Stuttgarter Ballett
„DER NUSSKNACKER“ 1.nm+ab./6./15.12nm. – mit einigen neuen Gesichtern
Nach langer Abstinenz hat das Stuttgarter Ballett seit zwei Jahren endlich auch seinen Nussknacker, der nun wohl jede Saison um Weihnachten herum den Spielplan bereichern wird. Zur Freude vieler Kinder und Erwachsener aller Altersklassen, die hier in ein märchenhaftes Tanzerlebnis eintauchen können, das zwar nicht die klassisch traditionellen Erwartungen an virtuose Ballettkunst erfüllt, dafür aber viele Ideen bietet, die auf E.T.A.Hoffmanns Novelle basierende Geschichte mit Liebe und einer gewissen Ironie zu erzählen, die letztendlich für gute Stimmung sorgt. Natürlich erweist sich Jürgen Roses geschmackvolle nie überbordende Ausstattung und sein immer wieder bewundernswerter Kostüm-Kosmos als wesentliche Säule für die mit vielen Tanztheater-Elementen arbeitende Choreographie von Edward Clug. Doch trotz seiner nicht übersehbaren Distanz zur herkömmlichen Danse d’école hat der rumänische Schrittmacher viel Freude an den vielen Elementen von Claras Traumwelt und ihrer Läuterung zum Glück gezeigt. Statt ins traditionelle Land der Süßigkeiten entführt Pate Drosselmeyer sie in eine Welt lebendig werdender Tiere, die am Weihnachtsabend noch als Spielsachen die Kinder beglücken. Wie ein roter Faden fungieren Walnüsse, zuerst in kleiner Form zum Knacken, dann immer größer werdend und am Ende des ersten Teiles fast bedrohlich groß über der Bühne schwebend, danach als riesige verschiebbare Häuser mit Innenleben.
Vor allem ist dieser bunte Bilderbogen eine Gelegenheit für das ganze Ensemble, ergänzt durch Schüler der John Cranko-Schule, in unterschiedliche kleinere Rollen zu schlüpfen. Es sind so viele, die als Eltern, Großeltern, Weihnachtsgäste, Mäuse, herausgeputzte Offiziere mit Degen, Waldfeen, Hirsche, Käfer, Schmetterlinge, einen drolligen Dino, Eichhörnchen, aber auch Toreros, Harlekine, Matroschkas und Kosaken in Erscheinung treten. Zu den Lieblingen des Publikums wurden wieder die beiden so faszinierend glaubhaft von zwei Tänzerinnen und zwei Tänzern verkörperten Kamele, gekrönt von einem Spagat!
Elisa Badenes (Clara) und Friedemann Vogel als ihr geliebter Nussknacker. Copyright: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
In den Hauptrollen kamen in dieser Serie von elf Vorstellungen zuerst die bereits Erprobten zum Einsatz. Da ist zunächst einmal die Premieren-Besetzung, bestehend aus der liebevoll kindlichen, aber auch Schalk im Nacken spüren lassenden Elisa Badenes (Clara), dem auch in dieser entschärft klassischen Version Eleganz und Anmut bietenden , die Doppelfunktion als Nussknacker und daraus befreiter Prinz differenziert ausspielenden Friedemann Vogel, dem mit Macht gebietender Ausstrahlung und unterschwelliger Süffisanz die Fäden in der Hand haltenden Jason Reilly (Drosselmeyer) und dem Tanz und Spiel erquickend verbindenden Henrik Erikson (Claras Bruder Fritz).
Sodann Rocio Aleman, die als Clara mehr eine junge Frau verkörpert und deren herzhaftes Spiel und Temperament in Verbindung mit gewandter choreographischer Umsetzung ein jugendliches Gesamtbild ergibt. Auch Marti Paixa weiß den in seiner Gefangenschaft eckig agierenden Nussknacker von dem in Weiß strahlenden Prinzen gut abzugrenzen. Beider finaler Pas deux entwickelt durch eine optimale Partnerschaft befördert sogar leidenschaftlich mitreißende Züge. Martino Semenzato lässt als Strippen ziehender Patenonkel mehr Strenge walten und Corps-Tänzer Dorian Plasse (Rollendebut) muss sich als Fritz noch etwas frei spielen, glänzt indes mit sauberen solistischen Qualitäten.
Süffisanter Drosselmeyer: Adrian Oldenburger mit Ensemble. Copyright: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Das dritte Paar, Agnes Su, in der Interpretation eine Mischung aus den beiden Kolleginnen sowie flink auf Spitze und Adhonay Soares Da Silva mit passend hölzernem Gebaren als Nussknacker, dann tadelloser Linie und Form als Prinz, darf am Ende genauso dankbaren Jubel einstecken. Adrian Oldenburger (Debut) stellt sich als eleganter, freundlicher und doch auch geheimnisvoller Drosselmeyer vor, dem die Rolle sichtbar Vergnügen bereitet und in kurzen weitgreifenden Ballett-Elementen sichtbar macht, dass ihm mehr Gelegenheit an großzügigen Sprüngen zu wünschen wäre, als sie Clugs Choreographie bietet. Matteo Miccini gewann das Publikum auch jetzt wieder als ansteckend strahlender Fritz mit Lausbuben-Charakter und flink exakter Beinarbeit.
Vereint mit dem Segen Drosselmeyers: Mackenzie Brown (Clara) und Henrik Erikson (Prinz) mit Jason Reilly (Drosselmeyer) und Ensemble . Copyright: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Ein ganz neues Paar stellte sich am letzten Vorstellungs-Wochenende dieser Serie vor. Mackenzie Brown und Henrik Erikson sind partnerschaftlich bereits mehrfach erprobt, was sich hier im Pas de deux in fließendem Verlauf und einer spürbaren Vertrautheit bei der Interaktion bemerkbar macht. Brown ist als Clara zuerst ein richtiger Backfisch, der durch die Erkenntnisse der träumerischen Abenteuer und Begegnungen eine gewonnene Reife zur erwachsenen jungen Frau sichtbar werden lässt. Enorm beweglich im Spiel, erfüllt sie die hier sehr eingeschränkten Phasen auf Spitze optimal ausbalanciert. Erikson macht die Befreiung aus marionettenartigem Dasein als Nussknacker zum Prinzen mit sich deutlich lockerndem Bewegungsfluss greifbar und avanciert mit grundsympathischer Ausstrahlung und klassisch natürlicher Attitude. Ein ideales Paar, das wie all die vielen Beteiligten um sie herum die Herzen eines mit vielen Kindern bestückten Publikums am dritten Adventssonntag-Nachmittag eroberte und mit stürmischem Jubel und Getrampel gefeiert wurde. Auch in den anderen begeistert akklamierten Aufführungen wurde deutlich, welche große Lücke diese Produktion gefüllt hat, auch wenn sie an (klassisch) anspruchsvoller Ballett-Kunst wenig bietet und tänzerisch betrachtet erst gegen Ende etwas abhebt.
Wolfgang Heinz (1.nm/6./13.nm) und Nathanael Carré (1.ab.) führten das Staatsorchester Stuttgart animiert und durchaus nuanciert, Stimmungen aufbauend und hie und da auch Glanz entfaltend durch den farbenreichen musikalischen Reigen Peter Tschaikowskys.
Udo Klebes