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STUTTGART/Ballett: „CREATIONS I – III“. Uraufführung – Wechselwirkungen von Musik und Tanz

01.12.2019 | Ballett/Tanz

Stuttgarter Ballett

„CREATIONS I – III“ 30.11. (Uraufführung) – Wechselwirkungen von Musik und Tanz

Das erste von zwei dreiteiligen Uraufführungs-Programmen hat Intendant Tamas Detrich zwei bereits mehrfach bewährten Talenten aus dem eigenen Ensemble (Roman Novitzky und Fabio Adorisio) sowie dem freischaffenden Andreas Heise anvertraut, der in der vorletzten Spielzeit für den Abend junger Choreographen (Noverre) ein Stück über E.T.A.Hoffmanns „Sandmann“ so beeindruckend kreiiert hatte, dass er nun für einen größeren Beitrag eingeladen wurde.


Das „Impuls „Ensemble. Copyright: Stuttgarter Ballett

Schlicht und einfach „IMPULS“ nennt der Erste Solist und Fotograf Roman Novitzky seine zweite Auftragsarbeit für das Stuttgarter Ballett nach mehreren äußerst erfolgreichen Schöpfungen für die Noverre-Abende. Und damit ist das Wesentliche, der Ausgangspunkt treffend benannt. Die gegenseitige Beeinflussung von Musik und Tanz, von Bewegung und Klang bildet das Zentrum und Anlass des handlungslosen Stückes. Besonders anschaulich wird dies durch das Sichtbarmachen der Musik auf der Bühne in Form einer Rahmentrommel, die der Urheber der Auftragskomposition „Monolith“, der Percussionist Marc Strobel selbst bedient, und die mit ihren zahlreichen Spielmöglichkeiten ein riesiges Klangspektrum in einem einzigen Instrument ermöglicht. Die Körperbewegungen des Musikers übertragen sich so zusätzlich auf diejenigen der Tänzer und machen bewusst, wie eng beide miteinander verzahnt sind. Die ganz in Schwarz und Weiß gehaltene Bühneneinrichtung von Yaron Abulafia und die raffiniert geschnittenen Kostüme von Aliki Tsakalou ermöglichen die Konzentration auf die pure Bewegung und bilden gleichzeitig eine eigene Ästhetik.

Unter einer Scheinwerferbatterie, die später aufgeteilt und in verschiedene Positionen gedreht wird, schreiten die  7 TänzerInnen langsam in einer Diagonale auf die Bühne. Um die Rahmentrommel herum schwebt ein Lichtreif, der zuerst in die Höhe schwebt und sich gegen Ende wieder um dieses monolithartige Instrument senkt. Durch den Wechsel von teils reflex-artig schnellen, dann wieder sanft entschleunigten Körperreaktionen entsteht nach einem noch etwas abwartenden Beginn eine zunehmende Innenspannung, Je nachdem, ob Strobel für die Trommel die Hände, nur einzelne Finger oder Sticks benutzt, ergeben sich vom bedrohlichen Wirbel bis zum weichen Marimbaphon-Anschlag faszinierende, aus Live-Musik und zugespielten Aufnahmen zusammen gesetzte Klangmuster. Vittoria Girelli sticht mit besonderer Feinsinnigkeit etwas heraus, bildet aber mit ihren KollegInnen Aurora de Mori, Minji Nam, Alessandro Giaquinto, Matteo Miccini, Adhonay Soares Da Silva und Ciro Ernesto Mansilla ein einmütiges Ensemble, aus dem auch letzterer mit seiner besonderen Emphase keinen Moment ausbricht.

Novitzky hat mit diesem Werk gegenüber seinen erzählenden Vorgänger-Arbeiten eine ganz neue Richtung eingeschlagen und erweist sich auch darin als intuitiver und einfühlsamer Künstler. Nur eine gewisse Straffung täte der Abstraktion gut.


Wieder vereint: Hyo-Jung Kang (Penelope) und Marti Fernandez Paixa (Odysseus) in „Lamento“. Copyright: Stuttgarter Ballett

