Stuttgarter Ballett; „DER NUSSKNACKER“ 9./19./23.12.2025 – weiterhin ein Zwiespalt zwischen tänzerischer Unterforderung und optischer Freude

Rocio Aleman (Clara) mit den Kamelen als Stars. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Für Familien, Kinder und generell Erstbesucher ist der nun im vierten Jahr gespielte Klassiker ohne Zweifel ein Vergnügen in der Kombination aus der Ästhetik des genial detailreichen Bühnen- und Kostümbildners Jürgen Rose und vielen überraschenden Spiel-Ideen des Choreographen Edward Clug. Bei mehrmaliger und jedes Jahr wiederholter Betrachtung überwiegt am Ende zwar die Freude über ein farblich ansprechendes und unterhaltsam phantastisches Vergnügen, es bleibt aber auch das Bewusstsein einer sparsamen, mehr tänzerisches Spiel als eine klassisch geprägte Compagnie entsprechend technisch herausfordernden Choreographie. Dabei verstärkt sich von Mal zu Mal der Eindruck, dass Clug sich durch das Gerüst von Peter Tschaikowskys charakteristisch starker Musik in seiner Arbeitsweise eingeengt gefühlt hat und seinen Stil nicht wirklich einbringen konnte. So dominiert zum großen Teil ein spielerisches Tanz-Theater, mal von den auf Spitze tanzenden Waldfeen und ihrer Königin sowie den Schmetterlingen im Blumenwalzer abgesehen. Im Pas de deux mit der nun ihren Prinzen gefunden habenden Klara kommt dann die klassische Schule zum Tragen, aber auch in einer teils abgewandelten und dadurch gebremst wirkenden Weise. Leider hat Clug die Zeit im Vorfeld dieser Aufführungsserie rund um die Proben nicht für eine Überarbeitung genutzt, und soweit klar sichtbar, nur den kurzen Pas de deux von Klara und Pate Drosselmeier etwas revidiert.
Sei’s drum, die Stuttgarter Tänzer adelten auch jetzt wieder die Walnüsse in allerlei Größen in den Ablauf integrierende Produktion mit ihrem spielerisch ambitionierten Einsatz und einigen persönlichkeitsbedingten Stärken, die sich in unterschiedlicher Ausprägung in einem gewissen Freiraum einbringen lassen. Bei der neben Klara eigentlichen Hauptrolle, dem Drahtzieher Drosselmeier wird das besonders deutlich. Da reicht die Palette vom Magie und Zackigkeit präsent ausspielenden Martino Semenzato über den als Erscheinung weniger markanten, dafür mit auch liebevollen gestalterischen Nuancen auffallenden Adrian Oldenburger bis zum jetzt debutiert habenden Fabio Adorisio, der mehr süffisante und in gewissem Sinne witzige Akzente ausspielt.

Elisa Badenes (Clara) und Friedemann Vogel (Prinz) vereint. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Als Klara alternierten wieder Mackenzie Brown (jetzt als Gast) als am meisten kindliche Variante, Elisa Badenes mit ihrer unendlich scheinenden Flexibilität und Rocio Aleman als wieder so herzens- und liebevoll glaubhaft ein Mädchen spielende junge Frau. Letztere erzielte mit dem zunächst als Nussknacker in roboter-artigen Schrittkombinationen gefangenen Prinzen des charmant sensiblen Marti Paixa die spürbar größte Harmonie. Friedemann Vogel ist freilich auch hier eine Klasse für sich ohne sich eigenmächtig übers Ensemble zu erheben. Und Henrik Erikson bietet in seinem von der Rolle unabhängigen Charisma, einer Mischung aus in sich Ruhen und frischem Zugriff, auch immer eine überzeugende Interpretation.

Mackenzie Brown (Clara) und Henrik Erikson (Nussknacker) im 1.Akt. Foto: Stuttgarter Ballett/Roman Novitzky
In der Handlung eher eine Nebenperson, aber näher betrachtet doch viel ins Spiel integriert, ist Klaras Bruder Fritz und hier sowohl beim knuddeligen Dorian Plasse, beim drollig bubenhaften Matteo Miccini und dann erstmals beim lebhaft engagierten und hervorragend präzise drehenden Edoardo Sartori in guten Händen.
Die Liste aller weiteren Beteiligten ist zu lange und die Gesamtschau letztlich eine runde Sache, so dass niemand hervor gehoben werden muss. Dass die beiden Kamele in ihrem gekonnt imitierten Bewegungsgestus, gekrönt von einem Spagat, jedes Mal für besondere Erheiterung sorgen und als heimliche Stars der Aufführung zu deklarieren sind, verdient jedoch unbedingt erwähnt zu werden. Ebenso, dass wechselnde Absolventen der John Cranko Schule mit Eifer als Kinder, Mäuse, Käfer und Dienstboten mitmischen.
Das Staatsorchester Stuttgart steuert unter der Leitung von Nathanael Carré (9.12.) und Wolfgang Heinz (19.+23.12.) die akustischen Farben mit viel Spiellaune inkl. E iniger verzeihlicher Nachlässigkeiten bei und wird in den finalen Jubel ordentlich mit einbezogen.
Udo Klebes

