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STUTTGART/Ballett: DIE KAMELIENDAME – Ein Ballett und Darstellungen, die unter die Haut gehen

18.06.2023 | Ballett/Performance

Stuttgart, 10.06 und 16.6.: „Die Kameliendame“ Ein Ballett und Darstellungen, die unter die Haut gehen

John Neumeiers Ballett „Die Kameliendame“, nach dem Roman von Alexandre Dumas d. J., gehört zu den Werken, die man gar nicht oft genug sehen kann: Handlung, Choreographie und Frédéric Chopins Musik vermögen es alleine bereits zu berühren, darüber hinaus machen die Tänzerinnen und Tänzer des Stuttgarter Balletts dies immer wieder zu einem besonderen Ballettabend.

Ein Hauptpaar, das dies besonders beherrscht und perfekt miteinander harmoniert sind Rocio Aleman  und Marti Fernández Paixà. Die Interpretation ihrer jeweiligen Rollen ist ähnlich stimmig, womit sie das Publikum von Akt zu Akt immer mehr in ihren Bann ziehen. Aleman verfügt in ihrer ersten Spielzeit als Marguerite Gautier bereits über die gesamte Bandbreite der Rolle, von der Skepsis am Anfang („das darf alles gar nicht sein“ scheint ihre anfängliche Ablehnung gegenüber Armand auszudrücken) bis zur erniedrigten, in Tränen aufgelösten Liebenden und Leidenden in der Ballszene im 3. Akt, so dass Paixàs, der Rolle von Armand Duval entsprechenden, Brüskierungen dabei kaum zu ertragen sind. Auch bei ihm wandeln sich überschäumende, laut küssende Leidenschaft im 1. Akt, am Ende in Tränen, die nicht zurückzuhalten sind, beim Lesen von Marguerites Tagebuch.

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Rocio Aleman als hoffnungsvolle Marguerite Gautier und Martí Fernández Paixà als „Träger“ ihrer Träume Armand Duval. Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

Passend zum Hauptpaar ist auch die Darstellung des Spiegelbild-Paares, Manon Lescaut und Des Grieux: Veronika Verterich wirkt im 1. Akt (auch maskenbedingt) als sehr damenhafte Manon, was sich bis zum 3. Akt in eine ähnlich natürliche Interpretation der Sterbenden wandelt wie bei Aleman. Stets sicher an ihrer Seite: Matteo Miccini als Des Grieux. Beständig stark in der Rolle des Gaston Rieux ist auch Adhonay Soares da Silva; vor allem in der Szene auf dem Land begeistert er nicht nur mit perfekter Technik in den Sprüngen und Drehungen, sondern auch mit sehr viel Esprit. Als seine charaktervolle Partnerin Prudence Duvernoy zeichnet sich Daiana Ruiz aus. Jason Reilly wirkt in der Rolle des Monsieur Duval vor allem in seiner Schlüsselszene im Landhaus fast unerbittlich, seine Interpretation ist jedoch beständig würdevoll. In weitere Rollen tanzten Alessandro Giaquinto als Graf N., Aurora de Mori als Olympia sowie Matteo Crockard-Villa als Herzog.

Viel Beifall für das gesamte Ensemble, vor allem für das Hauptpaar, das sich auch vor dem Vorhang noch sichtlich von den Rollen gezeichnet zeigte.

Ebenso wie bei der Wiederaufnahme glänzte auch am für diese Spielzeit letzten Termin des außergewöhnlichen Balletts ein weiteres Hauptpaar, dessen Entwicklung während der Spielzeit an diesen Abend deutlich sichtbar war: Elisa Badenes als Marguerite und Friedemann Vogel als Armand verliehen ihrer Rollen noch mehr Tiefe. Beindruckten beide Anfang der Spielzeit vielleicht mehr mit perfekter, alles so leicht wirkender Technik und Eleganz, so berührte an diesen Abend mehr ihr Ausdruck, ohne, dass der Rest dadurch abgeschwächt wurde.

