Elisa Badenes. Foto: Stuttgarter Ballett
Stuttgarter Ballett
„DORNRÖSCHEN“ 18.12.2019 (WA) – Eine Sternstunde als Weihnachtspräsent
Seit er im Frühjahr mit der neuen Ausstattung von Sir Kenneth MacMillans „Mayerling“ für einen triumphalen Einzug dieses Historienballetts ins Stuttgarter Repertoire gesorgt hat, ist Jürgen Rose hier, wo er u.a. die großen Cranko-Ballette in ein zeitlos klassisches Gewand gekleidet hat, wieder in aller Munde. Nun kehrte der Grandseigneur der Bühnen- und Kostümbildner erneut zurück, um dafür zu sorgen, dass sein 1987 für Marcia Haydée eingerichteter Märchen-Klassiker unverändert in allen stilistischen und farblichen Details für weitere Aufführungsserien auf die Bühne zurück kommt.
Was Rose hier an Feinarbeit und unübertrefflicher Farb-Ästhetik in atmosphärischen Bühnenbildern und phantasiereichen Kostümen geleistet hat, stiehlt den Tänzern zwar nicht die Show, aber die von ihm geschaffene Optik ist alleine schon einen Aufführungsbesuch wert und kann durchaus über eine vielleicht mal nicht so glückvolle Besetzung oder eine schlechte Disposition der TänzerInnen hinweg einen Gewinn darstellen. Davon konnte in dieser Wiederaufnahme-Vorstellung mit den mit ersten Kräften besetzten Hauptrollen und einem insgesamt gut aufgelegten Corps jedoch keine Rede sein. Im Gegenteil ereignete sich ein Gipfeltreffen der Stuttgarter Stars, die in jeglicher Beziehung für pure Erfüllung aller Anforderungen sorgten und in dieser Verfassung ohne Wenn und Aber für die Ewigkeit auf DVD festgehalten werden sollten – dies zumindest ein naheliegender Gedanke, wo das Stuttgarter Ballett nun dabei ist endlich die Cranko-Hits für dieses Medium festzuhalten.
Idealere Titelrollen-Darstellerinnen wie Elisa Badenes dürfte es derzeit in dieser Vollkommenheit aus technischer Perfektion und spielerischer Überzeugungskraft nur wenige geben. Mit der Leichtigkeit eines Spaziergangs nimmt sie die langen Balance-Akte des Rosen-Adagios, so dass sie sich während ihres Spitzen-Parcours mimisch völlig natürlich und entspannt den sie umwerbenden vier Prinzen (charakterlich differenziert und sprung-adäquat besetzt mit Marti Fernandez Paixa, Timoor Afshar, Fabio Adorisio und Daniele Silingardi) widmen kann. Die Spanierin ist eine Perle an körperlicher Eloquenz und intuitiv wissendem Ausdrucks-Geschick und zusätzlich durch ihre Flexibilität auch eine dankbare Partnerin für ihren Prinzen. Der gemeinsame Auftritt mit Friedemann Vogel steht denn nicht nur ihr, sondern auch ihm ins Gesicht geschrieben, so gelöst und selbstverständlich begegnen sich da zwei Spitzen-Kräfte, gekrönt von einem in allen herausfordernden klassischen Apercus bravourös und zuletzt strahlend erfüllten Hochzeits-Pas de deux. Vogel glänzt nicht erst da mit seiner Mischung aus reifer Gestaltung und bewahrter Jugendfrische, mit gleichmäßigen Drehungen und einer ausgeglichen durchgezogenen Manège, schon vor Auroras Wachküssung besticht er durch klar konturierte Sprünge und ein poetisch wirkendes Port de bras.
