Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Ballett: DORNRÖSCHEN – mit weiteren Titelrollen-Alternativen

02.02.2020 | Ballett/Performance

 


Aurora-Nachwuchs: Diana Ionescu. Copyright: Stuttgarter Ballett

Stuttgarter Ballett

„DORNRÖSCHEN“ 31.1. + 1.2. 2020 – mit weiteren Titelrollen-Alternativen

Ballettintendant Tamas Detrich setzt die Strategie seines Amtsvorgängers Reid Anderson fort, zum Aufbau künftiger Solisten dem Nachwuchs mit Potenzial Chancen zu geben, sich in großen anspruchsvollen Partien zu präsentieren. Dass dieses Unterfangen auch jetzt bei einer der technisch herausforderndsten Aufgaben der klassischen Schule eine positive Überraschung gebracht hat, zeugt vom hohen fachlichen Spürsinn Detrichs und seines Teams.

Die rumänische Halbsolistin  Diana Ionescu jedenfalls ist von jugendlicher Ausstrahlung und einer gewissen Unverdorbenheit und Unschuld umweht, was für die 16jährige Aurora schon mal ideale Voraussetzungen sind. Ihre Debut-Anspannung mit einigen um sie etwas zittern lassenden Momenten weiß sie indes in eine durchgängig entschiedene persönliche choreographische Gestaltung umzusetzen. Mit unter diesen Umständen noch nicht ganz gelöst wirkendem Lächeln durchsteht sie die teils ausgedehnten Spitzen-Positionen ohne auffälligere Einbußen. Nach dem ohne Hänger gelungenen Rosen-Adagio serviert sie bereits spürbar entspannt den Solo-Dialog mit der Violine in locker wie in einer Kette aufgefädelten Drehungen mit perfekt erzielter Endposition. In den langsameren Balancen der Traumvision beweist sie eine feine Linie gepaart mit seelenvoller musikalischer Empfindung. Und im Hochzeits-Pas deux beginnt sich ihr Lächeln mehr und mehr zu befreien, ihre Präsentation noch lockerer zu werden, wobei sie hier in heiklen Momenten wie den Fischfiguren sichtbar von der Erfahrung Friedemann Vogels als prinzlichem Partner profitiert. Der führende Erste Solist war damit ein weiteres Mal für einen ausgefallenen Kollegen eingesprungen und bewies seine absolute Souveränität auch darin, dass er durch seine Fürsorge die Rollendebutantin trotz seines eigenen Glanzes nie in den Schatten stellte. Zumindest in den Duo-Szenen ist Ionescus entsprechend gefeierter Einstands-Erfolg somit auch Partner-Glück.


Spitzensicherst und mit leuchtenden Augen: Hyo-Jung Kang als Aurora. Copyright: Stuttgarter Ballett

Am Abend danach kam dann wieder Hyo-Jung Kang als Aurora zum Einsatz. Bei der letzten Wiederaufnahme-Serie 2015 hatte sie bereits mit ihrer makellosen Standsicherheit und mädchenhaften Ausstrahlung begeistert. Auch in gereifter Form zaubert sie auf ihr Gesicht immer noch eine bezaubernde kindlich brennende Neugier und tanzt die Rolle in allen Stadien mit einer Gelöstheit im Rosen-Adagio, wo noch ein weiterer Prinz wohl auch kein Problem gewesen wäre, einer totalen Entrückung in der Vision und einem leuchtend umglänzten Fest-Pas de deux. Spätestens da begann sich auch die Miene ihres eher nachdenklich introvertiert gezeichneten Prinzen David Moore aufzuheitern, der ansonsten wieder mit einwandfreier Technik in allen Sprung- und Drehvarianten noble klassische Haltung zeigte.

An beiden Abenden konnten auch die Interpreten der Carabosse ihre mit dieser Serie hinzugewonnene Partie bedeutend entwickeln. Roman Novitzky steigerte vor allem seine Effektivität an bedrohlich raumgreifenden Sätzen und ließ jetzt hinter der Maske der ob ihrer Gekränktheit bösen Fee mit vielen kleinen Details einen Menschen zum Vorschein kommen, für dessen Verhalten auch Verständnis entsteht. Eine solche Differenzierung ist Ciro Ernesto Mansillas Sache weniger, bei ihm dominieren dämonische Züge, die er allerdings in schillernder Bewegungssprache und charaktervoller Mimik stringent mit dem Ungestüm seiner exaltierten Sprungkraft verbindet. Am anderen Abend konnte der Argentinier auch im östlichen Vertreter der vier um Aurora werbenden Prinzen seine Lust an exzessiven Sprüngen  ausleben und lieferte sich ausgeprägter als in bisherigen Besetzungskombinationen mit den gleichzeitig mit ihm neu angetretenen anderen 3 Prinzen Matteo Miccini (Süden), Alessandro Giaquinto (Westen) und Henrik Eriksson (Norden) einen diesbezüglichen Wettbewerb einschließlich einiger nebenbei einfließender Gesten der Rivalität.


Kräftemessen von Gut und Böse:  Sinead Brodd (Fliederfee) und Ciro Ernesto Mansilla (Carabosse). Copyright: Stuttgarter Ballett

Mehr oder weniger auf Augenhöhe, vermochten sowohl Sinéad Brodd als auch Rocio Aleman die Effizienz ihrer Fliederfee verbessern, erstere mit noch nicht ganz gewonnener Selbstsicherheit und kühlerer Leuchtkraft, zweitere mit ruhigerer Repräsentation und etwas mehr Wärme.

Adrian Oldenburger weiß seine schon mehrfach aufgefallene Sprung-Intensität für die besonders ausgeprägte Raum-Eroberung des Ali Baba schon recht geschickt und bewundernd knackig einzubringen, am ersten Abend noch etwas gebremst auf Nummer Sicher gehend, am zweiten dann mit deutlich mehr Wagemut und teils schon riskant gefährlichen Akzenten auf Kosten eines durchgehenden Flusses. Veronika Verterich funkelte spitzensicher als solistischer Rubin. Erheblich verbessert präsentierte sich Christian Pforr als Blauer Vogel und musste sich als Nachwuchstänzer keineswegs hinter dem edel federleichten Format seiner Prinzessin Elisa Badenes verstecken.

Bei der Märchenhochzeit sorgten alternierend Louis Stiens und Aurora de Mori  sowie Shaked Heller und Minji Nam mit vielen spielerischen Details als Gestiefelter Kater und Kätzchen für besonders viel Aufheiterung, wie überhaupt das ganze Personal, solistisch angeführt von König, Königin, Haushofmeister, Feen und Begleitern, in Gruppen von Hofadel, Bediensteten,  später der Jagdgesellschaft und zuletzt den in allerlei Märchenfiguren verwandelten Hochzeitsgästen zur lebendigen Gesamtwirkung beiträgt.

James Tuggle dirigierte mit unterschiedlichem  Geschick einer Lautstärke-Dosierung des Staatsorchesters Stuttgart bei überaus genau sitzenden Tempi-Wechseln für die TänzerInnen. Auch das ist eine Kunst für sich.

Vom  Rekord-Applaus der Premiere im Jahr 1987 sind wir heute weit entfernt, dennoch liegt die Begeisterung für solche Abende immer noch weit über dem heute üblichen Durchschnitts-Level von wenigen Minuten.

 Udo Klebes

 

Diese Seite drucken