Stuttgart/Ballett: 7. und 14.6: „FÜNF FÜR HANS“ – Berührende Abschlussvorstellungen
Das älteste Stück des Ballettabends „FÜNF FÜR HANS“ ist 1973 entstanden und das neueste 2005, in allen ist jedoch Hans van Manens einzigartiger Stil zu erkennen. Intendant Tamas Detrich hat für die Hommage an den Altmeister fünf gleichermaßen spannende wie auch bewegende Stücke ausgesucht, in denen van Manens Genie für Choreographien über menschliche Beziehungen, auch außerhalb von großen Handlungsballetten, sichtbar ist. Viele kurzfristige jedoch gelungene Besetzungsänderungen und Rollendebuts an beiden Abenden, zeugten einerseits von Detrichs guter Wahl für die Compagnie, vor allem aber von der Vielseitigkeit der Tänzer sowie von der hohen Qualität des Ensembles.
„ADAGIO HAMMERKLAVIER“ auf Ludwig van Beethovens Adagio aus der Sonate 29 für Hammerklavier, ist zwar das älteste Stück des Abends, tänzerisch jedoch vielleicht am Herausforderndsten. Die Choreographie ist da sehr genau auf die Adagio-Töne der Musik abgestimmt, so dass vor allem die Schritte am Anfang, hohe Aufmerksamkeit der Tänzer erfordern, damit sie synchron gelingen. „Die Musik kreiert die Welt, in der sie (die Tänzer) agieren,“ sagt van Manen über die Entstehung seiner Stücke, für die stets die Musik gleichermaßen als Inspiration diente wie die Tänzer. Drei Paare „erzählen“ hier drei Geschichten oder vielleicht auch Entwicklungs-/ Zustände einer Beziehung. Anna Osadcenko stellt anfangs berührend die Verletzlichkeit in einer Beziehung dar und schwebt dabei wie ein zarter Vogel, getragen von Clemens Fröhlich (Rollendebut am ersten Abend) starken Armen. So kann sie Stärke entwickeln, so dass anschließend Fröhlich sich fallen lassen kann. Ein Paar, das sich gegenseitig stützt und somit weiterentwickelt. Einen ganz anderen Beziehungszustand haben Miriam Kacerova und Fabio Adorisio darzustellen: mit wiederholt betontem Gehen auf Spitze und diagonal nach oben gestreckten Armen drückt die Choreographie hier die Spannung und Schwierigkeiten aus, die es in einer Beziehung geben kann. Dafür ist im letzten Teil des Stückes das klassische Rollenverständnis einer Beziehung zu sehen, durch ein Paar das aufgrund einer kurzfristigen Besetzungsänderung am ersten Abend Rollendebut hatte und an beiden überzeugte: Satchel Tanner als starker Mann, „der Schaffende“, in dessen Armen Diana Ionescu (nach langer Verletzungspause schön, immer mehr zu sehen) sich fallen lassen kann, am Ende wird durch Synchrontanz sogar Gleichschwung ausgedrückt. Berührend an beiden Abenden auch die Begleitung durch Olga Khoziainovas Solo-Piano.
Adagio Hammerklaviert: Anna Osadcenko, Clemens, Fröhlich, Miriam Kacerova, Fabio Adorisio, Diana Ionescu und Satchel Tanner. Foto: © Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
„TWO PIECES FOR HET“ stellt komprimiert und voller Intimität das Werben eines Paares umeinander sowie den Kampf um Unabhängigkeit dar, um sich am Ende endlich zu finden und in der Mitte der Bühne aneinander gelehnt, sich in einer Geste voller Verletzlichkeit die Hand zu geben. Elisa Badenes und Friedemann Vogel tanzen van Manens Stil sehr getreu und mit viel Eleganz, während am zweiten Abend Mackenzie Brown und Martí Paixà das Paar mit viel Nonchalance, aber auch Skepsis, darstellen.
Eine spannende Beziehung ist auch in „TROIS GNOISSIENNES“, zu sehen, ein Pas de deux, begleitet von drei weiteren Tänzern, die lediglich ein Klavier auf einem kleinen Podest immer wieder auf der Bühne schiebend bewegen und dem Paar folgen.
Rocio Aleman und Martí Paixà zeigen hier erneut wie gut sie miteinander harmonieren und auch van Manens Stil beherrschen, der hier mehr Bruch mit der Klassik wagt, viel mit ungestreckten Füßen tanzen lässt, auch Stufensteigen in der Luft ist hier zu sehen.
Am zweiten Abend geht Clemens Fröhlich bei seinem Rollendebut unnötigerweise für ihn mit viel Respekt an die Rolle heran, so ist da vor allem seine Stärke als Partner zu bemerken, wodurch Miriam Kacerova, ebenfalls beim Rollendebut, mit mehr Bühnenpräsenz strahlen konnte.
Trois Gnoissiennes: Miriam Kacerova und Clemens Fröhlich: Foto: © Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Eine Augenweide und ein Stück für die gute Laune ist zweifelsohne „SOLO“, ein Stück für drei Solisten auf Partita Nr. 1 für Violine von Johann Sebastian Bach. Zwei Debuts gab es auch hier am zweiten Abend: Christopher Kunzelmann zeigt dabei, dass man diesen Part auch elegisch sehr treffend darstellen kann, während Dorian Plasse Begeisterung, gleichermaßen wie Respekt und Staunen anzusehen sind. Edoardo Sartori überzeugt an beiden Abenden mit sehr akkuraten Schritten, stets perfekt im schwierigen, wechselnden Tempo und strahlt dabei mit viel Humor und Spaß am Tanzen. Bemerkenswert seine Form schon am ersten Abend, an dem er sein Rollendebut durch den Ausfall von Gabriel Figueredo vorziehen musste.
Solo: Edoardo Sartori Foto: © Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Den Abschluss des Abends macht „FRANK BRIDGE VARIATIONS“ auf Musik von Benjamin Britten, eine Choreographie für fünf Paare, die viel auch von der Gruppe lebt, u. a. Julliane Franzoi, Ruth Schultz, Joana Senra, Vincent Trevnicek, Joaquin Gaubeca und Jamie Constance mit Rollendebuts am zweiten Abend. Von den beiden Hauptpaaren berührte Anna Osadcenko am ersten Abend auch mit neuem Partner Martí Paixà (der viel eingesprungen und somit in allen Vorstellungen unterschiedliche Rollen tanzte), wobei beide ihre Vielseitigkeit zeigen konnten. Durch eine weitere Besetzungsänderung gab da auch Vittoria Girelli ihr Rollendebut.
„Schaut man richtig, verändert sich ein Pas de deux total. Auf einmal begreift man die Beziehung zwischen den beiden InterpretInnen. Man sieht, warum die beiden überhaupt miteinander tanzen.“ Besser als van Manen selbst kann man die Essenz seiner Stücke kaum beschreiben!
Stets viel Applaus, auch Standing Ovations gab es vom Publikum, auch für das Staatsorchester Stuttgart, geleitet von Mikhail Agrest sowie Wolfgang Heinz. Gefühlt viel zu schnell verging die Zeit, in der man diesen Ballettabend sehen konnte und so bleibt nur zu hoffen, dass zumindest einige der Stücke bald wieder ins Repertoire aufgenommen werden.
Dana Marta