Miriam Kacerova. Friedemann Vogel.lly. Foto: Stuttgarter Ballett
Am Zenit seiner Karriere steht auch Jason Reilly, der im Laufe vieler Jahre nun vollkommen in den Part der bösen Fee Carabosse hinein gefunden hat, die in Haydées choreographischer Fassung mit wilden Sprüngen und Verrenkungen besonders markant gezeichnet und in Roses farbbunten Räumen durch seinen langen schwarzen Umhang ein signalartiger Fremdkörper ist. Mit ungebändigter Lust wirft sich der Kammertänzer in die die Bühne vereinnahmenden Tollereien und bewegt sich im Gesichtsausdruck virtuos auf dem schmalen Grat eines Zwitterwesens. Leuchtende Güte verströmt die fraulich potente und ganz sicher und geschmeidig ihre Bahnen ziehende Miriam Kacerova als Fliederfee.
In den weiteren, z.T. kaum weniger anspruchsvollen Partien präsentierten sich TänzerInnen aus der vorderen Garde: Adhonay Soares Da Silva und Agnes Su hatten als Blauer Vogel und Prinzessin im vierteiligen Pas de deux beide die verlangte Feder-Leichtigkeit und technische Präzision, Ciro Ernesto Mansilla debutierte ebenfalls als Ali Baba und ließ bei aller passend exaltierten Sprung-Emphase nur vorläufig eine durchgehendere Bewegungs-Koordinierung vermissen. Die Edelsteine wurden von Ami Morita (mit guten Voraussetzungen für die Titelrolle) und Rocio Aleman, die bereits davor als Fee der Schönheit und als Verlobte des Prinzen in kleinen Soli ihre Wandlungsfähigkeit zeigte, angeführt. Äußerst nuancenreich entzückend verwandelten sich Louis Stiens und Aurora de Mori in den Gestiefelten Kater und das Kätzchen, effektiv geriet auch die Auseinandersetzung von Rotkäppchen und dem bösen Wolf erstmals in Gestalt von Diana Ionescu und Flemming Puthenpurayil. Als verschiedene Symbole bedienende Feen hatten u.a noch Daiana Ruiz und Fernanda De Souza Lopes ihre Premiere.
Ein Pauschallob all den kleinen Märchenfiguren der Hochzeit, darunter Schneewittchen (Anouk van der Weijde) und die sieben Zwerge, wo ebenso wie im Walzer mit Rosengirlanden Schüler der John Cranko Schule eingesetzt waren.
Das Märchenreich wurde repräsentiert vom Königspaar Sonia Santiago und erstmals Matteo Crockard Villa. Den Dornröschenschlaf haben sie ihrem unachtsamen Zeremonienmeister Catalabutte (Alessandro Giaquinto mit herrlich blasiertem Stolzieren) zu verdanken, der Carabosse in der Gästeliste für Auroras Taufe vergessen hatte. In neuen Amme-Händen lag auch das Baby, Magdalena Dziegielewska hat sich nach Beendigung ihrer Tänzer-Laufbahn überzeugend aufs Charakter-Fach verlegt.
Jason Reilly. Foto: Stuttgarter Ballett
Der künftige Musikdirektor des Stuttgarter Balletts Mikhail Agrest leitete das teils glänzend aufgelegte Staatsorchester Stuttgart einiger im Repertoire-Betrieb wohl unvermeidbaren Grobheiten zum Trotz mit phasenweise mehr Transparenz und Delikatesse durch Tschaikowskys üppige Partitur als sein Vorgänger.
Im lautstarken (auch immer wieder dazwischen ausbrechenden) Publikumsjubel durfte auch mal wieder Marcia Haydée baden, die bei jeder Wiederaufnahme ihrer Schöpfung an ihre langjährige Wirkungsstätte zurück kehrt, um letzte Hand anzulegen. Fairerweise hätte zuletzt auch Jürgen Rose als Teilhaber dieser beispielhaft schönen und geschmackvollen Schöpfung wieder auf die Bühne geholt gehört. Sternstunden wie diese sind ein edles Geschenk zum bevor stehenden Weihnachtsfest.
Udo Klebes