Stuttgarter Ballett
„DER NUSSKNACKER“ 11.+12.1. – mit neuen Einsichten
Das Fest kann beginnen: Agnes Su (Clara) und Henrik Erikson (Fritz). Foto: Roman Novitzky/ Stuttgarter Ballett
Edward Clugs Choreographie des Weihnachts-Klassikers in der geschmackvoll und edel farbenreichen Ausstattung von Jürgen Rose bedarf doch des mehrfachen Hinschauens, um vor allem den Ablauf im bewegten Treiben des ersten Aktes zu sezieren und festzustellen, dass sie zumindest in kleinerer Form doch mehr tänzerische Elemente enthält als zunächst wahrgenommen. Wie z.B. in den zwischen dem Treiben der Kinder beim Weihnachtsfest von Clara und ihrem Bruder Fritz erfolgenden Sprungsequenzen oder durchaus auch in einigen der Divertissement-Sätze des zweiten Aktes (Toreros, Harlekins, Matroschkas und Kosaken, aber auch die mit Clara den Blumenwalzer ausfüllenden Schmetterlinge), wobei die beiden Kamele nach wie vor das erheiterndste Augenfutter bieten und den größten Applaus ernten. Dass das klassische Ballett nicht sein wesentliches Ding ist, kann Clug auch nach wiederholt genauer Betrachtung nicht verleugnen. Selbst der sogenannte Grand Pas de deux ist bei ihm eine gegenüber der traditionellen Form von Petipa/Iwanow deutlich entschlackte Version. Virtuose Kunst ist hier nur phasenweise gefragt, doch vollzieht Clug die musikalische Dynamik bis zur Schlusssteigerung stimmig nach.
Am ersten dieser beiden Abende waren Anna Osadcenko als Clara und David Moore als Nussknacker-Prinz an der Reihe; sie lässt trotz ihrer Reife zumindest teilweise noch das vor Glück fiebernde oder schmollende Mädchen aufblitzen und verbindet das auch mit noch genügend tänzerischer Leichtigkeit, er zeigt den zunächst in seiner Haut als Nussknacker gefangenen Neffen Drosselmeiers mit passender Eckigkeit sowie etwas eingefrorerner Mimik und heitert auch in der Befreiung eher zögerlich auf. Im finalen Grand Pas de deux mischen sich zwischen den beiden im choreographischen Fluss auch ein paar schwerfällige Wendungen und Hebungen.
Anna Osadcenko (Clara) und David Moore (Nussknacker-Prinz) endlich vereint. Foto: Roman Novitzky/ Stuttgarter Ballett
Speziell Letzteres ist am folgenden Abend bei Agnes Su und dem für Adhonay Soares Da Silva eingesprungenen Marti Paixa wie weggeblasen und lässt parallel zur Musik auch den gewünschten Höhepunkt erstehen. Das liegt zum einen an ihrer leichtfüßigeren und fließenderen Bewegungs-Qualität (gepaart mit flinkerem Spiel) und zum anderen an seiner schon oft bewiesenen Partnerschafts-Flexibilität in Kombination mit lockerer Gestaltung.
Neben dem an beiden Abenden als Drahtzieher fungierenden Drosselmeier, von Martino Semenzato mit gebotener Süffisanz und rollengerechtem Charakter-Profil verkörpert, ist noch Claras Bruder solistischer eingesetzt. Alessandro Giaquinto schlüpft mit der Haltung eines Erwachsenen durchaus jugendlich gestimmt und quirlig im Gesamteinsatz in die Partie, Henrik Erikson dagegen ist mit mehr Natürlichkeit der liebe und doch auch etwas freche Bube mit ansteckender Fröhlichkeit gepaart mit exakter Beinarbeit.
Es wäre wirklich ungerecht, einzelne Tänzer aus den Divertissements hervor zu heben, sie alle aus dem Corps de ballet tragen dazu bei, Claras Spielfiguren und Tiere in ihrem Traum, befreit aus den riesigen, die Bühne des zweiten Aktes zunehmend vereinnahmenden Nüssen mit jeweils passendem Gestus zum Leben zu erwecken. Schüler der Cranko-Schule sind als Mäuse, Käfer und äußerst drolliger Dino mit lohnenden Aufgaben betraut. Stellvertretend für die Erwachsenen sei Flemming Puthenpurayil als gütig, gemütlicher Vater Stahlbaum erwähnt.
Für das musikalische Gewand sorgte wieder MD Mikhail Agrest am Pult des Staatsorchesters Stuttgart, erneut mit dem Beweis, dass Tschaikowskys Musik bei aller Kraft und Macht nie lärmend sein muss, sich ihr melodischer und rhythmischer Reichtum auch mit feineren Pinselstrichen und doch an manchen Stellen geboten üppigerem Zugriff gerade dann noch viel tänzerischer und luftiger entfalten kann. Dafür wurden die Akteure im Graben zurecht in den finalen Jubel mit einbezogen.
Udo Klebes