Grundlage von Andreas Heises „LAMENTO“ ist die Geschichte von Odysseus und Penelope, zu der er durch die Bekanntschaft mit Monteverdis Oper angeregt wurde. Dabei hat ihn die lange Trennung und das dadurch entstehende Verhalten beider besonders interessiert. Davon ausgehend entstand die Idee, das Paar gleich in dreierlei Gestalt auf die Bühne zu bringen: als junges frisch verheiratetes Paar, als Getrennte und als nach 20 Jahren wieder Vereinte. Dennoch wollte er keine konkrete Handlung erzählen, sondern  mehr die Gefühle und Zustände, die sich aus der Musik ergeben. Bjarte Eike hat ihm diesbezüglich aus dem kurzen Original-Lamento von Monteverdi eine fast halbstündige Komposition geschaffen, die die nicht nur beides wie aus einem Guss miteinander verbindet, sondern obendrein noch die verblüffende Nähe von Alter und Neuer Musik hörbar macht. Der etwas ruppig spröde Streicher und Continuo-Einschlag liegt gar nicht so weit von der modernen Stilistik flächenartig liegender Tongemälde entfernt. So wird auch hier die Musik zum Animator, zum Zentrum der Choreographie, die sichtbar von der hohen Musikalität Uwe Scholzs, in dessen Leipziger Ballett-Zeit er getanzt hatte, einerseits und dem verstärkt expressiveren Ausdruckstanz Jiri Kylians inspiriert ist. So überzeugt Heises Tanzsprache durch eine wirkungsvolle Verbindung von Harmonie und Ausbruch sowie in dieser neuen Arbeit durch eine klare Struktur. Für die drei Paare, die sich assoziativ auch mal begegnen, gibt es solo und gemeinsam gute Gelegenheiten Technik und Ausdruck gleichermaßen unter Beweis zu stellen. Die frisch Verliebten sind Paula Rezende und Henrik Eriksson, wobei letzterer erneut durch Präzision und eine weiche Körpersprache auffällt; die Getrennten sind Diana Ionescu und Louis Stiens, die beide gegen ihr Los in dunkel umwehter Stimmung ankämpfen. Hyo-Jung Kang und Marti Fernandez Paixa schließlich bilden das wieder zusammen gefundene reife Paar in berührender tanzdarstellerischer Verinnerlichung. Als Odysseus Wegweiserin und Ratgeberin, angelehnt an die Göttin Athene im übertragenen Sinn löst sich die enigmatische Agnes Su am Beginn aus einem Lichtspalt im Hintergrund und mischt sich immer wieder unter die Paare. Die in dezentem beige-grau gehaltenen Trikots mit teilweise übergeworfenen kurzen roten Umhängen, die mit leichten Rüschen und Borten einen dezenten Bogen zur Historie spannen (Bregje van Balen), runden das einheitliche Gesicht dieser bemerkenswert stringent konzipierten Kreation ab.


„Calma apparente“: Elisa Badenes, Shaked Heller, David Moore + Christopher Kunzelmann. Copyright: Stuttgarter Ballett

Die Musik bildet auch im letzten Programmteil den wesentlichen Anstoß. Halbsolist Fabio Adorisios Ausgangspunkt ist die Thematik des Verschleierns von unangenehmen Fakten, konkret am Beispiel den Ursachen von Umweltkatastrophen und Kriegen sowie ihren Folgen. Nur „CALMA APPARENTE“ (= scheinbar ruhig) ist der Zustand. Die Oberfläche mag glatt sein, aber darunter brodelt es. Die Bühne bestimmt ein aus bemaltem Papier verschiedene Faltungen einnehmender, zuerst langsam nach oben gezogener und die  zurück gebliebenen Menschen frei gebender und nach der nächsten Katastrophe wieder nach unten rauschender grauer Vorhang. Durch die verschiedenen Faltenwirkungen entstehen Assoziationen zu Naturerscheinungen wie dem Meer, Bergen, Felsen oder auch Wolken. Die etwas knapp und manche Tänzerbeine dadurch zu kräftig betonenden Trikots sind in verschiedenen Blau-Schattierungen gehalten (Bühne und Kostüme: Thomas Mika). Angeregt von Kevin Kellers Unheil heischenden „Battleground“-Klängen raffen sich die Tänzer langsam wieder auf und finden zu dem sich in Rhythmus und Tempo beständig steigernden „Aheym“ von Bryce Dessner in Wechselwirkungen alleine und gemeinsam wieder zusammen. Bis wieder eine Katastrophe ausbricht, nach der sich der Zustand zu den fast schlafend wiegenden Klängen einer Händel-Sonate erneut beruhigt.

Auch hier machen die Beteiligten den Willen und die Begierde an der Entstehung eines neuen Werkes dabei zu sein spürbar und bilden ein Ensemble mit Emphase und Ausdruckswillen, aus dem sich niemand in den Vordergrund tanzt. Dennoch soll nicht verschwiegen sein, dass Ami Morita mit der Gestaltung eines gezeichneten Menschen eine ganz neue unerahnt starke Seite von sich zeigte und die besondere Qualität Shaked Hellers bei der Erkundung neuer choreographischer Aspekte wieder auffallend zum Tragen kam. Ein Pauschallob für Elisa Badenes, Daiana Ruiz, Rocio Aleman, Vittoria Girelli, David Moore und Christopher Kunzelmann.

Abgesehen von ein paar sich zu oft wiederholenden Formationen sich an oder um den Kopf greifender Arme ist Adorisio noch auf der Suche nach einem prägnanten Stil eine nachdenkenswerte Arbeit gelungen.

Die Abstraktion Novitzkys und die faszinierende Wirkung der Trommel hatten es dem Publikum indes noch mehr angetan als die Handlungs-Thematiken der beiden anderen Stücke, die Begeisterung für den Auftakt dieses Programms war jedenfalls am größten.

 Udo Klebes  

 

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