STUTTGART / Ballett:„FORSYTHE/GOECKE/SCHOLZ“ am10.02.2016
In der Spielzeit seines 20-jährigen Intendanz-Jubiläums wollte Reid Anderson so viele Choreographen und Werke wie möglich zeigen, die ihn in seiner Laufbahn als Tänzer, Ballettdirektor und Intendant begleitet haben. Nicht verwunderlich ist es somit, dass gleich vier gemischte Ballettabende mit jeweils drei Stücken auf dem Spielplan stehen. Der zweite Ballettabend in der Serie, Forsythe/Goecke/Scholz, vereint drei der bekanntesten Hauschoreographen der Vergangenheit und der Gegenwart.
Eröffnet wird der Abend wie durch einen Paukenschlag mit William Forsythes „SECOND DETAIL“. Forsythe mag inzwischen nicht mehr alle seine Stücke und lässt einige davon auch nicht mehr tanzen, umso glücklicher kann man es schätzen, dass dieses nicht dazu zählt, denn es macht Forsythes Ruf als einer der bedeutendsten Ballettrevolutionäre sicher alle Ehre.
Kein Detail nebensächlich: das Stuttgarter Ensemble setzt Akzente in Forsythe’s fesselndem Stück „The Second Detail“ Foto: Stuttgarter Ballett
Das schlichte, hell beleuchtete Bühnenbild (lediglich eine Reihe Hocker im Hintergrund, von denen aus die Tänzer immer wieder zu neuer Virtuosität aufstehen) und hellgraue Ganzkörpertrikots ermöglichen die Konzentration auf Choreographie und Tänzer, was bei diesem Stück voller Details wahrlich nicht einfach ist. Vorne wirbeln Daniel Camargo (sehr musikalisch und akkurat in den Schritten) und Alicia Amatriain (pure Spannung in den Arabesquen und Attitüden, weich fließend in den Wellenbewegungen) im Pas de deux, um sie herum und hinter ihnen setzen zwölf weitere Tänzer „headoverheels“ (kopfüber) die Schwerkraft außer Kraft, darunter eine entfesselte Rocio Alemanin schwindelerregender Senkbewegung im Spagat oder James Fisher (viel versprechender Corps de ballet Tänzer, zusammen mit Adhonay Soares da Silva in allen drei Stücken des Abends dabei) mit kurzem, sehr anspruchsvollem Solo. Thom Willems vielfältige Perkussionsklänge setzten die nötigen Musikakzente und alle Tänzer folgten stets auf den Punkt, so dass man sich vorstellen kann, dass diesedenen der Erstbesetzung kaum nachstehen konnten.
Ganz anders im faszinierenden Stück „LUCID DREAM“ von Marco Goecke. Zwar stimmt hier Gustav Mahlers Adagio aus der Sinfonie Nr. 10 mit Streichern-Thema zu sanfteren Klängen voller Tiefe und gibt dem Stück die nötige Atmosphäre, jedoch lebt auch Goeckes Choreographie nur durch penible Genauigkeit, die an diesem Abend leider nicht ganz gelungen ist, was auch daran liegen mag, dass alle elf Tänzer Rollendebüt hatten.
Ayaka Fujii und Martí Fernandez Paixa in Marco Goeckes „LucidDream“: wieviel Wachheit steckt in diesem Traum? Foto: Stuttgarter Ballett
Nachdem anfangs zischendes Atmen und ein kollektiver Schrei wie zum Erwachen auffordern und das in Goeckes eigenem Stil nervöse Zucken und Zittern der Arme etwas zu starr wirkte, entfaltet das Stück nach und nach ihre Wirkung. Der schwarze Vorhang im Hintergrund öffnet sich und weicht einem riesigenBild aus hell- und dunkelgrauen Farbtönen, die je nach Licht wie graue und weiße Rosen oder Gestein wirken, durch dessen Öffnungen Tänzer immer wieder kommen und gehen. Die flatternden Arme und Hände zeichnen allmählich weichere Flügelbewegungen, die Nervosität wird verspielter und man ahnt, dass es vielleicht die Art ist, wie man mit Ängsten, die in der durch das Nachtlicht gedämpften Atmosphäre hervorkommen, umzugehen versucht, was Goecke in diesem Wachtraum, wie der Titel auf Deutsch heißt, vermitteln will. Als einzige Tänzerin setzt Ayaka Fujii im Pas de deux mit Martí Fernandez Paixasanftere, klassische, Akzente, fast im Kontrast zum restlichen von Hochspannung geprägtem Bewegungsfluss.
Wie eine Ode an die Klassik wirkt dagegen Uwe Scholz‘„SIEBTE SINFONIE“ zu Beethovens gleichnamigerMusik, ein Stück voller Harmonie und Anmut. Wie ehrenvoll die Damen durch die Luft auf die Bühne getragen werden, damit sie mit bogenförmigen Beinbewegungen die Musikakzente betonen können, wie sie im Spagat auf dem Boden gezogen werden wie schwimmende Schwäne, die vielen wechselnden Formationen und Drehungen mit in allen Richtungen gestreckten Beinen oder das wiederholte Innehalten um einen Lichtkreis– all daszeichnet Bilder, die in Erinnerung bleiben.
Eindrucksvolle (Tanz-)Bilder: das Stuttgarter Ensemble in „Siebte Sinfonie“ von Uwe Scholz Foto: Stuttgarter Ballett
Constantine Allen vermag es diesen Stil entsprechend zu verkörpern und partnert sehr sicher Anna Osadcenko, die durch Leichtigkeit sowie enorme Musikalität glänzt und jede Nuance der Musik, jedenSchritt der Choreographie genau betont. Dies rettete etwas darüber hinweg, dass so manche Linie und Formation an dem Abend nicht so sauber waren. Stimmungsvoll begleiteten das Hauptpaar immer wieder Rocio Aleman und Ami Morita, sowie Alexander McGowan und James Fisher. Applaus auch für das Staatsorchester Stuttgart, das sich unter der Leitung von Wolfgang Heinz von der besten Seite zeigte. Ein vielfältiger Ballettabend, den man sich nicht entgehen lassen sollte.
Dana Marta