Fabio Adorisio (Mutter Simone) und Alessandro Giaquinto (Alain). Copyright: Stuttgarter Ballett
In der Travestie-Rolle der Mutter Simone vollführt Fabio Adorisio eine virtuose Gratwanderung zwitterhafter Akzente und gestaltet die herzhaft strenge Erzieherin Lises, gekrönt von einem finessenreich servierten Holzschuhtanz, mit sicherem Gespür zwischen seinem individuell ausgeprägten Augenaufschlag und dem gekonnten Umgang mit wechselnden (Schürzen-)Kleidern. Es wäre höchste Zeit, den Italiener zum Halbsolisten zu befördern.
Auch Alessandro Giaquinto gelingt es als Wunsch-Schwiegersohn Alain jeden Moment seiner Auftritte zu einer Kostbarkeit einer aus dem Tanz heraus wachsenden Charakterisierung zu machen, so perfekt idiomatisch fließt die Gehemmtheit des reichen Gutsbesitzersohns bei ihm in seine ungeschickten Antragsversuche mit Blumen und Ring gegenüber Lise ein.
Und weil das wieder in spritziger Laune angetretene Corps de ballet seine anspruchsvollen volksnahen Tänze gleichfalls zum Hingucker werden lässt, war jede Minute dieser Aufführung pure Erfüllung – hilfreichst unterstützt von Gastdirigentin Maria Seletskaja, die -durch ihre Tänzer-Figur aktive Erfahrung darin nahelegend – großes Geschick in der Tempi-Koordinierung zeigte und deshalb einige Unsauberkeiten seitens des Staatsorchesters Stuttgart zur Nebensache machte. Das mit Wogen der Begeisterung gefeierte tänzerische Glück dieses Abends konnten letztlich auch keine instrumentalen Schwächen einschränken.
Udo Klebes