Stuttgarter Ballett: „HOMMAGE À MACMILLAN“ 16.12. 2014– Rollentausch
Die beiden exemplarischen und eng mit dem Stuttgarter Ballett verbundenen Choreographien des 1992 verstorbenen Kenneth MacMillan fordern durch ihre existenziellen Themen erhöhte Konzentration, aber auch das sich Einlassen auf die von Mahler und Fauré vorgegebenen musikalischen Welten. „DAS LIED VON DER ERDE“ bedarf vieler Begegnungen, um es in seiner verschlüsselten Symbolik zwischen Idylle und Weltschmerz im Detail zu begreifen. Die Übernahme der drei zentralen Figuren durch jenes Trio, das bei der Wiederaufnahme vor zwei Wochen noch im Mittelpunkt des „Requiems“ standen, ließ unterschiedliche Auffassungen erkennen und das Stück damit auch neu beleuchten.
Der Ewige ist für Constantine Allen nach seinem äußerst frühen Othello-Debut eine weitere Gelegenheit durch körperliche Mitteilsamkeit zu wachsen, nicht nur eine zuverlässige und klare Technik zu präsentieren. Und er weiß in dieser mythischen Gestalt, die wie ein Fatum über die Szene herrscht und ein liebendes Paar in zeichenhafte Begegnungen verwickelt, wohl noch nicht die unerbittliche Macht des Weltenlenkers spürbar zu machen, stattdessen ein leichteres, fast gelassenes Wesen zu verleihen, hinter der der Todesbote lauert – eine schillernde Interpretationsvariante, die einen doppelbödigen Reiz hat.
Als jenes liebende Paar versenkten sich Myriam Simon und Alexander Jones ganz in den Tanz, reduzierten die bei Mahlers Musik latent vorhandene Neigung zu pathosüberladener Mimik auf das eigene Schöpfen aus dessen naturgeprägtem Stil. Sie mit einer fraulichen Würde und einer berührenden Mischung aus Anmut und Stärke, er mit jugendlichem Feuer wie auch männlicher Standhaftigkeit. Und beide mit jenem unauffälligen technischen Wissen, das allem eine durchgängige Form gibt.
Angelina Zuccarini führte die chinesische Pavillon-Szene nicht ganz so pastell-leicht an wie ihre Vorgängerin, setzte ihr eine forscher zupackende, dabei nicht weniger spitzen-agile Fassung entgegen. An der Spitze des Satzes von der Schönheit stand der Pas de deux mit einer strahlenden und biegsamen Miriam Kacerova und dem selten so gelöst und charme-präsent erlebten Roland Havlica.
Das Corps de ballet rundete in kleinen geschlechtlich getrennten oder auch gemischten Formationen die Stimmungsbilder dieser Lied-Symphonie, der Erin Caves diesmal freier klingender Tenor und Gae-Hwa Yang nuanciert schattierter, nur leider wenig durchschlagskräftiger Mezzosopran, ein durchaus tragfähiges vokales Gewicht sicherten.
In „REQUIEM“ fasziniert allemal die Aussagekraft der von christlichen Symbolen durchzogenen Choreographie und die reinigende Transzendenz der oft wie in Trance einer verklärten Welt entfalteten Musik Gabriel Faurés. So klar konzentriert auf die fließenden Linien wie auch leichte Spitzenbalance und die von innen kommende Haltung in getragenen Funktionen war Alicia Amatriain selten zu sehen. Das Pie Jesu hatte Innigkeit, das Sanctus Größe, auch durch die tragfähige Hilfe von Damiano Pettenella. Von Kraft und Ruhe gleichermaßen durchströmt setzte Jason Reilly ganz auf die spirituelle körperliche Erfühlung der zentralen Christus-Funktion. Athletische Figur und ein sensibler Kern schaffen dabei spannende Kontrast-Wirkungen.
Anna Osadcenko windet sich als Opferlamm im „Agnus Dei“ genauso mitteilsam wie Pablo von Sternenfels als Leitfigur des „Libera me“ dem Flehen um Befreiung düster intensiven Ausdruck verleiht. Kaum zu glauben, dass derselbe Tänzer vor kurzem noch als pfiffig charmanter Valerio in „Leonce und Lena“ begeistert hat, aber letztlich ein Beweis, welcher Bandbreite an Ansprüchen Tänzer ausgesetzt sind.
Auch hier wieder eine lobend zu erwähnende Geschlossenheit des Ensembles, das sich immer wieder zu Haufen verballt. Catriona Smith, Ronan Collett, das Fauré-Vokalensemble und das von James Tuggle dicht am Bühnengeschehen gehaltene Staatsorchester Stuttgart bildeten die Komponenten einer sphärisch abgehobenen Realisierung der Fauré-Partitur. Zu großem Applaus gesellte sich jetzt auch noch die Begeisterung für ein überirdisches Ballett Erlebnis.
Udo Klebes