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STUTTGART/ Ballett: LA FILLE MAL GARDÉE

Die zweite Garde

28.03.2018 | Ballett/Performance


Moacir De Oliveira, Jessica Fyve. Copyright: Stuttgarter Ballett

Stuttgarter Ballett: „LA FILLE MAL GARDÉE“ 26.3.2018 – Die zweite Garde

Im Februar 2016 wurde Jessica Fyfe entgegen der sonstigen Stuttgarter Gepflogenheit, die solistischen Hierarchien aus eigenem Schul- oder Corps de ballet-Nachwuchs zu  bestücken, als Halbsolistin von außen engagiert. Die bislang in ihrer Heimat beschäftigt gewesene Australierin bekam nun nach einigen mittelgroßen Partien mit der Figur der Lise in Ashtons wohltuend unterhaltendem Klassiker die erste Chance in einer Hauptrolle ihre Qualitäten zu beweisen.

Sie tut dies allein schon aufgrund ihres quirligen Wesens, mit dem sie das verspielte, aber auch um keine Finte, ihrer strengen Mutter zu entkommen, verlegene Mädchen glaubhaft macht. Technisch durchmisst sie die in den variantenreichen und oft kleinteiligen und auf engem Raum angesetzten Spitzen-Passagen nicht zu unterschätzende Partie mit leichter, das eine aus dem anderen heraus fließend verbindender Bravour. Besonders fällt auf, wenn sie im zweiten Akt, von ihrer Mutter mit dem Tambourin angetrieben, die fast marionettenhaft aufgezogenen Bewegungen in gekonntem Commedia dell’Arte-Stil vollführt. In den Szenen mit ihrem Geliebten Colas wäre noch etwas mehr Spritzigkeit denkbar, obwohl das Zusammenspiel harmonisch wirkt und nur durch etwas schwerfällige Hebungen einen leichten Dämpfer bekommt.

Ob dieses Problem eine Frage der Körpergröße von Moacir De Oliveira ist, der ebenfalls von außen als Halbsolist ins Ensemble gekommen war, lässt sich schwer beantworten. Der Brasilianer nimmt mit sonnigem Gemüt und durchweg natürlichem Einsatz für sich ein, setzt weite Sprünge, zeigt generell gut durchgestreckte Beine, und könnte doch in der Gesamtwirkung noch etwas effektiver sein.

Nicht zum ersten Mal stahlen die Charakterdarsteller dem Liebespaar trotz deutlicher Sympathiekundgebungen in der Gunst des Publikums die Show. Louis Stiens lässt sich in der Travestierolle der Mutter Simone keine Pointe entgehen, lotet Ecken und Kanten gebührend aus, lässt Hartherzigkeit und Reue oft unmittelbar aufeinander folgen und serviert den stets köstlichen Holzschuhtanz mit Pfiff und einem Schuss Selbst-Koketterie.


Matteo Miccini. Copyright: Stuttgarter Ballett

Matteo Miccini wiederum erweckt für den einfältigen und verklemmten Wunschschwiegersohn Alain durchaus auch Sympathie, mit so viel charmantem Lächeln (statt Grinsen) und Bewegungs-Energie lädt er seine Soli und die Interaktion mit den anderen auf. Umso deprimierender spiegelt sein Gesicht die Enttäuschung über den geplatzten Heiratsdeal seines Vaters Thomas ( Matteo Crockard-Villa mit passend autoritärer Breitbeinigkeit) wider, doch am Ende zaubert ihm der wieder gefundene rote Schirm als untrennbarer Begleiter ein versöhnliches Leuchten in die Augen.

Alle anderen Nebenrollen-Vertreter sowie das Corps de Ballet füllten wie schon bei der WA-Premiere am 3.3. das Landleben mit Tanz- und Gestaltungslust.

Das beim Liebespaar noch etwas vermisste Berauschen an überquellender Freude steuerte das Staatsorchester Stuttgart bei. Wolfgang Heinz ließ die perlende bzw. rhythmisch eingängige und durchgehend liebenswerte Musik von Ferdinand Hérold im Arrangement von John Lanchbery mit viel Spaß an eingestreuten Naturlauten zu ihrem dem Tanz ebenbürtigen Recht kommen und das Gewitter am Ende des 1. Aktes gehörig krachen. Dafür wurde es mit kaum weniger Jubel belohnt wie die Tänzer.

 Udo Klebes

 

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