Im 1. Akt steigerte Badenes auch ihre Raffinesse und Eleganz, von den reizvollen Blicken in der Szene im Théâtre des Variétés, über die Arm-Geste in der Spiegelszene oder die Art, wie sie den Arm beim Einnicken auf der Couch herunterfallen lässt. All‘ dies gerät jedoch bald schon in Vergessenheit, je mehr sie die Skepsis gegenüber Armand fallen lässt, um Liebe und wahre Hingabe zuzulassen. Ihr Ringen um Gefühle ist vor allem im schwarzen Pas de deux sichtbar. Badenes vermag es auch durchwegs, ihrem Leid eine Art Fassung und Würde zu verleihen, die umso mehr berühren.

Vogels Entwicklung in der Rolle zeigte sich ganz anders: er vermag es auf wundersame Weise Perfektion und Reife mit jugendlichen Charme zu kombinieren. Ein strahlendes Lächeln reicht, um in ihm den überschwänglichen Studenten zu sehen, ein verzweifelter Blick, der an seine „Mayerling“-Interpretation erinnert, ebenso, um sein Leid zu zeigen. Auffallend bei ihm sind vor allem das Solo mit dem Brief am Ende des 2. Aktes, wo er sich nun scheinbar noch mehr den Gefühlen hingibt und den Freiraum der Choreographie etwas mehr ausnützt. Auch er ringt mit den Gefühlen in der Ballszene, wo nun deutlicher sowohl Wut als auch Verzweiflung zu sehen sind, die ihn zur Marguerite’s Erniedrigung führen. Die Art, wie er am Ende in Marguerite’s Tagebuch liest, anfangs entsetzt, dann verzweifelt und mit den Tränen ringend, ergänzte sehr stimmig Badenes‘ ebenfalls berührende Interpretation in dieser Szene.

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Liebe und Leidenschaft, die unter die Haut gehen: Elisa Badenes als Marguerite Gautier und Friedemann Vogel als Armand Duval. Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

An beiden Abenden ähnlich überzeugend interpretierte seine Rolle Matteo Crockard-Villa (Herzog), ebenso Daiana Ruiz (Prudence Duvernoy) und Alessandro Giaquinto (Graf N.). Als Gaston Rieux tanzte nun David Moore und als Olympia Mizuki Amemiya – technisch sicher jedoch ähnlich zurückhaltend wie schon zuvor.    

Deutlich weiterentwickelt hat auch Clemens Fröhlich seine Rolle als Des Grieux: im Spiegel Pas de deux im 1. Akt ist er nun perfekt synchron und mit gleicher Bewegungsamplitude wie Vogel, ebenso wie dieser verleiht auch er bis zum letzten Akt seiner Interpretation immer mehr Tiefe, stimmig begleitet von Agnes Su als Manon Lescaut.

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Vorzeichen des Schicksals: Clemens Fröhlich (Des Grieux) Agnes Su (Manon Lescaut). Foto: Stuttgarter Ballett

Das Staatsorchester Stuttgart begleitete unter der Leitung von Mikhail Agrest das Ensemble an beiden Abenden mit viel Gefühl für die zahlreichen Chopin-Stücke, ebenso die Pianisten Andrej Jussow (1. Akt), Raul Rodriguez Bey (auf der Bühne im Prolog sowie in der Szene auf dem Land), Louis Lancien (2. Akt) und Alexander Reitenbach (3. Akt).

Verdient gab es Standing Ovations für diese letzte Kameliendame-Vorstellung der Stuttgarter Spielzeit, für ein Ballett das unter die Haut geht. Zwei weitere Gastvorstellungen wird es im Juli noch in Hamburg geben, wo sie hoffentlich auch den Choreographen John Neumeier und viele mehr, ebenso begeistern werden.

Man kann nur hoffen, dass das Stuttgarter Publikum nicht wieder weitere Jahre auf die Wiederaufnahme dieses wohl allseits beliebten Balletts warten muss.                        Dana Marta

 

 

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