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STUTTGART/ Ballett: DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG – Bei Komödie funkt(ioniert) es. Wiederaufnahme

08.05.2022 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett

„DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG“ 7.5.2022 (Wiederaufnahme) – Bei Komödie funkt(ioniert) es

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Charme und Beseeltheit: Mackenzie Brown (Bianca) und Henrik Erikson (Lucentio). Foto: Stuttgarter Ballett

Eine Welle der Erheiterung ging bei dieser nach sechs Jahren Pause wieder überfälligen Rückkehr des Shakespeare-Balletts immer wieder durch das voll belegte Opernhaus. Es war geradezu spürbar, wie es viele Zuschauer in dieser von Krisen geschüttelten Zeit genossen, mal unbekümmert herzhaft lachen und kichern zu können. Was bei John Crankos an komischen Situationen so reicher Ballettkomödie ohnehin naheliegend ist, aber schon lange nicht mehr so stimmungsfördernd für die ganze Aufführung war.

Nur wenige Jahre bedeutet bei den meist kurzen Tänzerkarrieren umso mehr Zeit, weshalb inzwischen viel Nachwuchs aufgerückt ist und allein an diesem Abend vier Rollendebuts zu verzeichnen sind (zahlreiche weitere werden noch folgen).

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Kämpferische Bezwingung: David Moore (Petrucchio) und Anna Osadcenko (Katharina). Foto: Stuttgarter Ballett

 

Beginnen wir dennoch mit der bereits rollenversierten Titelrollen-Darstellerin Anna Osadcenko, die im späten Stadium ihrer Laufbahn wieder einmal mit ungeahnt viel Energie ans Werk geht, bei all ihren wehrhaften Aktionen keine Zurückhaltung kennt und was bei der Katharina besonders wichtig ist, die Wandlung zur aufrechten Ehefrau glaubhaft vermittelt. Je sanfter die ältere Tochter des Baptista wird, desto mehr lässt Osadcenko in ihr Innerstes blicken, legt feine Nuancen in die Kombination von Bewegung und Mimik, während sie die Kratzbürste eher an der Oberfläche mit wildem, aber nicht wütendem Gebaren zeichnet.

Erstaunlicherweise findet sie auf der Ebene des komödienhaft Leichten mit ihrem Partner David Moore zu einer Harmonie, die bei den bisherigen gemeinsamen Einsätzen im Zeichen des Dramas nicht gegeben war. Was das von Humor bestimmte Genre doch in Menschen bewirken kann! Moore erfreute bei seinem ersten Petrucchio durch eine so nicht erwartete männlich potente, beherzt zugreifende Ader, kombiniert mit recht hohen Sprüngen und Drehungen, die über seine gewohnte Akkuratesse hinaus in die Charakterisierung des experimentierfreudigen Edelmannes einfließen. Der zum Vorteil deutlich gereifte Tänzer ließ sich von der spielerischen Herzhaftigkeit der Choreographie mitreißen und findet zu einer Gesamtinterpretation, die zwar nicht an einige große Vorgänger heran reicht, aber dennoch eigenständige Größe und Ausgestaltung beweist. Der Engländer ist immer wieder für Überraschungen gut.

Bei Mackenzie Brown und Henrik Erikson hat sich schon in anderen Stücken klassischerer und moderner Natur eine ideale Paarung angebahnt. Als Bianca und Lucentio, der durch ein Maskenspiel seine Konkurrenten austrickst, bringen sie beiderseits viel Frische und Charme sowie eine bereits sicher gestanden wirkende technische Bewältigung ins Spiel, gipfelnd in einem auch musikalisch so beseelt erfassten Pas de deux. Bei den beiden Halbsolisten ist es nur eine Frage der Zeit, wann sie in die erste Reihe aufrücken.

Matteo Miccini schafft es wie kaum ein anderer den Mitbewerber Hortensio aus der Schablone des hauptsächlich komischen Charakters zu befreien und sichtbar zu machen, mit welcher klassischen Attitude, d.h. sauberst und dabei großzügig ausgetanzten Sprüngen, die Rolle choreographisch angelegt ist. Unterstützt von seinem unwiderstehlichen Strahlen lässt er sie in einem neuen Licht erscheinen und macht obendrein darauf aufmerksam, dass in ihm mehr als ein Halbsolist steckt.

Die Figur des überdrehten Sängers Gremio, der bei der erzwungenen Hochzeit mit einem Freudenmädchen einen wahren Jammerlappen abgibt, ist bei Louis Stiens gekonnter Vis comica in guten Händen, auch wenn er den Grat zum Kippen ins Aufgesetzte gelegentlich überschreitet.

Rolando D’Alesio ist der geplagte und gepeinigte Baptista, Matteo Crockard-Villa schlüpft mit Geschick in die Randpositionen des Wirts und Priesters.

Das Corps de ballet mischt als Nachbarn und Hochzeitsgesellschaft vergnüglich mit und zeigt in kleiner Gruppe, dem technisch nicht zu unterschätzenden Pas de six aufgemischt mit drei HalbsolistInnen, mehrheitlich gute Form.

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Überraschungscoup vor Katharinas Entführung: das Ensemble im Finale 1.Akt. Foto: Stuttgarter Ballett

Wolfgang Heinz steuert das gut mitziehende Staatsorchester Stuttgart mit Impetus und zündendem Esprit durch die teilweise harmonisch recht knifflige (Bläser) Partitur, die Kurt Heinz Stolze aus Kompositionen von Domenico Scarlatti arrangiert hatte. Der seit langem als stellvertretender musikalischer Direktor amtierende Dirigent hat inzwischen so viel Kompetenz bewiesen, dass er doch die Stelle des gekündigten Mikhail Agrest übernehmen könnte! Heinz passt mit seinem Schwung und seiner Lockerheit beim Verbeugungsritual auf der Bühne doch ideal zu einer Ballett-Compagnie.

Die gute Laune im Publikum entlud sich am Ende in vielen Vorhängen mit teils lautstarken Ovationen.

Udo Klebes

 

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