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STUTTGART/ Ballett/Kammertheater: „BLICKE HINTER DIE KULISSEN“ – von der Entstehung eines Pas de deux

04.02.2022 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett

„BLICKE HINTER DIE KULISSEN“ 1.+4.2. (Kammertheater) – von der Entstehung eines Pas de deux

Einmal pro Spielzeit gibt das Stuttgarter Ballett Einblicke in Probenprozesse oder referiert über spartenbezogene Themen mit praktischen Beispielen.

In der gewohnten Atmosphäre des Kammertheaters, wo das Publikum an einem Sammelsurium von Tischen platziert ist (die Bewirtung war jetzt den Hygienemaßnahmen geschuldet ins Foyer verlegt) wurde diesmal neben den bereits traditionellen Präsentationen der John Cranko-Schule die Entstehung eines Pas de deux demonstriert. Dessen Schöpfer Alessandro Giaquinto war während seiner Ausbildungszeit an der Cranko Schule 15jährig in einer Gemeinschaftsproduktion von Ballett und Schauspiel schon früh als Solist hervor getreten und hat sich bald nach seiner Übernahme in die Compagnie neben seinen tänzerischen Aufgaben (seit dieser Saison als Halbsolist) dem Choreographieren zugewandt. Mittlerweile hat der inzwischen 25jährige elf eigene Werke auf die Bühne gebracht, zuletzt eines für die Gala zum 50Jahr-Jubiläum der Cranko-Schule am 1. Dezember letzten Jahres.

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Blick h.d.Kulissen. Giaquinto Ferlito Erikson. Foto: Stuttgarter Ballett

Nach einem kurzen Interview durch den Produktionsleiter Krzysztof Nowogrodzki, in dem der Italiener durch ein so gut wie akzentfreies Deutsch besticht, tritt er in Aktion und erweist sich im Laufe der 90 Minuten (pro Abend) als schon sehr selbstbewusster, ganz gelöst und spontan zwischen dem ballettinternen Englisch, Deutsch und natürlich seiner Muttersprache spielend hin und her switchender Moderator beim Entstehen seines eigenen Kunstwerks.

Etwas knapp und erst zwischendurch erläutert ist die Ausgangssituation für seine Kreation ausgefallen. Grundlage ist jedenfalls ein Zitat des US-amerikanischen Schriftstellers Charles Bukowski, wonach der Mensch schon mit dem Beginn der Schule aus seiner Freiheit entlassen wird. Dass es Giaquinto um Themen menschlicher Existenz und aktueller Zukunftsprobleme geht, war schon in seiner voran gegangenen Choreographie aufgefallen.

Eine himmelstürmende Ausrichtung der Bewegungen ist da kaum gefragt, eher strebt der Körper Richtung Boden oder diesem entlang. Tastende Hände und vorsichtige Berührungen des Partners formulieren Gesten des Suchens und Fragens. Eingeknickte Beine und zuckende Schultern unterstützen das Spiel einer unkonkreten Handlung. Nicht immer scheint es einfach den Intentionen des Choreographen zu folgen, aber die nach und nach ineinander fließenden Figuren atmen eine Leichtigkeit, die sich die Tänzer stückweis zusammengesetzt und immer wieder in Teilen wiederholt erarbeiten. An vorderer Front die beiden Männer Henrik Erikson (ein bereits sehr persönlichkeits-markanter Halbsolist) und Riccardo Ferlito (ein langsam aus der Gruppe hervor tretender Corps de ballet-Tänzer). Parallel dazu bzw. mehr im Hintergrund erarbeiten sich Anouk van der Weijde und Paula Rezende dieselbe Choreographie als Cover-Besetzung und machen dadurch deutlich, wie komplett anders ein- und dieselbe Bewegung bei beiden Geschlechtern zum Ausdruck kommt.

Musikalisch bedient sich Giaquinto der heute so bevorzugten Collagen, wozu zunächst eine eher bedrohlich dunkle Geräuschkulissse, im Verlauf dann eine stimmungsvoll langsame Sommerballade zum Einsatz kommt.

Die beiden besuchten der insgesamt fünf Abende mit zwei Tagen dazwischen vermittelten den erfolgten Fortschritt wie auch die spielerische Einbeziehung des Publikums durch den Choreographen, der es auch mal einlädt ihm eine Idee zu geben oder gar mitzumachen.

Insgesamt bleibt der Eindruck, dass Alessandro Giaquinto selbst und seine Gabe, Einstudierungen eloquent und locker sowie in Balance zwischen Ernst und Humor zu halten, vorläufig stärker überzeugte als das etwas im Vagen bleibende choreographische Ergebnis.

 

                                                                                                                      Udo Klebes

 

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